Mit Geheul: ein Rudel europäischer Grauwölfe in der nordbayerischen Wildnis. (Foto: Imago/Blickwinkel)
Wildtiere

Biss zum Morgengrauen

Das aktuelle "Wolfsmonitoring" des Bundesamtes für Naturschutz belegt: Im Freistaat leben nur wenige Wölfe, es werden auch nicht mehr. Die Furcht von Landwirten vor dem Raubtier wächst sich dagegen zur irrationalen Existenzangst aus.

Angst löst in der Politik manchmal mehr aus als Tatsachen. Dieses Phänomen ist auch im Fall des Wolfs zu beobachten, dessen massenhafte Zuwanderung nach Bayern ein Teil der Landwirte befürchtet. Auch bei der diesjährigen Hauptalmbegehung im Hochsommer, zu welcher der Almwirtschaftliche Verein Oberbayern wie in den Vorjahren zahlreiche Politiker eingeladen hatte, war eines der Dauerbrennerthemen: Wölfe, die angeblich immer mehr Weidetiere reißen. Ob denn erst ein Kind zum Opfer werden müsse, ehe die Politik das Raubtier endlich zum Abschuss freigebe, fragten manche der Almbauern in Alarmstimmung.

Fangen statt schießen

Einer wie der langjährige Umweltminister Marcel Huber bewies bei dem Termin 2018 einigen Mut, den Aufgebrachten zu entgegnen: Dem Abschuss stünde das Artenschutzrecht entgegen, das bedrohte Tierarten wie den Wolf streng beschütze. Erst mal sollten Nutztierhalter versuchen, etwaige Räuber zu vergraulen oder einzufangen, ehe sie zur Flinte greifen.

Im Juli 2019 nun versuchte Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber die Gemüter zu beruhigen. Mit dem Hinweis, die Staatsregierung habe den „Aktionsplan Wolf“ verfasst, demzufolge „die Wolfspopulation in Bayern auf das artenschutzrechtlich Erforderliche zu begrenzen“ ist. Beim gemeinsamen Aufstieg mit den Landwirten von Mittenwald kam ihnen die Ministerin argumentativ ein Stückchen entgegen: Die Weidewirtschaft werde durch die Zuwanderung von Wölfen bedroht.

Ein einziges Rudel im Freistaat

Doch wie ist die Faktenlage? Das diesjährige „Wolfsmonitoring“, dessen Ergebnisse das Bundesamt für Naturschutz soeben veröffentlicht hat, liefert für Bayern jedenfalls keine Anhaltspunkte für diese Beschreibung. Die Daten, welche die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) dafür zusammengetragen hat, widersprechen den von Landwirten befürchteten Gefahren sogar: Demnach leben im Freistaat gerade einmal ein Rudel, sowie ein Wolfspaar und zwei Einzeltiere. Eine verschwindend geringe Menge im Vergleich zu 41 Rudeln in Brandenburg, 22 in Sachsen und 21 in Niedersachsen.

Auch die Schäden sind im nord- und ostdeutschen Raum wesentlich größer als im Süden. So töteten Wölfe im Zeitraum 2018/19 laut der behördlichen Zählung in Niedersachsen 494 Weidetiere, in Sachsen 419 und in Brandenburg 401. Während in Bayern 14 Schafe und Rinder einem Wolfsbiss zum Opfer fielen, gegenüber vier Tieren 2017 und zweien 2016. Obendrein ist die Zahl der Wölfe, welche die DBBW im Freistaat zählt, in den vergangenen Jahren konstant geblieben. In den drei wesentlich stärker betroffenen Bundesländern Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen dagegen wächst die Population – von 57 Rudeln noch im Vorjahr auf derzeit 84.

Wölfe kennen keine Grenzen, ihre Zuwanderung kann die EU nur gemeinsam lösen.

Michaela Kaniber, Agrarministerin

Für den Abschuss der gefürchteten Raubtiere benutzt der von Ministerin Kaniber propagierte „Aktionsplan Wolf“ den bürokratischen Begriff „Entnahme“. Angesichts der zumindest statistisch kaum zu erkennenden Gefahr hält der Plan fest: „Die Entnahme bzw. Tötung eines Wolfes im Rahmen des Managements“ sei nur denkbar, wenn dieser sich aggressiv gegenüber Menschen verhält oder nach erwiesenen Schäden an Nutztieren „zumutbare Alternativen“ wie Einfangen oder Vertreiben erfolglos geblieben sind. Der eigenmächtige Abschuss von Wölfen, so stellt der Aktionsplan klar, sei nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sondern nach dem Bundesnaturschutzgesetz sogar strafbar.

Bei einer Ausweitung des so genannten Wolfsmanagements setzt Agrarministerin Kaniber auf die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen: „Auf Dauer kann Deutschland nicht darauf verzichten: eine schadensunabhängige selektive und beschränkte Entnahme unter strenger staatlicher Kontrolle, um regulieren und steuern zu können, also wirkliches Wildtiermanagement zu betreiben.“ Also ein staatlich überwachter Abschuss in bestimmten Fällen, auch wenn noch gar keine Schäden entstanden sind. Das mag die Ängste von aufgebrachten Landwirten vorerst befrieden. Die Notwendigkeit einer solchen Verschärfung scheint in Bayern angesichts der wenigen behördlich gezählten Wölfe und Wolfsschäden allerdings schlicht nicht gegeben – zumindest derzeit.