Angekommen: Almbauern-Burschen erreichen bei der diesjährigen Hauptalmbegehung die schattige Terrasse der Gindlalm. (Fotos: G.Dolak)
Landwirtschaft

Die mit dem Wolf kämpfen

Auf ihrer Hauptalmbegehung wettern Oberbayerns Almbauern gegen das Raubtier, von dem sie Kühe und Schafe bedroht sehen. Ministerpräsident Markus Söder kündigt einen "pragmatischen Weg" an - zwischen ihrem Wunsch nach Abschuss und dem Artenschutz.

Auf dem Pfad hinauf zur Kreuzbergalm sind alle 900 Almhirten, Bergbauern, Bäuerinnen, Hüttenwirtinnen daran vorbeigestiegen: diesem übermannshohen Maschendrahtzaun, den der Almwirtschaftliche Verein Oberbayern am Wegesrand errichtet hat. Halb zur Demonstration, halb zum Fürchten. „Wölfe überwinden 2 Meter Zaunhöhe“, warnt eine Tafel am Zaun. Die befürchtete Ankunft des Canis lupus in bayerischen Gefilden beherrscht wie kein anderes Thema die diesjährige Hauptalmbegehung über den Höhenzug zwischen Schliersee und Tegernsee, auf der die Almer auf ihre drängendsten Probleme hinweisen wollen.

Vorbei am großen Wolf-Zaun

Auch die beiden Landwirte Anton Mayr und Hans Höck aus Eschenlohe sind in der knallheißen Sonne an dem Weidezaun vorbei nach oben gelaufen. Zwischen ihren Kollegen aus dem Chiemgau, dem Berchtesgadener Land, dem Oberland hocken sie nun bester Laune vor der Almhütte und löschen ihren Durst mit Radler. Ihre Mine verfinstert sich jedoch rasch, wenn sie vom natürlichen Feind ihrer Tiere reden. „Der Wolf! Er steht unter Naturschutz. Aber wir erwarten, dass wir ihn schießen dürfen“, formuliert Mayr, 51. Seinen Grant erregt auch, „dass das Thema tot geschwiegen wird“, wie er glaubt.

Rund 200 Kälber und 250 Schafe haben er und Nachbar Höck zusammen mit 27 weiteren Betreibern sommers auf der „Eschenloher Kuhalm“ stehen. Ein einziger Hirte bewacht sie, auf circa 400 Hektar Weidefläche. „Das ist Hochleistungssport. Alle zwei Tage steigt er herum und zählt sie“, berichtet Mayr. Ein so großes Areal lasse sich nicht mit einem so aufwendigen Hindernis einzäunen, wie es weiter unten am Weg steht.

Wenn tote Viecher herumliegen, sollen wir beweisen, dass ein Wolf sie totgebissen hat.

Anton Mayr, Landwirt

Auf genauere Nachfrage bei Mayr und etlichen anderen mitgewanderten Almbauern stellt sich allerdings heraus: Gesichtet hat noch keiner der Befragten einen Wolf. Auch eigene Schäden, tote oder verletzte Weidetiere, benennt keiner. Der Wolf scheint zunächst als Befürchtung in die bayerischen Alpen einzuwandern. Nachgewiesen haben Experten ihn bislang in Oberfranken und in der Oberpfalz, im Bayerischen Wald. Einzelne Wanderwölfe sind etwa am Starnberger See in Fotofallen getappt. Eigentlich gilt das Tier seit 1882 in Bayern als ausgerottet.

Spagat zwischen Artenschutz und Viehwirtschaft

Die mit zur Kreuzbergalm heraufgestiegene Polit-Prominenz aus der Staatsregierung bemüht sich, den Spagat zwischen den Sorgen der Almer und den Anliegen von Artenschützern zu meistern. Umweltminister Marcel Huber kündigt an, eine Weidekommission solle prüfen, auf welchen Almen ein Schutz von Kühen oder Schafen vor dem Wolf nicht möglich ist. Dort könnte er dann trotz strengen Schutzes vergrämt, gefangen oder womöglich sogar abgeschossen werden. Ministerpräsident Markus Söder ruft in die Menge: „Die Alm ist bislang auch ohne den Wolf ausgekommen.“ Die Alpen seien „Naturraum, aber auch Lebens- und Wirtschaftsraum“. Es müsse gelingen, beidem gerecht zu werden.

Die Alpen sind Naturraum, aber auch Lebens- und Wirtschaftsraum.

Markus Söder

Für den Jagdeifer der Almer auf das gefürchtete „Großraubtier“ äußert Söder ein gewisses Verständnis. „Die Raubtiere in der Politik nehme ich ausdrücklich aus“, versucht er mit einem Scherz, die Schärfe aus der Debatte zu nehmen. Die Landwirte auf der Kreuzbergalm lachen. Dann setzt sich der 900-Personen-Tross in Bewegung in Richtung Gindlalm hinter dem nächsten Höhenzug.

Im kleinen Bierzelt neben der Hütte spielt die „Agatharieder Tanzlmusi“ auf. 33 Grad im Schatten. Die immer erhitzteren Bauern trinken Mineralwasser, Apfelschorrle, Bier. Dazu Bratwürste und Halsgräter vom Grill. Auf der Terrasse der Alm singen sie Volkslieder zur Ziehharmonika. Ein paar Viehhirten beraten über den korrekten Schnitt eines kerzengeraden Haselstocks.

1400 Almen in den bayerischen Alpen

Bei einer kurzen Ansprache im Zelt geht Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber noch mal auf das Problemtier der Almer ein. „Beim Wolf muss klar sein: Der Artenschutz ist zu respektieren.“ Mäßige Begeisterung. Ministerin Kaniber regt ein „europäisches Monitoring“ an, um Fakten zu sammeln, wo der Wolf tatsächlich heimisch wird, wie die Rudel über den Kontinent wandern. „Aber es gibt Gebiete wie unseres, da hat er eigentlich nichts verloren.“ Großer Beifall.

Die 1400 bayerischen Almbetriebe – so Kaniber, „schmücken unser Land und machen es mit viel harter Arbeit noch schöner“. Hohe Summen aus EU- und Landestöpfen würden ausgeschüttet, damit Bergbauern die Natur hegen und davon leben können. Ohne grasende Milchkühe würde nämlich die Landschaft, die auch viel Fremdenverkehr anlockt, innerhalb kürzester Zeit verwildern. Und da kommt die Agrarpolitikerin auf ein weiteres Problemthema ihrer Gastgeber zu sprechen: Den zunehmenden Bergtourismus, den das Trendsportgerät der Gegenwart ermöglicht – das Elektrorad.

Respekt für die Bergbauern

Neben Wanderern und ohnehin schon umstrittenen Mountainbikern fahren inzwischen auch weniger sportliche Urlauber mit E-Bikes auf die Gipfel. Als Gäste auf den Almen mit Gastronomie sind sie gerne gesehen. Weniger freundlich werden sie empfangen, wenn sie mit ihren geländegängigen Breitreifen von den Wegen abweichen und durch die freie Natur brettern.

Michaela Kaniber, Wirtstochter aus Bad Reichenhall, lobt den Fremdenverkehr in den Alpen. „Aber die Besucher sollten Respekt für die Wälder, die Almen, die Bauern zeigen. Es kann nicht sein, dass sie mit E-Bikes einfach die Weiden überqueren.“ Und an dieser Stelle fällt der Beifall des Publikums noch wesentlich beherzter aus als beim Reizthema Wolf.