Unbequem vor allem für seine Grünen: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. (Bild: Imago/Rüdiger Wölk)
Innere Sicherheit

Der plötzliche grüne Sinneswandel

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat Unterstützung für die Aufnahme von Tunesien, Marokko und Algerien in die Liste der sicheren Herkunftsländer signalisiert. Damit stellt er sich erneut gegen die Verweigerungshaltung seiner Partei. Und Tübingens OB Boris Palmer kritisiert seine Parteichefin deutlich für deren Äußerungen zu Köln.

„Baden-Württemberg wird der Ausweitung der sicheren Herkunftsländer um die besagten Maghreb-Staaten zustimmen, sofern die Bundesregierung das Ansinnen in den Bundesrat einbringt“, sagte Kretschmann der Rheinischen Post. „Die kriminelle Energie, die von Gruppierungen junger Männer aus diesen Staaten ausgeht, ist bedenklich und muss mit aller Konsequenz bekämpft werden“, ergänzte der einzige Grünen-Ministerpräsident. Nach dem Berliner Anschlag sei zudem klar: „Zweifellos müssen wir unseren Umgang mit den sogenannten Gefährdern überdenken.“

Die kriminelle Energie, die von Gruppierungen junger Männer aus diesen Staaten ausgeht, ist bedenklich und muss mit aller Konsequenz bekämpft werden.

Winfried Kretschmann, Grüne, Ministerpräsident von Baden-Württemberg

Der Status als sichere Herkunftsländer würde dazu führen, dass bei Bürgern der drei nordafrikanischen Länder beschleunigte Asylverfahren möglich werden. Migranten aus einem sicheren Herkunftsstaat haben in Deutschland normalerweise kein Recht auf Asyl.

Sichere Urlaubsländer

Er hatte zuvor lange bei der Einstufung der drei Länder als sichere Herkunftsländer gezögert – unter anderem wollte er erst in Erfahrung bringen, inwieweit Homosexuelle dort verfolgt werden. Schon im vergangenen Juni hatte er dann aber Zustimmung zu der Forderung der CSU signalisiert. Die CSU will seit Monaten die Maghreb-Staaten auf diese Liste setzen lassen, wird dabei aber von den grün mitregierten Ländern im Bundesrat blockiert. Auch einige SPD-Funktionäre haben trotz der Kölner Vorfälle 2015/2016, bei der die meisten Tatverdächtigen (und laut den Opfern und anderen Augenzeugen wohl auch die meisten Täter) aus diesen drei Staaten kamen, Bedenken gegen diese Idee. Auch die Tatsache, dass etwa Tunesien und Marokko immer noch Urlaubsländer vieler deutscher Touristen und weitgehend stabile Staaten sind, kann linke Politiker offenbar nicht zu einer rationalen Entscheidung bewegen.

Der Bundestag hatte die Einstufung der Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsländer bereits im Mai vergangenen Jahres beschlossen.

Die Gründe für den Sinneswandel

Grund für den Sinneswandel dürften zum einen die aktuellen Silvester-Vorfälle in Nordrhein-Westfalen sowie anderen Bundesländern sein, als sich erneut viele nordafrikanische Gruppen versammeln wollten, die laut Polizei „hochaggressiv“ waren. Dies hat den Druck auf die Grünen nochmal erhöht, ihren Widerstand gegen eine Einstufung der Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer aufzugeben. Zum anderen stammte auch der mutmaßliche Attentäter von Berlin, Anis Amri, aus Tunesien. Und ein BKA-Bericht im Juni 2016 hatte aufgezeigt, dass im ersten Quartal 2016 jeder vierte tatverdächtige Zuwanderer in Deutschland aus Marokko, Algerien oder Tunesien stammte, obwohl sie nur zwei Prozent der Zuwanderer stellen. Ihre Chance auf Asyl in Deutschland ist praktisch gleich null.

Näher an der Realität

Bereits in der Diskussion um die Einstufung von drei Balkanstaaten hatte Kretschmann im Bundesrat eine andere Haltung seiner Landesregierung durchgesetzt, als die Grünen wollten. Damit hatte er sich den Ruf erworben, wesentlich näher an der Realität zu sein, als die Spitzenfunktionäre seiner Partei. Auch der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hatte mit seinen vernünftigen Äußerungen zur Asyl- und Sicherheitspolitik immer wieder den Ärger seiner Parteifreunde auf sich gezogen, die noch immer Anhänger der Multikulti-Ideologie sind.

Wenn hunderte von Frauen am Kölner Bahnhof angegrapscht werden und ein LKW eine Mordfahrt über einen Weihnachtsmarkt macht, dann wollen fast alle Menschen nicht vor dem Staat, sondern vom Staat geschützt werden. Darauf gibt es keine grüne Antwort.

Boris Palmer, Grüne, Tübinger Oberbürgermeister

Und Palmer ist es auch, der in einem Facebook-Post „Das grüne Nafri-Problem“ auf die Entgleisungen seiner Parteichefin Simone Peter reagiert. Die Ursache für die Realitätsblindheit seiner Partei sieht der OB in der Entstehungsgeschichte: „Wir Grüne sind aus Protestbewegungen entstanden. Die Polizei und der Staat waren in den Anfängen der Gegner, den man besiegen oder wenigstens einhegen musste. (Ich weiß wovon ich spreche, mein Vater war immer im Konflikt mit der Polizei.) Das wirkt bis heute nach.“ Grüne Innenpolitik werde fast ausschließlich als Schutz des Bürgers vor dem Staat definiert. „Und das ist ja auch wichtig. Aber alles hat seine Zeit. Wenn hunderte von Frauen am Kölner Bahnhof angegrapscht werden und ein LKW eine Mordfahrt über einen Weihnachtsmarkt macht, dann wollen fast alle Menschen nicht vor dem Staat, sondern vom Staat geschützt werden. Darauf gibt es keine grüne Antwort“, so die verheerende Bilanz Palmers. „Die Parteivorsitzende hat dieses Defizit erschreckend sichtbar gemacht. Wenn die Polizei Nafri sagt und Nordafrikaner kontrolliert, dann ist der grüne Reflex, die Polizei zu hinterfragen. Auch wenn das Motiv der Schutz von Minderheiten vor staatlichen Übergriffen ist: Das ist in dieser Lage ganz und gar unverhältnismäßig.“

Hier war für die Polizei ganz klar: Lieber ein Nordafrikaner zu viel kontrolliert als zu wenig.

Boris Palmer

„Racial Profiling“ in Köln will auch Palmer trotz der Beteuerungen der Polizei nicht ausschließen. Jeder, der praktische Verantwortung trage, wisse, „dass man im Ernstfall nie 100 Prozent einer Norm umsetzen kann, sondern Kompromisse machen muss zwischen Vorschrift und Wirklichkeit. Hier war für die Polizei ganz klar: Lieber ein Nordafrikaner zu viel kontrolliert als zu wenig.“ Die Polizei brauche die Gewissheit, dass die Politik sie in der Praxis unterstützt. Dann verteilte Palmer noch eine saftige Watschn an seine Parteichefin: „Deshalb empfinden viele Polizisten die Kritik auch zu Recht als boshaft: Wenn wir Sicherheit herstellen sollen, dann fallt uns nicht in den Rücken.“ Schließlich fordert der Tübinger Oberbürgermeister die grüne Befassung und Neuausrichtung beim Thema Sicherheit: „Welche zusätzlichen Instrumente bekommt der Staat, um uns vor Gewalt zu schützen, die von Menschen nicht-deutscher Herkunft ausgeht? Es reicht ganz sicher nicht mehr, Einzelfälle und allgemeine Prinzipien des Rechtsstaats zu beschwören.“