Dunkle Wolken ziehen über der deutschen Wirtschaft auf, im Bild das Chemiedreieck Burghausen. (Bild: imago images/Westend61)
Rezession

„Die Zeiten werden rauer“

Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungs­institute haben ihre Konjunkturprognose für Deutschland deutlich nach unten korrigiert. Weltweite Risiken, hohe Belastungen und politische Fehler machen dem Wirtschaftsstandort Deutschland zu schaffen.

Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungs­institute haben ihre Konjunkturprognose für Deutschland deutlich nach unten korrigiert. Waren sie im Frühjahr noch von einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von 0,8 Prozent im Jahr 2019 ausgegangen, erwarten sie nun nur noch 0,5 Prozent.

Politische Fehler schwächen die Wirtschaft

Gründe für die schwache Entwicklung sind die nachlassende weltweite Nachfrage nach Investitionsgütern, auf deren Export die deutsche Wirtschaft spezialisiert ist, politische Unsicherheit und strukturelle Veränderungen in der Automobilindustrie, die von der Hysterie um Dieselfahrzeuge, Elektromobilität, SUVs, Klima und CO2-Steuer stark belastet wird. Hier zeigt sich die Richtigkeit der jüngsten Warnung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, man dürfe „nicht den Ast absägen“, auf dem man sitze. Denn auch die vielen Automobil-Zulieferer spüren schon die Folgen: Wegen der Krise in der Autobranche hatte jetzt auch der Zulieferer Continental angekündigt, das Pumpenwerk in Roding bei Cham bis 2024 komplett zu schließen. 540 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. Der Coburger Zulieferer Brose will in den nächsten zwei Jahren Arbeitsplätze von Deutschland nach Serbien verlagern.

Die Finanzpolitik stützt hingegen die gesamtwirtschaftliche Expansion. Für das kommende Jahr senken die Konjunkturforscher ebenfalls ihre Prognose auf 1,1 Prozent, nach noch 1,8 Prozent im Frühjahr.

Die deutsche Industrie befindet sich in einer Rezession.

Claus Michelsen, DIW

„Die deutsche Industrie befindet sich in einer Rezession, die inzwischen auch auf die unternehmensnahen Dienstleister durchschlägt“, sagt Claus Michelsen, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik des gastgebenden Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Dass die Wirtschaft überhaupt noch expandiert, ist vor allem auf die anhaltende Kauflaune der privaten Haushalte zurückzuführen, die von den guten Lohnabschlüssen, Steuererleichterungen und Ausweitungen staatlicher Transfers gestützt wird.“ Die Kauflaune hängt aber auch damit zusammen, dass sich Sparen dank der umstrittenen Nullzinspolitik der EZB derzeit einfach nicht lohnt.

Weltweite Risiken

Weltweit bleiben zudem die politischen Unwägbarkeiten bestehen und belasten über die Investitionsbereitschaft der Unternehmen den Außenhandel. „Vor allem die Risiken ausgehend von einer Eskalation des Handelskonflikts sind hoch. Aber auch ein ungeregelter Brexit hätte Kosten: Das Bruttoinlandsprodukt würde in Deutschland dadurch für sich genommen im kommenden Jahr um 0,4 Prozent niedriger ausfallen als bei einem geregelten Austritt“, ergänzt Michelsen. In Deutschland trifft das überwiegend die Industrie und damit Unternehmen, die stark vom Export abhängen – also insbesondere Auto- und Maschinenbauer, Chemie-Produzenten und Elektro-Hersteller. Wenn US-Präsident Donald Trump seine Drohung wahr macht und Auto-Zölle einführt, kann es noch deutlich schlechter werden.

Unsere Unternehmen brauchen von der Politik klare wirtschaftspolitische Anreize.

Bertram Brossardt

Bayerische Wirtschaft warnt

„Wir teilen die Einschätzung der Institute, dass sich die Konjunktur in Deutschland und Bayern weiter abkühlt. Die Prognosen für 2019 und 2020 sind ein ökonomisches Warnsignal“, erklärte deshalb der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) Bertram Brossardt. Er verwies insbesondere auch auf die von den Instituten prognostizierte Produktivitätsentwicklung. „Die Gewerkschaften müssen diese Entwicklung bei ihren lohnpolitischen Forderungen für die kommenden Tarifrunden berücksichtigen“, forderte Brossardt. Seit Jahren stiegen die Entgelte schneller als die Produktivität.

Zudem gelte es, das prognostizierte Wachstum für 2020 von 1,1 Prozent nicht überzubewerten. „Das kommende Jahr hat vier Arbeitstage mehr als 2019. Bei einem Wachstumseffekt von ungefähr 0,1 Prozent des BIP pro Tag bedeutet dies keine wirkliche konjunkturelle Belebung, sondern eine Fortsetzung des Abschwungs im nächsten Jahr“, so Brossardt. Aber er warnte: „Unsere Unternehmen brauchen von der Politik klare wirtschaftspolitische Anreize, wie beispielsweise Steuersenkungen, bürokratische Entlastungen und mehr Flexibilität, um sich auf die Herausforderungen besser einstellen zu können.“

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Die Arbeitslosenquote soll von 5,0 Prozent in diesem Jahr leicht auf 5,1 Prozent im Jahr 2020 steigen (mehr als 2,3 Millionen Arbeitslose) und dürfte dann im Jahr 2021 wieder auf 4,9 Prozent sinken. Die Verbraucherpreise werden weiterhin nur moderat um 1,4 Prozent im Jahr 2019, 1,5 Prozent im Jahr 2020 und 1,6 Prozent im Jahr 2021 zulegen.

Der Beschäftigungsaufbau verliert als Folge der konjunkturellen Abkühlung an Fahrt; die Industrie hat jüngst sogar Stellen abgebaut. Hingegen stellen Dienstleister und die Bauwirtschaft weiter ein. In diesem Jahr rechnen die Institute daher mit einem Beschäftigungsaufbau von 380.000 Stellen. In den kommenden beiden Jahren werden voraussichtlich nur noch 120.000 beziehungsweise 160.000 neue reguläre Arbeitsverhältnisse geschaffen.

Die Zeiten werden rauer.

Bertram Brossardt, vbw

„Noch behaupten sich unsere Unternehmen im internationalen Wettbewerb, sind am Standort Bayern erfolgreich und bieten attraktive Arbeitsplätze. Doch die Zeiten werden rauer, die bislang gute Arbeitsmarktentwicklung ist in Gefahr: Die Arbeitslosigkeit sinkt nicht mehr weiter und der Beschäftigungsanstieg verlangsamt sich deutlich“, so Brossardt. Besorgniserregend sei der Anstieg der Kurzarbeit. Allein im ersten Halbjahr 2019 waren es plus 6000 Kurzarbeit-Jobs, dreimal so viele wie 2018. „Und das ist erst der Anfang, die Anzeigen zur Kurzarbeit haben sich im Jahresverlauf von 100 auf 190 nahezu verdoppelt“, ergänzte Brossardt.

Die vbw forderte daher, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes wieder in den Mittelpunkt zu rücken. „Die Belastungen für die Wirtschaft sind enorm. Weltweit haben wir die vierthöchsten Arbeitskosten, dazu stetig steigende Strom- und Energiekosten. Entlastungen sind aber weiterhin Fehlanzeige: Weder die Unternehmenssteuerlast wurde gesenkt, noch ist die Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes angegangen worden“, erklärte Brossardt.

Staat nimmt weniger ein

Die Überschüsse des Staats sind in diesem Jahr mit voraussichtlich rund 50 Milliarden Euro noch beträchtlich. Allerdings schmelzen sie bis zum Jahr 2021 auf rund 4 Milliarden Euro. Neben der konjunkturellen Abkühlung tragen dazu vor allem verschiedene fiskalische Maßnahmen wie Mehrleistungen bei der Rentenversicherung, Erhöhung des Kindergelds, Entlastung bei der Einkommenssteuer und nicht zuletzt die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags bei. Sie belaufen sich in diesem Jahr auf rund 22 Milliarden Euro, im kommenden Jahr auf 18 Milliarden Euro und im Jahr 2021 auf voraussichtlich 23 Milliarden. Euro. Damit setzt die Finanzpolitik zugleich deutliche Impulse und stützt den privaten Konsum.

Die Gemeinschaftsdiagnose

wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundesminis­teriums für Wirtschaft und Energie erstellt. Am Herbstgutachten 2019 haben mitgewirkt:

  • Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
  • ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. in Kooperation mit der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
  • Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel)
  • Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
  • RWI Essen – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit dem Institut für Höhere Studien Wien