Eine App suggeriert, jeder könne sich seine eigene SPD stricken. Die SPD-eigene Doppelmoral gibt's kostenlos dazu. (Symbolfoto: Imago/photothek)
SPD

Wer im Glashaus sitzt …

Die SPD kritisiert den angeblich zu nachsichtigen Umgang der konservativen EVP mit der ungarischen Fidesz-Partei. Doch die Genossen haben in ihrer europäischen SPE-Fraktion gleich mehrere schwarze Schafe.

Kein Zweifel: Viktor Orban ist kein lupenreiner Demokrat, wie es SPD-Kanzler Gerhard Schröder einst dem russischen Diktator Wladimir Putin bescheinigte. Aber wo in Osteuropa, abgesehen vom Baltikum, findet man derzeit solche Vorzeigepolitiker?

So betreibt die SPD ein gefährliches Spiel mit ihrer Kritik an der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Deren Vorstand hatte mit großer Mehrheit die Mitgliedschaft der ungarischen Fidesz-Partei auf Eis gelegt. Doch dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil genügt das nicht: Er nannte die Entscheidung einen „faulen Kompromiss“ und behauptete, bei der EVP-Entscheidung gehe es nicht um Europa oder die Demokratie. „Hier geht es um einen schmutzigen Deal im Wahlkampf.“

Der Sozialdemokrat muss es wissen: Hat doch seine eigene EU-Dachorganisation, die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE), selbst mindestens drei Schmuddelkinder, die weder demokratischen noch europäischen oder auch nur sozialdemokratischen Ansprüchen gerecht werden: Die rumänische Regierungspartei „Partidul Social Demokrat“ (Sozialdemokratische Partei, PSD), die bulgarische „Bulgarska Sotsialisticheska Partiya“ (Bulgarische Sozialistische Partei, BSP) und die slowakische „Smer“, offiziell „Smer Sociálna demokracia“ (Richtung Sozialdemokratie).

Rumänien: Hort der Korruption

Die PSD in Rumänien gilt zusammen mit zwei verbündeten Parteien als Hort der Korruption, als Sammelbecken der Profiteure von Ion Iliescus besonderer „Coupon-Privatisierung“ – mithin aller derjenigen, die die rumänische Volkswirtschaft schamlos ausgeplündert und alle politischen Regeln zu ihren Gunsten zurecht gebogen haben. Parteichef Liviu Dragnea ist einschlägig vorbestraft – 2016 wurde er wegen Wahlfälschung zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, weswegen er nicht selbst Regierungschef werden konnte. Als PSD-Chef und Parlamentspräsident hält er aber dennoch die Zügel der Regierung fest in der Hand, die rasch wechselnden PSD-Ministerpräsidenten Rumäniens gelten lediglich als Dragneas Marionetten. Erschwerend kommt hinzu, dass Rumänien derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat – wegen eben dieser PSD-Regierung befürchten zahlreiche Kommentatoren schwere Schäden und Chaos für die ganze EU. Der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission für Rumänien fiel in Sachen unabhängige Justiz und Rechtsstaat entsprechend miserabel aus. Auch Einschüchterungsversuche der rumänischen Regierung gegen eine Gruppe investigativer Journalisten kommen in dem Bericht vor.

Eines der wichtigsten Ziele der PSD – bereits in der früheren Regierungszeit unter Victor Ponta (2012-2015) und verstärkt seit dem Wahlsieg von 2016 – war und ist, die rumänische Justiz unter die Kontrolle der Politik zu bekommen, mithin also unter eigene Kontrolle. Das hat besonders für Dragnea ganz eigennützige Gründe, denn ihm droht mehrjährige Haft: Er wurde im Juni 2018 wegen Amtsmissbrauchs zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, das Urteil ist indes noch nicht rechtskräftig – da könnte eine willfährige Justiz helfen. Zudem steht noch ein weiterer Prozess aus wegen des Verdachts auf Veruntreuung von EU-Geld in Millionenhöhe von rund 21 Millionen Euro. Hier hat sich die europäische Behörde für Betrugsbekämpfung OLAF eingeschaltet. Dragneas großer Einfluss stützt sich auch darauf, dass viele andere PSD-Politiker ähnliche Schwierigkeiten haben. Hunderttausende meist junge Rumänen protestieren seitdem regelmäßig gegen die Korruption der eigenen Regierung und betonen, sie selbst seien Europäer, im Gegensatz zu den „PSD-Gaunern“.

PSD desavouiert oberste Korruptionsbekämpferin

Hauptgegner der PSD waren und sind jeweils die direkt gewählten konservativen Staatspräsidenten: Bis 2014 Traian Basescu, dann Klaus Johannis, ein Siebenbürger Sachse. Symbolfigur dieses Kampfes aber wurde die Staatsanwältin und frühere Chefin der Antikorruptionsbehörde DNA, Laura Codruta Kövesi. Sie wurde nach langem politischem Kampf zwischen PSD-Regierung und Präsident Johannis im Juli 2018 aus dem Amt gedrängt. Die von der PSD durchgedrückte Nachfolgerin hielt der Oberste Richterrat in „wesentlichen Punkten“ für ungeeignet. In Kövesis Amtszeit dagegen wurden seit 2013 laut MDR 37 Amtsträger rechtskräftig wegen Korruption verurteilt. Gegen Dutzende Bürgermeister und Richter wurden Anklagen vorbereitet, über 90 Prozent davon auch verurteilt, zählt der Berliner Tagesspiegel.

Eine Umfrage während Kövesis Amtszeit ergab, dass zwei Drittel aller Rumänen Vertrauen in der Arbeit der DNA hatten – in das Parlament dagegen nur elf Prozent. Jetzt versucht Bukarest, Kövesis sehr aussichtsreiche Bewerbung für das neue Amt des Europäischen Generalstaatsanwalts zu torpedieren, indem eine fadenscheinige Strafanklage gegen sie zusammengeschustert wurde. Denn die PSD-Führung kann sich genau ausrechnen, dass die unerschrockene Korruptionsanklägerin erst recht keine Ruhe gäbe, wenn sie auf europäischer Ebene ohne rumänische Eingriffsmöglichkeiten tätig wäre. Genau an dem Tag, an dem Kövesi sich in Brüssel vorstellen sollte, wurde sie in Bukarest vor Gericht zitiert.

Warum wird die PSD nicht aus der SPE ausgeschlossen?

Das wirft Fragen auf: Wo bleibt wie bei Orban die Aufregung der deutschen Medien darüber, wann fordern sie den Ausschluss der PSD aus der SPE? Liegt es daran, dass Orban einen anderen Kurs in der Migrationsfrage durchsetzt? Und warum lassen die deutsche SPD und die europäische SPE die PSD gewähren?

Denn ganz im Gegenteil verhält sich die SPD überaus freundlich zur PSD: Im rumänischen Präsidentschaftswahlkampf im Oktober 2014 hatte der damalige SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sogar eine Videobotschaft mit den besten Glückwünschen an den PSD-Präsidentschaftskandidaten Victor Ponta veröffentlicht.

Schon im damals gültigen EU-Fortschrittsbericht vom Januar 2014 hätte Gabriel aber nachlesen können, dass die Regierung des damaligen PSD-Premierministers Ponta große „Sorge“ auslöst hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz und dass „Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen auf Widerstand stoßen“. Außerdem kritisierte die EU-Kommission die „übereilte und intransparente Änderung des Strafgesetzbuchs“. Schon nach den Präsidentschaftswahlen vom November 2014 warfen Tausende Demonstranten Pontas Regierung Wahlmanipulation vor, ab Sommer 2015 ermittelte die Antikorruptionsbehörde DNA gegen Ponta wegen Korruption, im November 2015 trat er dann endlich zurück.

Bulgarien: Verbindungen in die Halbwelt

Auch die bulgarische BSP ist keine musterdemokratische Partei. Aus ihr stammt gar der derzeitige Vorsitzende der SPE, Sergej Stanischew. Die BSP ist derzeit in der Opposition. Aber vor zehn Jahren, als Stanischew Ministerpräsident war, galt Bulgarien als derart korrupt, dass dem Land kurz nach dessen Beitritt wegen zahlreicher Korruptionsfälle die EU-Mittel suspendiert wurden. Unvergessen auch die Affäre, die 2013 zu Massenprotesten zehntausender Demonstranten in Sofia führte: Stanischew zog im Hintergrund die Fäden beim Versuch, einen laut FAZ „zwielichtigen Unternehmer mit mutmaßlichen Verbindungen zur Mafia“ als Chef des Inlandsgeheimdienstes einzusetzen.

Doch auch in diesem Fall gab es eine ganz besondere Genossen-Solidarität: Der damalige EU-Parlamentspräsident und nachmalige SPD-Chef Martin Schulz nahm Stanischew gegen die Vorwürfe der Demonstranten sogar in Schutz – und das, obwohl Stanischew die Protestler wüst beschimpfte. Bis heute haben diese bulgarischen Affären SPE-intern keinerlei Konsequenzen.

Slowakei: Koalition mit Rechtsextremen

Schließlich die slowakische „Smer“. Sie wurde von der SPE immerhin vor zehn Jahren einmal suspendiert – aber nicht wegen Korruption, sondern aus Gründen ideologischen Abweichlertums: Die „Smer“ koalierte damals mit Rechtsextremen. Tempi passati, vergangene Zeiten. 2018 freilich fielen erneut Schatten auf die Smer – im Zusammenhang mit der Ermordung des Investigativ-Journalisten Ján Kuciak. Mutmaßliche Hintermänner der Tat sollen Verbindungen bis in die Regierung gehabt haben, so behaupteten es Medienberichte und zehntausende Demonstranten, die auch gegen die „Smer“-Partei protestierten. In diesem Zusammenhang ist allerdings noch kein Aufschrei der SPD oder der SPE vernommen wurden.

„Moral ist nur erträglich, wenn sie doppelt ist“, sang einst der Kölner Kabarettist und Karnevalist Jürgen Becker. SPD und SPE geben ein Beispiel, dass dieser Text noch aktuell ist.