Die neue EU-Kommissionspräsidentin präsentiert ihren „Green Deal“. (Foto: Picture alliance/ Xinhua/ Zheng Huansong)
EU-Haushalt

Zweifel am „Green Deal“

Eine Billion Euro will die neue EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen für ihren „Green Deal“ ausgeben, um die gesamte europäische Industrie CO2-neutral zu machen. Unionspolitiker und Wirtschaftsexperten zweifeln – nicht am Ziel, aber am Aufwand.

Vor dem EU-Gipfel sehen Freistaat Bayern und Wirtschaftsexperten mehrere Chancen, aber auch Risiken beim „Green Deal“, den die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) ausgerufen hat. Ihr erklärtes Ziel ist es, dass ab 2050 keine zusätzlichen Treibhausgase aus Europa mehr in die Atmosphäre gelangen. Dafür müssen Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft komplett umgebaut werden. 25 der 28 EU-Staaten bekennen sich zu dem Ziel und wollen es beim Gipfel offiziell festschreiben. Um die übrigen drei Länder an Bord zu bekommen, versprechen sie finanzielle Hilfen. Als Kosten schätzt von der Leyen eine Billion Euro.

Die Investitionsvorgaben dürfen das Kapital nicht ideologisch in bestimmte Sektoren lenken und andere ausschließen.

Bayerisches Wirtschaftsministerium

Das bayerische Wirtschaftsministerium sieht im vorgelegten „Green Deal“ der EU-Kommission Licht und Schatten nahe beieinander, wie es in einer Erklärung heißt. Die Verunsicherung der Unternehmen durch die neuen finanzpolitischen Intrumente kritisiert das Ministerium. „Die Investitionsvorgaben dürfen das Kapital nicht ideologisch in bestimmte Sektoren lenken und andere ausschließen“, heißt es in der Erklärung des Ressorts.

Überbordende Bürokratie und grüne Ideologie drohen

„Wenn ganze Wirtschaftszweige oder bestimmte Technologien als nicht nachhaltig eingestuft würden, könnte das gravierende Folgen für die betroffenen Unternehmen haben. Zudem drohen dadurch neue bürokratische Hürden für unsere Firmen.“ Die sogenannte „Sustainable Finance Agenda“ müsse mittelstandsfreundlich und technologieoffen umgesetzt werden.

Es ist erfreulich, dass die Europäische Kommission auch die Bedeutung der Industrie für die europäische Wirtschaft anerkennt.

Bertram Brossardt, vbw

Den internationalen Ansatz des „Green Deal“ unterstützt der Freistaat allerdings. „Mit diesem EU-Programm wird Klimaschutz endlich auf der europäischen Ebene diskutiert. Dort gehört es hin, dort kann es nachhaltige Wirkung erzielen. Beim Klimaschutz ist zwar jedes einzelne Land gefordert – aber er ist vor allem ein internationales Projekt. Nur wenn sich möglichst viele Länder beteiligen und abgestimmte Lösungen umsetzen, wird etwas für unser Klima erreicht“, so das Wirtschaftsministerium.

Klimaschutz kann Konjunkturprogramm sein

Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) begrüßte, dass die neue EU-Kommission den Klimaschutz vor allem als Konjunkturprogramm versteht. „Der Green Deal will Nachhaltigkeit zu Recht umfassend verstehen: Neben der ökologischen Seite werden auch wirtschaftliche und soziale Aspekte berücksichtigt. Es ist erfreulich, dass die Europäische Kommission auch die Bedeutung der Industrie für die europäische Wirtschaft anerkennt“, erklärt vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.

Kritisch ist es aus unserer Sicht, den Klimaschutz als vorrangiges Ziel gegenüber anderen einzustufen. Dies kann zu Fehlsteuerungen führen.

Bertram Brossardt

Aber Brossardt warnt ebenfalls vor einseitiger und ideologischer Verengung. „Die Zukunftsfähigkeit Europas ist viel mehr als nur ein Green Deal. Nur eine wettbewerbsfähige und innovationsfreudige Industrie kann die notwendigen Investitionen in Klima- und Umweltschutz erwirtschaften. Klimaschutz muss als Infrastruktur- und Konjunkturprogramm begriffen werden“, meint der vbw-Hauptgeschäftsführer. Bisher fehle es allerdings an konkreten Aussagen dazu, wie die Industrie weiter gestärkt und im Transformationsprozess unterstützt werden soll.

Warnung vor Verbots-Wettlauf in Sachen Verkehr

Für die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft bleibt es daher abzuwarten, welche Maßnahmen die EU-Kommission ab 2020 wirklich initiieren wird. „Bei der konkreten Umsetzung des Green Deals wird es darauf ankommen, Wirtschaftlichkeit und soziale Verträglichkeit tatsächlich gleichrangig mit zu berücksichtigen. Kritisch ist es jedoch aus unserer Sicht, den Klimaschutz als vorrangiges Ziel gegenüber anderen einzustufen. Dies kann zu Fehlsteuerungen und zum Beispiel im Finanzsektor zu erhöhten Risiken führen“, sagt Brossardt.

Im Hinblick auf den Verkehrssektor fordert die vbw, darauf zu achten, dass es keinen weiteren Überbietungswettlauf der Reduktionsziele gibt. Stattdessen müssen jetzt die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die das Erreichen der ohnehin schon ambitionierten Vorgaben überhaupt erst ermöglichen.

Bundesregierung: EU-Haushalt bleibt auf 1,0 Prozent begrenzt

Unterdessen betont die Bundesregierung, dass das EU-Budget die Obergrenze von 1,0 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. In dieser Frage gebe es keinen neuen Stand, hieß es in Berlin aus Regierungskreisen.

Der künftige EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 ist Thema beim momentanen Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Finnland, das derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, hatte ein Budget von 1,07 Prozent der Wirtschaftsleistung vorgeschlagen. Die Debatte ist besonders kompliziert, weil einerseits neue EU-Aufgaben finanziert werden sollen, andererseits aber nach dem Austritt des finanzkräftigen Mitgliedslands Großbritannien Milliarden fehlen werden.