Handelsstreit: US-Präsident Donald Trump und Chinas Prasident Xi Jinping. (Bild: REUTERS/Kevin Lamarque)
China-USA

Droht ein neuer Kalter Krieg?

Gastbeitrag Was als Handelskonflikt zwischen den USA und China begann, könnte zu einem dauerhaften Zustand gegenseitiger Feindseligkeit eskalieren – mit massiven globalen Folgen. Aus dem BAYERNKURIER-Magazin von Nouriel Roubini.

Vor einigen Jahren traf ich im Rahmen einer westlichen Delegation in China Präsident Xi Jinping in der Großen Halle des Volkes in Peking. In seiner Ansprache erklärte Xi, dass Chinas Aufstieg friedlich verlaufen würde und dass andere Länder – namentlich die Vereinigten Staaten – sich keine Sorgen um die „Thukydides-Falle“ machen müssten, die nach dem griechischen Historiker benannt ist, der aufzeichnete, wie Spartas Angst vor einem aufstrebenden Athen den Krieg zwischen den beiden unausweichlich machte. In seinem Buch „Destined for War: Can America and China Escape Thucydides’s Trap?“ untersucht Graham Allison von der Harvard University 16 Rivalitäten aus früheren Zeiten zwischen einer aufstrebenden und einer etablierten Macht und stellt fest, dass zwölf von ihnen zu einem Krieg führten. Xi wollte zweifellos, dass wir unser Augenmerk auf die restlichen vier richten.

Ein Kalter Krieg könnte eine Spaltung der Weltwirtschaft in zwei unvereinbare Wirtschaftsblöcke einleiten.

Nouriel Roubini

Obwohl sich beide Seiten der Thukydides-Falle bewusst sind – und trotz der Erkenntnis, dass Geschichte nicht deterministisch ist –, scheinen China und die USA in die Falle zu geraten. Auch wenn ein heißer Krieg zwischen den beiden Großmächten der Welt immer noch weit hergeholt scheint, wird ein Kalter Krieg immer wahrscheinlicher.

Die USA geben China die Schuld an den aktuellen Spannungen. Seit seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 hat China die Vorteile des globalen Handels- und Investitionssystems genutzt, ohne seinen Verpflichtungen nachzukommen, und die chinesische Regierung versteht es, die Spielräume der WTO-Regeln für sich zu nutzen. Den USA zufolge hat sich China durch Diebstahl geistigen Eigentums, erzwungene Technologietransfers, Subventionen für inländische Unternehmen und andere Instrumente des Staatskapitalismus einen unfairen Vorteil verschafft. Gleichzeitig wird die Regierung immer autoritärer und verwandelt China in einen orwellschen Überwachungsstaat.

Sanktionen gegen China

Die Chinesen ihrerseits haben den Verdacht, dass die USA eigentlich das Ziel verfolgen, sie daran zu hindern, weiter aufzusteigen oder legitimen Einfluss im Ausland geltend zu machen. Aus ihrer Sicht ist es nur vernünftig, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt (gemessen am BIP) versucht, ihre Präsenz auf der Weltbühne auszubauen. Und die chinesische Führung würde argumentieren, dass ihr Regime den materiellen Wohlstand von 1,4 Milliarden Chinesen weitaus stärker verbessert hat, als es die festgefahrenen politischen Systeme des Westens jemals könnten.

Unabhängig davon, welche Seite die stärkeren Argumente hat, mag die Eskalation der wirtschaftlichen, handelspolitischen, technologischen und geopolitischen Spannungen unvermeidlich gewesen sein. Was als Handelskrieg begann, droht nun zu einem dauerhaften Zustand gegenseitiger Feindseligkeit zu eskalieren. Dies spiegelt sich in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Regierung Trump wider, die China als strategischen „Konkurrenten“ erachtet, der an allen Fronten in Schach zu halten ist.

Dementsprechend schränken die USA chinesische Direktinvestitionen in sensiblen US- Sektoren stark ein und führen andere Maßnahmen durch, um die westliche Dominanz in strategischen Branchen wie Künstliche Intelligenz und 5G sicherzustellen. Sie drängen Partner und Verbündete, sich nicht an der Initiative „Neue Seidenstraße“ zu beteiligen, Chinas gewaltigem Programm zum Bau von Infrastrukturprojekten von Asien bis nach Europa und Afrika. Und sie verstärken die Patrouillen der US-Marine im Ost- und Südchinesischen Meer, wo China seine zweifelhaften Gebietsansprüche aggressiver geltend macht.

Weltweite Auswirkungen

Die globalen Folgen eines sino-amerikanischen Kalten Krieges wären noch gravierender als die des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Während die Sowjetunion eine sich dem Ende nähernde Macht mit einem versagenden Wirtschaftsmodell war, wird China bald zur größten Volkswirtschaft der Welt werden und von dort aus weiter wachsen. Darüber hinaus haben die USA und die Sowjetunion sehr wenig miteinander gehandelt, während China vollständig in das globale Handels- und Investitionssystem integriert und insbesondere mit den USA eng verflochten ist.

In dieser balkanisierten Welt werden China und die USA erwarten, dass sich alle anderen Länder für eine Seite entscheiden.

Nouriel Roubini

Ein ausgewachsener Kalter Krieg könnte also eine neue Phase der Entglobalisierung oder zumindest eine Spaltung der Weltwirtschaft in zwei unvereinbare Wirtschaftsblöcke einleiten. In beiden Szenarien wäre der Handel mit Waren, Dienstleistungen, Kapital, Arbeit, Technologie und Daten stark eingeschränkt, und die digitale Welt würde zum „Splinternet“ werden, in dem westliche und chinesische Netzwerkknoten keine Verbindung miteinander eingehen. Nachdem die USA nun Sanktionen gegen ZTE und Huawei verhängt haben, wird China sich darum bemühen, dass seine Technologieriesen wesentliche Produktionsfaktoren im Inland oder zumindest von befreundeten Handelspartnern beziehen können, die nicht von den USA abhängig sind.

Der unpassierbare Mittelweg

In dieser balkanisierten Welt werden China und die USA erwarten, dass sich alle anderen Länder für eine Seite entscheiden, während die meisten Regierungen versuchen werden, das Kunststück zu vollbringen, gute wirtschaftliche Beziehungen zu beiden zu unterhalten. Schließlich machen viele US-Verbündete heute mehr Geschäfte (in Bezug auf Handel und Investitionen) mit China als mit Amerika. Doch in einer künftigen Wirtschaft, in der China und die USA den Zugang zu entscheidenden Technologien wie KI und 5G getrennt kontrollieren, wird der Mittelweg höchstwahrscheinlich unpassierbar sein. Alle werden sich entscheiden müssen, und es kann gut sein, dass in der Welt ein langer Prozess der Entglobalisierung einsetzt.

Ein heißer Krieg kann nicht ausgeschlossen werden.

Nouriel Roubini

Was auch immer geschieht, die sino-amerikanischen Beziehungen werden das zentrale geopolitische Thema dieses Jahrhunderts sein. Ein gewisses Maß an Rivalität ist unvermeidlich. Aber im Idealfall würden beide Seiten einen konstruktiven Umgang wählen, der die Zusammenarbeit bei einigen Themen und gesunden Wettbewerb bei anderen vorsieht. Faktisch würden China und die USA eine neue internationale Ordnung schaffen, die auf der Erkenntnis beruht, dass der (unausweichlich) aufstrebenden neuen Macht eine Rolle bei der Gestaltung globaler Regeln und Institutionen eingeräumt werden sollte.

Wenn die Beziehungen schlecht gehandhabt werden – und die USA versuchen, die Entwicklung Chinas entgleisen zu lassen und seinen Aufstieg einzudämmen, und China seine Macht in Asien und auf der ganzen Welt aggressiv geltend macht –, wird es zu einem umfassenden Kalten Krieg kommen und ein heißer Krieg (oder eine Reihe von Stellvertreterkriegen) kann nicht ausgeschlossen werden. Im 21. Jahrhundert würde die Thukydides-Falle nicht nur die USA und China, sondern die ganze Welt verschlingen.

Der Autor

Nouriel Roubini ist Professor an der Stern School of Business der New York University. Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

Copyright: Project Syndicate, 2019. „http://www.project-syndicate.org“