In dieser Asylbewerberunterkunft, dem etwas heruntergekommenen ehemaligen Garni-Hotel „Christl“ in der Richard-Wagner-Straße in Ansbach, hat der islamistische Terrorist unter dem Namen Mohammad Daleel gewohnt. (Foto: Wolfram Göll)
Anschlag in Ansbach

Islamistischer Hintergrund vermutet

Beim ersten islamistischen Selbstmordanschlag Deutschlands im mittelfränkischen Ansbach sind 15 Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Im Eingangsbereich eines Pop-Open-Airs hatte sich ein 27-jähriger abgelehnter Asylbewerber aus Syrien in die Luft gesprengt. Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte sich der Täter in einem Video auf den „Islamischen Staat“ (IS) berufen.

Bei dem Bombenanschlag in der mittelfränkischen Bezirkshauptstadt Ansbach handelt es sich um den ersten islamistischen Selbstmordanschlag in Deutschland. Die Terrormiliz IS erklärte über ihr Internet-Sprachrohr Amak, der Syrer sei ein „Soldat des Islamischen Staates“ gewesen. Nach Medieninformationen übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte in Nürnberg, der mutmaßliche Terrorist, ein 27 Jahre alter Syrer, beziehe sich in einem Video auf Abu Bakr al-Baghdadi, den Anführer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Auf einem Handy gebe es außerdem eine Anschlagsdrohung des Täters als Video, so Herrmann. Der Täter kündige darin einen „Racheakt gegen Deutsche“ an als Vergeltung, weil sie Muslime umbrächten. In einer ersten Übersetzung des arabischen Textes heiße es, der Täter handle im Namen Allahs.

Keiner der 15 Verletzten in Lebensgefahr

Durch die Explosion waren nach neuesten Angaben der Polizei 15 Menschen verletzt worden, vier von ihnen schwer. Wie ein Polizeisprecher sagte, schwebt keiner der Verletzten in Lebensgefahr. Der 27-jährige abgelehnte Asylbewerber Mohammad Daleel, der aus Syrien stammt, hatte am Sonntag gegen 22.00 Uhr vor dem Eingangsberiech zu einem Open-Air-Konzert an der Reitbahn beim Ansbacher Schloss eine Bombe gezündet, die zusätzlich mit spitzen Metallteilen präpariert war. Der mutmaßliche Täter kam dabei ums Leben.

Eine erste Auswertung habe ergeben, dass der Syrer mehrere Gewaltvideos mit islamistischer Ausrichtung und salafistischem Inhalt dabeihatte, sagte Herrmann. Es sei für ihn „klar, dass es ein Anschlag mit islamistischem Hintergrund ist. Ob der Täter selbst einen unmittelbaren Kontakt zum IS hatte, das ist noch Gegenstand der Ermittlungen“. Die Videos seien durchgängig in arabischer Sprache und würden nach und nach ausgewertet.

Bei der Durchsuchung der Asylunterkunft in Ansbach, in der der mutmaßliche Terrorist lebte, sei auch eine Fülle von Materialien gefunden worden, die zum Bau weiterer Bomben geeignet gewesen wären. Nach Herrmanns Angaben reiste der Täter am 3. Juli 2014 erstmals nach Deutschland ein. Er habe ab Februar 2015 eine Duldung erhalten, die danach mehrfach verlängert wurde. Weil der Syrer seinen Asylantrag in Bulgarien gestellt hatte und dort subsidiären Schutz zuerkannt bekam, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihn vor etwa zwei Wochen erneut aufgefordert, Deutschland innerhalb von 30 Tagen Richtung Bulgarien zu verlassen.

Bombe im Rucksack hätte viele Menschen töten können

„Die offensichtliche Absicht, mehr Menschen zu töten, weist auf einen islamistischen Hintergrund hin“, sagte Herrmann. „Nachdem er einen Rucksack mit Sprengstoff hatte, in dem gleichzeitig auch viele scharfkantige Metallteile gepackt waren, die ja geeignet sind im Zusammenhang mit einer solchen Bombe dann möglichst viele Menschen im Umkreis zu verletzen, müssen wir davon ausgehen, dass es keine reine Selbstmordtat war, sondern dass er möglichst viele Menschen mit ins Verderben stürzen wollte.“ Der Nürnberger Polizeivizepräsident Roman Fertinger erklärte: „Wenn er mit dem Rucksack in die Veranstaltung gelangt wäre, hätte es bestimmt mehr Opfer gegeben.“

Es ist die dritte Bluttat in Bayern innerhalb einer Woche. Am Montagabend hatte ein Flüchtling in einem Regionalzug in Würzburg Menschen mit einer Axt angegriffen, am Freitagabend war ein junger Mann in München Amok gelaufen. Mehrere Menschen starben, viele wurden verletzt. Herrmann sagte, es sei leider ein weiterer schlimmer Anschlag, der gerade die Besorgnis der Menschen weiter verstärken dürfte. Daher sei eine restlose Aufklärung der Tat wichtig, um das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder herstellen zu können.

Seehofer: „Der Rechtsstaat wird nicht weichen“

„Zum dritten Mal in einer Woche wird unser Land von einer schweren Gewalttat erschüttert. Bayern erlebt Tage des Schreckens. Unser Mitgefühl gilt den Verletzten des heimtückischen und brutalen Bombenanschlags in Ansbach“, erklärte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zum Bombenanschlag in Ansbach. „Den Betroffenen wünsche ich schnelle und vollständige Genesung und ihren Angehörigen viel Kraft in diesen schweren Stunden. Allen Einsatzkräften und Helfern gebührt unser Dank und unsere Anerkennung für ihren vorbildlichen Einsatz.“

Gleichzeitig fordert Seehofer rasche Aufklärung und politische Konsequenzen. „Auch hier müssen jetzt die Hintergründe und Zusammenhänge der Tat schnell und lückenlos aufgeklärt werden. Nur so können wir die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.“ Auf jeden Fall gelte: „Der Rechtsstaat wird nicht weichen“, betonnte Seehofer. „Besonnen in der Aufklärung, aber entschlossen im Handeln – das ist unsere Richtschnur.“ Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger habe höchste Priorität. Bei der Kabinettsklausur am Tegernsee werde die Staatsregierung über „konsequente Maßnahmen beraten, um die Sicherheit der Menschen in unserem Land zu gewährleisten“.

Islamismus und psychische Störung als Motiv?

Weder eine Verbindung zum internationalen IS-Terrorismus noch eine psychische Störung des Täters seien auszuschließen, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin. Das Tatmotiv könne auch eine Kombination aus Islamismus und psychischer Störung sein, sagte de Maizière. Er verstehe die Sorgen der Bevölkerung. Der Minister mahnte zugleich Besonnenheit und warnte vor einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge. Die ganz große Mehrheit komme nach Deutschland, um hier in Frieden zu leben. „Das muss sauber getrennt werden“, sagte de Maizière.

De Maizière versicherte, der Rechtsstaat in Deutschland sei stark und bleibe stark – sowohl im Bund als auch in den Ländern. Die Sicherheitsbehörden würden alles tun, damit solche schrecklichen Gewalttaten nicht wiederholen. „Eine absolute Sicherheit dafür gibt es aber nicht“, sagte de Maizière. „Jeder Fall ist einer zu viel.“ Der Bundesinnenminister sagte, er wolle mit den Amtskollegen in den Ländern über mögliche Schussfolgerungen beraten. Die Bundespolizei werde ihre Präsenz an Flughäfen und Bahnhöfen sichtbar verstärken. Zudem werde im Grenzbereich das Instrument der Schleierfahndung angewandt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich erschüttert über die Gewalttaten in Ansbach und Reutlingen. Man trauere mit den Angehörigen der getöteten Frau in Reutlingen und sei in Gedanken bei den Angehörigen der Verletzten von Reutlingen und Ansbach, ließ Kanzlerin Merkel über die Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer mitteilen. Kanzlerin Angela Merkel, die derzeit zu Hause in der Uckermark sei, werde laufend über die Ermittlungen informiert.

Attentäter war wegen Selbstmordabsichten in der Psychiatrie

Der mutmaßliche Terrorist wohnte in einer Unterkunft in Ansbach, wie Minister Herrmann sagte. Der Syrer habe schon zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Er sei deshalb auch schon in einer psychiatrischen Klinik untergebracht gewesen. Das Bezirkskrankenhaus Ansbach bestätigte Herrmanns Angaben, dass der Selbstmordattentäter zur psychiatrischen Behandlung in der Einrichtung untergebracht war. Man arbeite eng mit der Polizei zusammen, erklärte Krankenhaus-Sprecherin Ariane Peine. Weitere Details zu seiner Krankengeschichte wollte sie nichts sagen. Man stelle den Behörden allerdings alle Unterlagen zur Verfügung, die das Klinikum über den Selbstmordattentäter habe.

Die komplette Altstadt von Ansbach, das rund 40.000 Einwohner hat, war am späten Abend abgeriegelt, Anwohner konnten zunächst nicht zurück in ihre Häuser. Das Open-Air-Konzert wurde abgebrochen, die etwa 2500 Besucher verließen den Veranstaltungsort. Bei den „Ansbach Open 2016“ waren am Sonntag Abend auf der Reitbahn beim Ansbacher Schloss – und damit am Rand der historischen Altstadt – die deutschen Popsänger Joris, Philipp Dittberner und Gregor Meyle aufgetreten.

Asylbewerberheim abgeriegelt, Umfeld wird durchleuchtet

Spezialkräfte der Polizei riegelten die Asylbewerberunterkunft ab, in der der mutmaßliche Terrorist gewohnt hat. Die Beamten begannen mit Ermittlungen im persönlichen Umfeld, auch im Hinblick auf mögliche Komplizen und die Herkunft des Sprengstoffes. In dem Asylbewerberheim wurden zahlreiche persönliche Gegenstände des mutmaßlichen Attentäters sichergestellt. Mitarbeiter der Spurensicherung trugen mehrere Kisten und Tüten aus dem Gebäude. Man müsse nun herauszufinden, mit wem der Täter kommuniziert habe, erläuterte Staatsanwalt Michael Schrotberger.

Am Tatort wurden noch in der Nacht die Spuren gesichert. Die Polizei fand unter anderem ein Handy des mutmaßlichen Attentäters. Es gebe bei einer Explosion eine große Streuung, erklärten Polizisten. Jedes Partikel könne zur Aufklärung beitragen. Jetzt müsse man klären, woher genau die Metallteile stammen. Die Teile glichen solchen, die in der Holzindustrie verwendet werden.

Debatte über politische Konsequenzen aus dem Terror

Herrmann kündigte an, an diesem Montag bei der Klausur des bayerischen Regierungskabinetts am Tegernsee über Konsequenzen auch aus dem Anschlag von Ansbach zu beraten. Dabei müsse es darum gehen, wie der Schutz der Bevölkerung verbessert und ein solcher Missbrauch des Asylrechts verhindert werden könne.

Nach den Gewalttaten der vergangenen Tage in Deutschland streitet die Politik weiter über einen Einsatz der Bundeswehr im Inland. Man müsse darüber diskutieren, ob es nicht die Situation geben kann, „dass bei einer Terrorlage, die sich an mehreren Orten möglicherweise über einen längeren Zeitraum erstreckt, dann auch die Bundeswehr mit hinzugezogen werden sollte“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), im ARD-Morgenmagazin.

(dpa/wog)