Bringen die nun startenden TV-Duelle mehr Klarheit in die Frage, wer nach dem 8. November ins Weiße Haus einziehen wird? (Foto: picture alliance)
US-Wahlkampf

Von „Yes, we can“ ist nichts geblieben

Aus der aktuellen Ausgabe des BAYERNKURIER-Magazins: Wenige Wochen vor der Präsidentenwahl ist die Wechselstimmung in den USA groß. Immer mehr Menschen sind genervt von der „politischen Korrektheit“ und verspüren Wut auf die Eliten. Und genau das weiß Donald Trump für sich auszunützen.

„Eigentlich dürfte Trump gar nicht mehr da sein“, rieb sich zu Beginn des Nominierungsparteitags der Demokraten in Philadelphia ein Redakteur der US-Tageszeitung Washington Post fassungslos die Augen. Aber er war da, und wie. Der Milliardär aus New York und krasse Politikaußenseiter hat einen Wahlkampf geführt wie noch niemand vor ihm – mit markigen Themen und Beleidigungen gegen Wettbewerber und ganze Wählersegmente. Trotzdem hat er die Vorwahlen der Republikaner und die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten triumphal gewonnen. Gegen die eigene Parteiführung, gegen alle Erwartungen.

Nicht nur das. Nach dem Parteitag der Republikaner in Cleveland konnte er Hillary Clinton in den Umfragen sogar leicht überholen. Vier Wochen später, nach der Convention der Demokraten und nach Trumps bisher wohl misslungenstem Wahlkampfmonat, gelang es der Kandidatin der Demokraten nicht, ihn wirklich abschütteln. Im Gegenteil: Kurz vor dem ersten TV-Duell beträgt Clintons Vorsprung nur noch zwei Prozentpunkte.

Die Wechselstimmung ist im Land weit verbreitet

Trump ist ein Phänomen. Er spricht nicht nur die Masse der traditionellen republikanischen Wähler an, sondern auch viele von denen, die 2008 und wahrscheinlich auch noch 2012 Barack Obama ihre Stimme gegeben haben. Der Grund lässt sich in eine Zahl fassen: Nur 28,9 Prozent der US-Amerikaner sind der Meinung, dass das Land sich auf dem richtigen Wege befindet. Das sind nur wenige mehr als zu Obamas Amtsantritt (23,2 Prozent) im Januar 2009. Hinter den Zahlen verbergen sich viele von Obama enttäuschte Hoffnungen – und Millionen Wähler. Von Obamas hoffnungsvollem „Yes, we can“ ist nicht viel geblieben.

Das Ergebnis ist eine weit verbreitete Wechselstimmung. Und wieder erklärt der Blick auf die Zahlen warum: Noch nie seit dem Krieg ist die wirtschaftliche Erholung nach einer Krise so schleppend verlaufen wie jetzt. Die amerikanische Industrieproduktion sinkt von Monat zu Monat. 2014 lag das mittlere Einkommen landesweit um 4.000 Dollar unter dem Niveau von vor der Finanzkrise und sogar ein gutes Stück unter dem von 1999, schreibt das politisch eher liberal einzuordnende Washingtoner Monatsmagazin „The Atlantic“.

Kein Trost ist die niedrige Arbeitslosigkeit von 4,9 Prozent: Denn seit 2008 ist die Arbeitsbevölkerung um 18 Millionen Personen gewachsen – aber die Zahl der Arbeitsplätze nur um 5,5 Millionen. Regelrecht schockierend verläuft die Kurve der Staatsverschuldung: Seit 1988 ist sie von 2,6 auf heute über 19 Billionen Dollar gewachsen – eine Steigerung um 635 Prozent. Allein in den Obama-Jahren hat sie sich verdoppelt.

Seit 1988 stieg die Zahl der nicht in den USA geborenen Einwanderer von 16 auf heute über 42 Millionen.

Die fast unkontrollierte Einwanderung verschärft Misere und Stagnation: Seit 1988 stieg die Zahl der nicht in den USA geborenen Einwanderer von 16 auf heute über 42 Millionen – die Zahl der „Illegalen“ ist von weniger als einer Million auf geschätzte 12 Millionen gewachsen. Einwanderer machen 13 Prozent der Bevölkerung aus, aber besetzen 17 Prozent der Arbeitsplätze.

Wirtschaftliche Tristesse im Mittleren Westen

Besonders bitter empfunden wird der wirtschaftliche Stillstand in den ehemaligen Industrierevieren im Nordosten des Landes. Die heute nicht zufällig „Rust Belt“ genannte Region erstreckt sich über etwa sieben Bundesstaaten von Wisconsin, Illinois, Indiana, Michigan, Ohio, Pennsylvania, bis New York und New Jersey. Industrieruinen prägen vielerorts das Bild. Das Online-Magazin „Salon“ schrieb kürzlich von den „Geisterstädten des amerikanischen Mittleren Westens“ und von „Sub-Sahara Trostlosigkeit im Herzland der Vereinigten Staaten“. Dass Republikaner und Demokranten genau hier, in Cleveland (Ohio) und Philadelphia (Pennsylvania), ihre Nominierungsparteitage abgehalten haben, ist kein Zufall. Die Rust Belt-Staaten zählen zu den wahlentscheidenden, besonders umkämpften Regionen.

Besonders bitter empfunden wird der wirtschaftliche Stillstand in den ehemaligen Industrierevieren im Nordosten des Landes.

Seit der Wahl von Präsident George H. Bush 1988 haben die meisten Amerikaner keinen wirtschaftlichen Fortschritt erlebt. Einer aktuellen Gallup-Umfrage zufolge gehen 60 Prozent der Amerikaner davon aus, dass es nicht besser, sondern schlimmer wird. „Die Obama-Wirtschaft bedeutet für Hillary Clinton ein Problem“, titelte Anfang August die klar der demokratischen Kandidatin zuneigende Washington Post.

Wut der Bürger gegen politische Eliten

„Es macht mir Angst, dass Menschen so wütend sind über die Eliten und so voller Furcht über die Zukunft – Arbeitsplätze, Globalisierung, Terror“, schrieb Anfang August Star-Kolumnist Thomas Friedman in der New York Times. Und hier kommt Donald Trump ins Spiel. Trump nimmt den Zorn der Wähler auf und steigert ihn: Wo die anderen Präsidentschaftsbewerber sagen, „die Amerikaner sind wütend, und ich kann das verstehen“, stellt Trump sich hin und sagt: „ICH bin wütend!“.

Trump ist der Kandidat der Wut – „der Wut auf durch Masseneinwanderung eingeschleppte Arbeitslosigkeit, unfaire Handelsabkommen mit Billiglohn-Ländern, und nationale Demütigung in unüberlegten, jahrzehntelangen Kriegen“, so die New Yorker Online-Zeitung The Sun. Die Mehrheit der Wähler will den Wechsel, den Bruch mit der Politik der vergangenen 20 Jahre. Was noch ein Problem für Clinton bedeutet: Die Frau mit der langen politischen Vergangenheit ist die gefühlte Amtsinhaberin. Trump dagegen tritt als der Außenseiter auf, der mit Washington und dem vielerorts regelrecht verhassten Establishment nichts zu tun haben will und mit jedem politischen Comment bricht. Damit trifft er die Stimmung im Land: Die Mehrheit der Wähler will den Wechsel, den Bruch mit der Politik der vergangenen 20 Jahre.

Krieg gegen die politische Korrektheit

Trumps hemmungslos offene Sprache ist dabei Mittel zum Zweck. Er führt einen Krieg gegen die „politische Korrektheit“. Gegen die verbreiteten linksliberalen Sprach- und Denkverbote zu politischen und gesellschaftlichen Fragen hat sich in den vergangenen 20 Jahren viel Zorn aufgestaut: Politische Korrektheit sei „ein großes Problem im Lande“, taten gerade 68 Prozent der Wähler in einer Umfrage kund. Die Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten, Weißen und Schwarzen waren nicht groß.

Seine politisch unkorrekte Sprache macht Trump authentisch – und glaubwürdig, wenn er den großen Wechsel verspricht, den sich so viele ersehnen.

Trumps Pöbeleien stoßen seine Anhänger nicht ab. Im Gegenteil. Für sie spricht er einfach ohne Filter, sagt, was er denkt. Die Leute glauben: „Der verstellt sich nicht.“ Seine politisch unkorrekte Sprache macht Trump authentisch – und glaubwürdig, wenn er den großen Wechsel verspricht, den sich so viele ersehnen. Wenn er verbal zertrümmert, was bisher Konsens war, nimmt er den radikalen Politikwechsel sozusagen sprachlich vorweg.

Dazu kommt ein Aspekt des Phänomens Trump: Der republikanische Präsidentschaftskandidat ist gar kein echter Republikaner, erst recht kein konservativer. Politisch war Trump schon alles: Republikaner, Demokrat, Unabhängiger. Erst im Dezember 2011 ist er zum vorläufig letzten Mal zu den Republikanern zurückgekehrt. Im Vorwahlkampf hat die republikanische Parteiführung den Anti-Establishment-Kandidaten mit aller Macht zu verhindern versucht. Kein Wunder, Trump räumt republikanische Kernpositionen einfach ab: Er plädiert für Sozialstaat und allgemeine Krankenversicherung und zieht gegen Freihandelsabkommen zu Felde. Als sozial-liberalen, „zentristischen Nordostküsten-Republikaner alter Schule“ beschreibt ihn der TV-Sender CBS News und als den politisch „wahrscheinlich moderatesten republikanischen Kandidaten seit Jahrzehnten“ – solange es nicht um Einwanderung oder Freihandelsabkommen geht.

‚America first‘, nennt es Trump und trifft damit die Stimmung vieler Wähler.

Trump lässt sich auf seinen Wahlveranstaltungen als „weder Republikaner noch Demokrat“ ankündigen und stilisiert sich zum Helden der Arbeiterklasse.  Seine Botschaft ist einfach: Er ist pro Wirtschaft, pro Militär, pro Amerika – der Rest ist Verhandlungssache, Hauptsache das Ergebnis stimmt. „America first“, nennt es Trump und trifft damit die Stimmung vieler Wähler.

Trotzdem, schreiben seit Monaten viele politische Beobachter, habe Donald Trump eigentlich nur ein großes Wählerreservoir: die weiße männliche Unterschicht und untere Mittelschicht. Mit allen anderen Wählern habe er es sich verdorben, besonders mit Frauen, Schwarzen und Latinos. Daher habe Trump bei der Wahl am 8. November auch keine Chance. Aber gar so einfach ist es wohl nicht. Bei den Vorwahlen im demokratischen New York hat er nicht nur mit 61 Prozent triumphiert, sondern in allen demographischen Gruppen gewonnen – bei reichen und gebildeten Wählern sogar besonders deutlich.

Clinton braucht die Obama-Koalition

„The election is Hillary Clinton’s to lose“, meinen praktisch alle Kommentatoren. Soll heißen: Trump kann die Wahl nicht gewinnen, Clinton kann sie höchstens verlieren. Um erfolgreich zu sein, braucht Clinton die sogenannte Obama-Koalition, jene überwältigende Mehrheit bei jungen Wählern, Frauen, Schwarzen und Latinos, die 2008 und 2012 Obama zum Sieg verholfen hat. Weil Trump den Vorsprung der Republikaner unter weißen männlichen Wählern noch ausbauen konnte, ist Hillary Clinton 2016 noch mehr auf jene Obama-Koalition angewiesen. Nur: Kann die Obama-Koalition ohne ihr Idol überdauern? Kann Hillary Clinton sie mobilisieren?

Ausgerechnet schwarze Wähler könnten für Trumps Anti-Einwanderungsrhetorik empfänglich sein.

Sicher ist das nicht. In den demokratischen Vorwahlen sind die jungen Wähler zu Clintons sozialistischem Gegenkandidat Bernie Sanders geströmt. Vieler seiner Positionen ähneln denen von Trump. Bei jungen Frauen ist Hillary Clinton nicht besonders populär. Schwarze haben 2008 und 2012 zu 99 Prozent für „ihren“ Kandidaten Obama gestimmt. Aber wählen die jetzt zwangsläufig alle eine reiche weiße Frau? Zumal es ihnen nach acht Jahren Obama nicht besser geht, sondern eher schlechter: fast elf Prozent Arbeitslosigkeit und brutale Kriminalität in den schwarzen Innenstädten. Niemand leidet so sehr unter der Konkurrenz durch millionenfache illegale Einwanderung in die USA wie Schwarze am unteren Ende der Einkommensskala: Unter Schwarzen ist die Beschäftigungsrate in den letzten Jahren um 18 Prozentpunkte gesunken. Somit könnten ausgerechnet schwarze Wähler für Trumps Anti-Einwanderungsrhetorik durchaus empfänglich sein.

Sicher ist: Latinos, die heute 18 Prozent der Wählerschaft stellen, werden am 8. November eine wahlentscheidende Rolle spielen. Überhaupt nicht sicher ist dagegen, dass sie alle eingeschworene Trump-Gegner sind. Aktuellen Umfragen zufolge rangiert für Latinos das Thema Einwanderung erst auf Rang fünf hinter Bildung, Arbeitsplätzen, Gesundheitsversorgung und Haushaltsdefizit. Aufschlussreich ist auch dieser Fakt: Bei der Juni-Vorwahl in New York hat mehr als die Hälfte der republikanischen Latino-Wählerschaft für Trump gestimmt.

Die Wahlbeteiligung wird entscheiden

„Tut mir leid, aber ich glaube, Trump wird sicher gewinnen“, prophezeite Ende Juli ausgerechnet der linke Filmemacher und Polit-Provokateur Michael Moore und verwies auf die Stimmung in den Rust Belt-Staaten, seine Heimat: „An den Vorwahlen in Michigan haben dieses Jahr mehr Republikaner teilgenommen als Demokraten.“ Auch am 8. November wird die Wahlbeteiligung alles entscheiden, vor allem die der weißen Wahlberechtigten. „Wenn die Wahlbeteiligung 70 Prozent weiß ist, dann sieht es für Clinton gut aus“, schreibt ein Wahlforscher der Demokraten. „Wenn sie 74 Prozent weiß ist, dann mache ich mir große Sorgen.“

-Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin-

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