Sprengung: Der Kühlturm des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich stürzt kontrolliert zusammen. (Foto: Thomas Frey/dpa)
Atomkraft

Der Letzte macht das Licht aus

Der Atomausstieg läuft und die letzten sechs Kernkraftwerke stehen nur noch zwei Jahre vor ihrer Abschaltung. Auch in Bayern laufen die aufwändigen Arbeiten an den drei verbliebenen Standorten. Es gab jedoch schon andere Rückbauten.

Unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Bundesregierung 2011 nach der Kernschmelze im japanischen Reaktor Fukushima, ausgelöst durch einen Tsunami, beschlossen, dass die Atomkraftwerke hierzulande gestaffelt abgeschaltet werden. Ein schnellerer Ausstieg als der 2002 von Rot-Grün beschlossene. Der Bundestag hatte dem im Konsens zugestimmt – mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen. Danach gehen die drei letzten Anlagen spätestens Ende 2022 vom Netz – das sind Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.

Der Ausstieg läuft

Einige Atomkraftwerke wurden schon abgeschaltet, bei einigen läuft schon der Rückbau. Auch in Bayern, das im Laufe der Jahrzehnte Atomkraftwerke an den Standorten Grafenrheinfeld, Gundremmingen, Essenbach, Garching, Kahl am Main und Niederaichbach hatte.

Als erster deutscher Kernreaktor ging dabei der Forschungsreaktor München 1957 in Garching bei München in Betrieb, der jedoch nicht mit kommerziellen Reaktoren zu vergleichen ist. Die umstrittene Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurde nie gebaut und ist heute ein Gewerbepark. Auch das ab 1976 geplante Kernkraftwerk Pfaffenhofen an der Zusam wurde nie gebaut.

Erster Rückbau in Bayern

Was wenige wissen: In Bayern wurden schon Kernkraftwerke vollständig rückgebaut.

  • Der Versuchsreaktor Niederaichbach bei Landshut war Anfang der 70er Jahre nur für 18 Tage unter Volllast in Betrieb. Technische Probleme mit den Dampferzeugern und die Entwicklung der Leichtwasserreaktor-Technologie bedeuteten sein Ende. Von 1986 bis 1995 wurde er vollständig rückgebaut. Nahe dem Gelände wurden später die Reaktoren Isar 1 und 2 gebaut. Ein Gedenkstein und eine 1995 gepflanzte Eiche erinnern an den ersten Rückbau: Die Brennelemente wurden wiederaufbereitet, alle radioaktiven Anlagenteile bis 1986 im Sicherheitsbehälter sicher eingeschlossen. 1600 Tonnen radioaktive Abfälle und 30.000 Kubikmeter Beton mussten am Ende entsorgt werden.
  • Der kleine Reaktor in Kahl am Main im Bezirk Unterfranken (Firma RWE), 1960 das erste kommerzielle Kernkraftwerk der Bundesrepublik, wurde 1985 stillgelegt und von 1988 bis 2010 zur grünen Wiese rückgebaut. Auf dem Gelände wurde einige Jahre nach dem Bau des Kernkraftwerks auch der Heißdampfreaktor Großwelzheim (Firma AEG) errichtet, der ebenfalls stillgelegt und demontiert wurde. Denn eigentlich lagen beide Kraftwerke auf dem Gemeindegebiet von Großwelzheim, das ab 1975 zu Karlstein am Main gehörte. Weil die Nachbargemeinde Kahl einen Bahnhof hatte und den kürzeren Namen, wurde der Reaktor nach ihr benannt.
  • Der Block A in Gundremmingen, der 1977 ein wirtschaftlicher Totalschaden wegen einer Kontamination im Inneren wurde, steht nur noch als leere Betonhülle und ist heute ein Technologiepark. Der gesamte Inhalt wurde von 1983 bis 2005 entfernt.
  • Mehrere kleine Münchner Forschungsreaktoren in Garching und Oberschleißheim wurden ebenfalls stillgelegt und teilweise rückgebaut.

Zum Zeitpunkt des Baus und auch später herrschte noch große Begeisterung für die Atomkraft: Unvergessen das Foto, wie 1957 SPD-Ministerpräsident Wilhelm Hoegner begeistert einen verpackten Uranstab aus den USA für den Forschungsreaktor Garching in die Höhe hielt und scherzhaft sagte: „Es lebe die Aktivität!“

Bei der Bildung der neuen Gemeinde Karlstein am Main aus den bis dahin selbständigen Orten Dettingen und Großwelzheim im Jahr 1975 wurde aus letzterem Ort sogar das Atomsymbol in das neu geschaffene und bis heute gültige Gemeindewappen aufgenommen. Die eiförmige Kuppel wurde in Garching bei München Bestandteil des Stadtwappens.

Probleme beim Rückbau

Beim Kraftwerk Kahl zeigte sich: Dieser Abriss dauerte länger als der Betrieb und kostete mit 150 Millionen Euro auch wesentlich mehr als der Aufbau ab 1958. Auch in Niederaichbach lag das Missverhältnis bei 230 Millionen Mark (Bau) zu 280 Millionen Mark (Abriss). Dies allerdings auch deshalb, weil hier Rückbautechniken erstmals erprobt wurden. So kamen etwa beim Rückbau der Reaktor-Ummantelung aufgrund der hohen Radioaktivität des Stahlbetons ferngesteuerte Kleinbagger zum Einsatz. Ein weiteres Problem war natürlich der anfallende Müll: Beim Rückbau von Block A in Gundremmingen fielen nach Betreiberangaben rund 10.000 Tonnen Schrott an, wovon 86 Prozent wieder verwertbar waren und 14 Prozent einer Endlagerung als radioaktiver Abfall zuzuführen sind. Hier fielen bereits Kosten von rund einer Milliarde Euro an. Ungelöst ist noch das Endlagerproblem in Deutschland, die Suche läuft. Schwach radioaktive Abfälle kommen in den niedersächsischen „Schacht Konrad“ bei Salzgitter, der ab 2027 einsatzbereit sein soll.

Wie der Konzern RWE über Kraftwerkssprecherin Christina Kreibich dem BAYERNKURIER mitteilte, gelte heute: „Für den Abbau von Kernkraftwerken stehen eine große Anzahl bewährter Technologien sowohl für Dekontamination und Zerlegung als auch für die Entsorgung der anfallenden Materialien zur Verfügung.“ Neue Instrumente werden aber auch immer wieder getestet: Am rheinland-pfälzischen AKW Mülheim-Kärlich etwa „knabberte“ ein ferngesteuerter Roboter etliche Meter des 162 Meter hohen Kühlturms ab, bevor er schließlich gesprengt wurde. Im Durchschnitt beliefen sich die Rückbaukosten für einen Block in Deutschland laut Kreibich im Bereich zwischen 750 Millionen und 1 Milliarde Euro.

Einschluss oder Rückbau

Nach der Abschaltung folgt eine Nachbetriebsphase von in der Regel vier Jahren, in der die immer noch stark erhitzten Brennstäbe abkühlen müssen. Dann kommt die Stilllegung mit den zwei Methoden „Direkter Rückbau“ und „Sicherer Einschluss mit anschließendem Rückbau“. Direkter Rückbau ist der Regelfall, da so noch die bislang für den Betrieb benötigten und im Umgang mit radioaktiven Materialien geschulten Mitarbeiter weiterbeschäftigt und eingesetzt werden können. Die Rückbaugenehmigung ist allerdings mit gewaltiger Bürokratie verbunden, mit unzähligen Sachverständigen und Überprüfungen, Bauteil für Bauteil.

Mit dem fortschreitenden Rückbau entwickeln sich Anlagen immer mehr zu einer Baustelle – Arbeitssicherheit ist gerade hier überaus notwendig. „Die Gesundheit und die Sicherheit der Mitarbeiter haben neben dem sicheren Abbau oberste Priorität“, betont Kreibich. „Alle Arbeiten werden so organisiert, vorbereitet und ausgeführt, dass auch die Strahlenbelastung für das vor Ort tätige Personal so gering wie möglich ist.“ Da sich der Rückbau über viele Jahre für die Bevölkerung nicht einsehbar im Inneren der Anlagen abspielt, komme außerdem „einer aktiven und transparenten Kommunikation“ enorme Bedeutung zu. Bereits im Genehmigungsverfahren hat RWE die Informationsinitiative „KKW Gundremmingen transparent“ ins Leben gerufen, um umfassend über Stilllegung und Abbau informieren zu können.

Und die Arbeitsplätze? Ein Teil der Mitarbeiter wird beim Jahrzehnte dauernden Rückbau eingesetzt, andere wechseln zur Zwischenlager-Gesellschaft und der Rest wird in der Regel sozialverträglich abgebaut. Werksfeuerwehr muss beispielsweise bis zur „Brennstofffreiheit“ weiter aufrechterhalten werden – das ist der Zeitpunkt, an dem ein Störfall ausgeschlossen ist.

Der aktuelle Stand

Wie sieht es aktuell bei den bayerischen AKW-Standorten aus? Zunächst: Für Forschungsreaktoren wie Garching gilt der Atomausstieg nicht, weil sie keine Energie erzeugen. Der veraltete Forschungsreaktor 1 in Garching wurde allerdings 2000 abgeschaltet, sein Rückbau 2014 auf 10 bis 15 Jahre veranschlagt. Sein 2005 in Betrieb gegangener Nachfolger FRM II ist der leistungsstärkste deutsche Forschungsreaktor und verfügt laut Betreiberangaben über die umfassendsten Sicherheitseinrichtungen für Forschungsreaktoren weltweit – sogar den Absturz großer Verkehrsflugzeuge, Hochwasser oder Erdbeben würde er überstehen.

Der Unterschied zu den großen AKW ist: Er dient im Gegensatz zu Kernkraftwerken nicht der Erzeugung von Strom, sondern von Neutronen. Garching hat deshalb nur ein einziges Brennelement mit mehreren voneinander unabhängigen Sicherungen, das Risiko ist somit verschwindend gering. Der „Schwimmbadreaktor“ produziert beispielsweise schnelle Neutronen für die Isotope der dortigen medizinischen Bestrahlungsanlage von Tumor-Erkrankten sowie zur Durchleuchtung von organischem oder sonstigem Material – zuletzt wurden beispielsweise Trüffel auf ihre Herkunft untersucht.

Die 2011 noch laufenden Reaktoren zur Stromerzeugung im schwäbischen Gundremmingen (Block B: 2017 abgeschaltet; Block C: Abschaltung Ende 2021), im unterfränkischen Grafenrheinfeld (2015 abgeschaltet) sowie im niederbayerischen Essenbach bei Landshut (Ohu/Isar 1: 2011 abgeschaltet; Isar 2: Abschaltung 2022) sind bereits vom Netz genommen oder stehen kurz davor.

Energie bis 2021: Gundremmingen

2017 ist Block B im schwäbischen Gundremmingen abgeschaltet worden. Die Schichtmannschaft trennte den Generator vom Stromnetz und schaltete kurz darauf den Reaktor endgültig ab. Der Block C des Atomkraftwerks bei Günzburg darf jedoch noch bis Ende 2021 weiterlaufen, obwohl dieser Meiler ebenfalls 1984 nur wenige Monate nach dem benachbarten Reaktor B in Betrieb gegangen war. Die Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für nicht mehr benötigte Anlagenteile im Block B wurde im März 2019 erteilt.

Auf Nachfrage des BAYERNKURIER teilte der Betreiber RWE (75 Prozent gehören dem Konzern, der Rest E.ON) mit, dass bei den rückbauvorbereitenden Maßnahmen – um den notwendigen Platz für einen reibungslosen und sicheren Abbau zu erhalten – „im Kraftwerksinneren Raumbereiche freigeräumt und Zugänge geschaffen“ werden. „Dazu werden Betonwände und Setzsteine (ursprünglich als Strahlenschutzbarrieren im Einsatz) abgebaut und Komponenten abisoliert.“ Und weiter teilte RWE mit: „Die Schritt für Schritt abgebauten Anlagenteile werden so gut bearbeitet und gereinigt, dass der größte Teil anschließend in den konventionellen Wertstoffkreislauf freigegeben werden kann. Der Abriss beider Kraftwerksblöcke soll etwa bis 2040 dauern und rund 1,5 Milliarden Euro kosten.“ Bisher sind schon mehr als 1000 Tonnen Material ausgebaut worden, Overalls, Socken oder Schuhe werden in der Müllverbrennungsanlage entsorgt.

Die Brennelemente wurden aus dem Kern entladen und nach einer rund fünfjährigen Abklinglagerung im Brennelementlagerbecken sicher in Castor-Behälter verpackt. Danach kommen sie ins Standortzwischenlager des Bundes am Standort Gundremmingen.

Bald brennstofffrei: Grafenrheinfeld

2015 abgeschaltet, wird der von Preussen Elektra (ehemals E.ON Kernkraft) betriebene Reaktor KKG bei Schweinfurt „entleert“. Rund 420 Brennelemente waren Ende August bereits in Castor-Behälter verladen, weitere 180 warteten noch im Brennelementebecken. Bis spätestens Ende 2020 sollen alle ins Zwischenlager verbracht worden sein. Erste rückbauvorbereitende- und Abrissarbeiten durch leistungsstarke Sägen und Minibagger mit Meißelaufsatz laufen aber bereits. Auf rund einen Meter Länge werden die Teile gestutzt, durch Hochdruckreiniger dekontaminiert und dann recycelt oder sicher verpackt. Der Primärkreislauf wurde bereits 2016 chemisch gereinigt.

Alle strahlenden Bauteile sollen bis Ende 2033 verschwunden sein, darunter auch die Reaktordruckbehälter. Zwei Jahre später folgen auch die nicht kontaminierten Teile – darunter auch die beiden 143 Meter hohen Kühltürme. Schwach radioaktive Baureste sollen vor Ort in eine 100 Meter lange Bereitstellungshalle, bis Schacht Konrad einsatzbereit ist. Geschätzte Kosten für alle Maßnahmen: Rund 1,2 Milliarden Euro.

In den ersten vollen Produktionsjahren 1983 und 1984 war das KKG Weltmeister in der erzeugten Jahresstrommenge. Mit 10,5 Milliarden Kilowattstunden brutto wurde hier auch zum ersten Mal weltweit die Grenze von 10 Milliarden Kilowattstunden überschritten.

Isar 1 und Vizeweltmeister Isar 2

Direkt an der Isar, vierzehn Kilometer flussabwärts von Landshut, liegen die Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerks Isar (KKI) auf den Gemarkungen der Gemeinden Essenbach und Niederaichbach – samt ihren 165 Meter hohen Kühltürmen.

2011 abgeschaltet, wird das von Preussen Elektra betriebene Kernkraftwerk Isar 1 seit April 2017 im Inneren bereits rückgebaut. Eine riesige Bandsäge zerkleinert Anlagenteile, die dann dekontaminiert und entsorgt werden – 800 Tonnen waren es Ende Mai. Die rund 1700 Brennelemente werden in strahlensichere Castor-Behälter verpackt und ins benachbarte Zwischenlager geschafft. Ende 2019 sollte die Brennelementefreiheit erreicht, 2032 der nukleare Rückbau abgeschlossen sein. Der Abbau der Anlage mit Kosten von einer Milliarde Euro wird nach außen aber erst sichtbar, wenn es gemeinsam mit dem zweiten Block an den konventionellen Abriss geht, voraussichtlich Ende der 2030er Jahre. Die Natur wartet nicht so lange: Wanderfalken hatten sich im Frühjahr im Kühlturm eingenistet. Das Reststoffbearbeitungszentrum im früheren Maschinenhaus soll eventuell auch bei Isar 2 noch genutzt werden.

Isar 2, Vizeweltmeister in der Gesamt-Stromproduktion und zehn Mal Weltmeister in der erzeugten Jahresstrommenge aller rund 440 AKW weltweit, soll nach dem Willen der Betreiberfirma Preussen Elektra (25 Prozent gehören den Stadtwerken München) spätestens ein Jahr nach der Abschaltung am 31.12.2022 die Genehmigung zur Stilllegung und zum Abbau erhalten. Sie hat den Antrag dazu deshalb am 1. Juli 2019 beim Bayerischen Umweltministerium eingereicht. Auch hier fanden bereits Veranstaltungen zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung statt. 2027 will man brennstofffrei sein, bis 2037 nuklear und bis 2039 konventionell rückgebaut. Ob am Ende eine grüne Wiese oder eine Nachnutzung stehen wird, ist noch nicht entschieden. Noch ist die weiße Dampfwolke sichtbares Zeichen des Atomzeitalters.