Innovationszentrum Freistaat: Neutronenforschung an der Technischen Universität in Garching. (Foto: Imago/F. Heller)
Standort

Erfolgsfaktor Freistaat

Fast nirgends ist die Industriedichte höher. Zudem locken Kini-Schlösser, die Bayreuther Festspiel und die bayerische Lebensart. Der Freistaat ist bei Unternehmern und Urlaubern beliebt. Das liegt am Land und den Leuten und einer klugen Politik.

Das geht selten zusammen: Top-Industriestandort, bedeutender Finanzplatz – und obendrein äußerst beliebtes Tourismusland. Aber in Bayern schon: Mit 27,2 Prozent Industrie-Anteil an der Wertschöpfung hat der Freistaat eine der höchsten Industriequoten der Welt. Der Finanzplatz München zählt zu den bedeutendsten in Europa: Der Bayerische Aktienindex (BAIX) steigt seit zehn Jahren viel stärker als der Dax der Frankfurter Börse. Und bei alledem war Bayern im vergangenen Jahr mit 39,1 Millionen Gästeankünften zugleich Deutschlands mit weitem Abstand beliebtestes Reiseland.

Im aktuellen weltweiten  Standortranking der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft erscheint Bayern unter 45 vermessenen Standorten denn auch auf Rang zwei – hinter den USA und vor der Schweiz. Der Standort Bayern hat einfach alles. Und was man immer dazusagen muss: Der Freistaat hat sich das alles hart erarbeitet. Und arbeitet weiter daran. Damit Bayern auch in Zukunft ein, wenn nicht der, Top-Standort Europas bleibt.

Wir finden hier Talente, die wir anderswo nicht finden würden.

Tim Cook, Apple-Chef

Offenbar mit Erfolg. Was man an allen einschlägigen Zahlen ablesen kann. Oder etwa da­ran, dass der digitale Weltkonzern Apple in München ein Entwicklungszentrum aufgebaut hat. Im Interview mit der „Frank­furter Allgemeinen Zeitung“ hat Apple- Chef Tim Cook kürzlich auf seine kalifornische Weise das Lob auf den Standort Bayern und München gesungen: „Mit Blick auf München gilt, dass … wir hier ein Team beschäftigen, das wir an einem anderen Ort der Welt so nicht zusammenstellen könnten. Wir finden hier Talente, die wir anderswo nicht finden würden. Wir haben an diesem Standort allergrößtes Interesse.“

Was der Grund dafür ist, dass Apple ihn ausbaut: Der Weltkonzern aus Kalifornien will jetzt die ebenfalls bei München angesiedelte 5G-Entwicklung von Intel dazukaufen – eine Milliardeninvestition. Cook: „Wenn man sich in München bewegt, spürt man doch, dass das eine tolle Stadt ist, dass die Menschen hier gerne leben. Es will halt nicht jeder, der eine gute Entwickler-Ausbildung hat, im Silicon Valley wohnen. Also ich kann mir jedenfalls keinen besseren Platz vorstellen.“

Top-Wachstumsraten

„Keinen besseren Platz.“ Ein schönes Wort. Es lohnt, genauer hinzuschauen, was den Standort Bayern so hervorhebt, und wo­rauf sein Erfolg gründet. Denn in Bayern weisen tatsächlich einfach alle Zahlen nach oben: bundesweit das stärkste Wirtschaftswachstum, die größte Zunahme an Arbeitsplätzen oder das schönste Saldo aus Unternehmensneugründungen und -schließungen. Bayern gehört zu den wirtschaftlich stärksten Regionen nicht nur Deutschlands, sondern Europas, notiert dazu die HypoVereinsbank: „Mit einer Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2000 bis 2018 in Höhe von 38,7 Prozent belegt Bayern die Spitzenposition im Ländervergleich und ist Wachstumsmotor in Deutschland (Deutschland: 26,1 Prozent).“

Mit ihrem BIP von 625 Milliarden Euro sind die 13 Millionen Bayern nicht mehr weit entfernt von den 705 Milliarden Euro der fast 18 Millionen Nordrhein-Westfalen. Was etwas aussagt über die Produktivität in Deutschlands Süden und im Norden. Der Vergleich macht die Dynamik der Entwicklung in Bayern sichtbar, betonte vor zwei Jahren die Londoner Wochenzeitung „The Economist“: „1991 war Nordrhein-Westfalens Wirtschaft um 50 Prozent größer. Aber bei der aktuellen Wachstumsrate wird Bayerns Wirtschaft die von NRW klar überholen und dann Deutschlands wirtschaftlich stärkstes Bundesland werden, im nächsten Jahrzehnt oder so.“

Über ein Viertel der bayerischen Wirtschaftsleistung entfällt auf das verarbeitende Gewerbe. Mit 27,2 Prozent hat Bayern damit weltweit die vierthöchste Industriequote, betont die vbw in ihrem schon erwähnten Standortranking: „Nur in Irland (34), Südkorea (30,4) und China (29,3) ist die Industriedichte höher.“ Aufschlussreich: Überall sonst in den klassischen Industrieländern sinkt die Industriequote, mancherorts bedrohlich. In Bayern steigt sie. Was bedeutet: Der Aufstieg des Freistaats ist noch nicht zu Ende.

Heimat der Handwerker

Die Standortstärke, auf der alles aufbaut, ist Bayerns breite und solide mittelständische Basis von über 600.000 Unternehmen. Zusammen bieten sie mehr als vier Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und fast 200.000 Ausbildungsplätze. Eine eigene Mittelständler-Kategorie sind jene versteckten Weltmarktführer mit sehr gefragter Expertise in ganz speziellen Branchen. Etwa 400 dieser sogenannten „hidden champions“ gibt es in Deutschland, 110 allein in Bayern.

Was nicht immer erwähnt wird, aber unbedingt dazugehört: Bayern ist auch das Bundesland mit der größten Handwerksdichte. 2015 zählte der Freistaat knapp 105.000 Handwerksbetriebe – 15,7 auf 1.000 Einwohner. Sie beschäftigen fast eine Million Arbeitnehmer und bieten hervorragende Ausbildung. Solch einmalige Unternehmensdichte ist ein unbezahlbarer Trumpf. Und einer der Gründe dafür, dass sich auch die ganz Großen gerne in Bayern ansiedeln und dort florieren: Allianz, BMW, Linde, Siemens – um nur einige wenige zu nennen. Besonders positiv wirken sich die hohe Kundenorientierung, die Verbreitung von Unternehmens­clustern und eben die breiten Wertschöpfungsketten aus. Alles zusammen führt zu den hervorragenden Marktbedingungen, die Investoren so schätzen. Im Vbw-Standort­ranking erscheint der Freistaat beim Thema „Markt“ denn auch auf Platz eins.

Regierung als Pluspunkt

Standortqualitäten fallen nicht vom Himmel. Sie müssen erarbeitet werden, von den Menschen, von den Unternehmen – und von klugen Regierungen. Besonders in Bayern, wo vor gar nicht so langer Zeit die Dinge ganz anders lagen. Noch 1970 etwa galt der Freistaat als Armenhaus der Republik: Mit 17,3 Prozent der Bevölkerung trug Bayern damals nur 15,1 Prozent zum BIP der alten Bundesrepublik bei – aber 24,8 Prozent der Arbeitslosen. Heute stemmt der Freistaat mit 15,7 Prozent der Bevölkerung 18,3 Prozent der Wirtschaftskraft des wiedervereinigten Landes – bei einer rekordniedrigen Arbeitslosigkeit von 2,9 Prozent (2018).

Bayern und seine Regierungen müssen in den vergangenen 40 Jahren also vieles richtig gemacht haben. Im Vbw-Standort­ranking findet sich der Freistaat beim Themenbereich „Staat“ denn auch auf Rang zwei – knapp hinter Neuseeland, aber ziemlich weit vor Deutschland (Rang 10). Der vbw zufolge punktet Bayern hier mit „einer effizienten Regierung sowie einer großen unternehmerischen und wirtschaftlichen Freiheit“. Eine gute und effiziente Regierung, das ist die entscheidende Voraussetzung für den wichtigsten Standortfaktor: Zukunftsfähigkeit. Denn nur Standorte mit vielversprechenden Aussichten können attraktiv sein. Und hier kommt es eben auf die Politik an, die für die Zukunft die Weichen richtig stellen muss. Das kann man zwar schwer messen, aber es gibt dafür zahlreiche aussagekräftige Indikatoren, für die die Politik verantwortlich ist, und die eben in Bayern besonders gut aussehen.

Bayern macht Schule

Bildung und Bildungspolitik etwa sind solche Indikatoren, die in die Zukunft weisen. Auf dem Bildungsmonitor 2019 steht Bayern im Gesamtranking hinter Sachsen auf Rang zwei. In keinem anderen Bundesland verlassen weniger Schüler ihre Schulen ohne Abschluss. Der vbw zufolge hat der Freistaat die höchste Absolventenquote in den sogenannten MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Eine Folge: Auch im vergangenen Jahr lag Bayern bei den Patentanmeldungen bundesweit an der Spitze. 14.852 neue Patente oder 31,9 Prozent aller Patentanmeldungen kamen aus dem Freistaat.

Ein weiterer guter Indikator für die Innovationskraft eines Landes sind seine Investitionen in Forschung und Entwicklung. Auch hier steht Bayern besonders gut da: 2016 betrugen die privaten und staatlichen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in Bayern 3,2 Prozent seiner großen Wirtschaftskraft – bundesweit Rang vier. Von 1.000 Einwohnern waren  9,9 Personen in Forschung und Entwicklung tätig – Rang 3.

Auch ein Hinweis: Informations- und Kommunikationstechnologie konnten sich gut etablieren. 2018 waren in Bayern 21.701 Unternehmen mit 233.163 Personen in diesem Zukunftsbereich tätig. Verheißungsvoll ist auch Bayerns bundesweite Spitzenstellung in Umwelttechnologien: Über 33.000 vor allem mittelständische Firmen mit mehr als 270.000 Beschäftigten sind im großen Bereich Umweltwirtschaft tätig. Schon 2014 erzielten sie einen Umsatz von über 50 Milliarden Euro. In keinem Bundesland wurde 2015 mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt oder mehr erneuerbare Energien genutzt als in Bayern.

Energiekosten als Faktor

Bayern ist Europas herausragender Industriestandort. Aber eine solche Spitzenstellung ist immer in Gefahr, muss jeden Tag neu erworben werden. Was ein guter Grund ist, auch auf die größte Schwäche des Standorts Bayern hinzuweisen: Er ist teuer, sehr teuer. Im Vbw-Standortranking erscheint Bayern beim Thema „Kosten“ unter 45 Ländern auf Rang 40 – teurer als Schweden, aber bemerkenswerterweise günstiger als Argentinien und Brasilien.

Verantwortlich für das schlechte Abschneiden sind Bayerns hohe Arbeits- und Energiekosten. Dass Industriestaaten bei den Arbeitskosten einen Standortnachteil haben, liegt auf der Hand. Aber der wird immerhin kompensiert durch die hohe Produktivität der Arbeitskräfte. Sehr im Auge behalten müssen die Tarifpartner gleichwohl, dass Steuern und Lohnnebenkosten die Arbeitskosten nicht in unkompensierbare Höhe treiben dürfen. Dann sehen sich die Investoren um nach Alternativen, und dann ist schnell Schluss mit der Spitzenstellung des Standorts.

Noch mehr gilt das für den Faktor Energiekosten. Denn für einen Industriebetrieb ist immer Energie der große, unveränderliche Kostenfaktor. Was auch der Grund dafür ist, dass Indus­trie immer dort ist, wo auch ihre Energiequellen sind. Lektion aus der Geschichte: Wer Industriestaat sein und bleiben will, braucht sichere und preiswerte Energie – daran kann in Bayern und Deutschland nicht oft genug erinnert werden.