So sehen Sieger aus: Das neue SPD-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (M.). Rechts Olaf Scholz und Klara Geywitz, links Malu Dreyer und Lars Klingbeil. (Bild: imago images/auslöser-photographie)
GroKo

Neue SPD-Spitze sorgt für Unruhe

Die Wahl einer neuen SPD-Spitze stellt die Fortsetzung der großen Koalition in Berlin infrage: Die Union wies am Sonntag Forderungen des neuen SPD-Führungsduos nach Nachverhandlungen des Koalitionsvertrages zurück.

Mit den designierten Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans deutet sich ein Linksruck bei der SPD an. Die Wahl der neuen SPD-Spitze bringt deshalb schon jetzt Unruhe in die Fortsetzung der großen Koalition in Berlin.

Wir sind keine Therapieeinrichtung für die jeweiligen Koalitionsregierungsparteien.

Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU

Die Union wies am Sonntag Forderungen der neuen SPD-Doppelspitze nach Nachverhandlungen des Koalitionsvertrages zurück. Walter-Borjans und Esken hatten zuvor angekündigt, dass sie etwa das Klimapaket nachbessern, mehr Investitionen von 45 Milliarden Euro pro Jahr unter Preisgabe der Schwarzen Null und einen höheren Mindestlohn durchsetzen wollen. CDU-Chefin Annegret Kamp-Karrenbauer betonte, dass die Union an der Koalition festhalten wolle, aber nicht zu jedem Preis.

Neues SPD-Duo

Das Duo Esken/Walter-Borjans hatte sich im SPD-Mitgliederentscheid mit gut 53 Prozent gegen Finanzminister Olaf Scholz und Klara Geywitz durchgesetzt, die nur auf 45,33 Prozent kamen. Trotz der schweren Niederlage will Scholz zumindest vorerst im Amt bleiben. Erste Weichenstellungen sollen am Dienstag in einer Sitzung des erweiterten SPD-Präsidiums getroffen werden, das sich mit der Halbzeitbilanz der Koalition und einer Empfehlung für den am Freitag beginnenden dreitägigen Bundesparteitag befassen soll.

Einfach nur ‚raus, raus, raus‘ zu sagen, löst aber noch kein Problem, weil man ja ein paar Folgefragen beantworten muss.

Kevin Kühnert, SPD

Esken sagte am Abend in der ARD, dass der Parteitag nicht unbedingt eine Entscheidung über die große Koalition treffen müsse, sondern auch erst einmal ein Verhandlungsmandat mit der Union geben könne. Sie kündigte an, man werde auf dem Parteitag „anhand konkreter inhaltlicher Forderungen“ über Chancen zur Fortführung der Koalition debattieren. Esken plädierte unter anderem für „massive Investitionen“. Walter-Borjans sagte: „Wir werden sagen, was wir an Positionen durchsetzen wollen.“ Sollte die Union Nachverhandlungen ablehnen, wollen beide ihrer Partei den Rückzug aus der Koalition empfehlen, das hatten sie schon während des Mitgliedervotums gesagt. „Wenn dann eine Blockadehaltung beim Koalitionspartner da ist für diese neuen Aufgaben, dann muss man die Entscheidung treffen, dass es nicht weiter geht“, sagte Walter-Borjans am Sonntagabend in der ARD.

„Einfach nur ‚raus, raus, raus‘ zu sagen, löst aber noch kein Problem, weil man ja ein paar Folgefragen beantworten muss“, warnte sogar der notorische GroKo-Kritiker und Juso-Chef Kevin Kühnert im ZDF. Er nannte im ZDF die Unternehmenssteuer, den Soli und Auslandseinsätze als Projekte zur Neuverhandlung. SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs mahnte aber: „Wenn wir ein Entgegenkommen der Union bei unseren Themen erwarten, müssen wir auch bereit sein, auf ihre Forderungen einzugehen und zum Beispiel über eine Unternehmensteuerreform reden“, sagte er dem Handelsblatt. Der Staatsminister im Außenministerium, Michael Roth (SPD), warf Esken und Walter-Borjans vor, sie knüpften die Fortsetzung der großen Koalition an unerfüllbare Forderungen. „Dabei haben wir nach dem Durchbruch bei der Grundrente weit mehr erreicht, als im Koalitionsvertrag vereinbart wurde,“ sagte er den RND-Zeitungen.

Neuwahlen vor der Tür?

In so einer Phase, die die Volkswirtschaft unmittelbar betrifft, Neuwahlen zu machen, ist unverantwortlich.

Armin Laschet, CDU

Die CDU will nach dem SPD-Parteitag am 9. Dezember im Präsidium und dann am 10. Dezember in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion entscheiden, wie sie weiter vorgehen will. CDU-Vize Armin Laschet warnte im Deutschlandfunk vor einem Bruch der Koalition. Für die Bundesländer sei es sehr wichtig, dass der Kohleausstieg oder das Klimapaket umgesetzt würden. „In so einer Phase, die die Volkswirtschaft unmittelbar betrifft, Neuwahlen zu machen, ist unverantwortlich“, sagte er. Laschet verwies auch auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli 2020 beginnt.

Bloß weil ein Parteivorsitzender wechselt, verhandelt man keinen Koalitionsvertrag neu.

Markus Söder

Auch CSU-Chef Markus Söder lehnt die geforderte Neuverhandlung des Koalitionsvertrags ab. „Bloß weil ein Parteivorsitzender wechselt, verhandelt man keinen Koalitionsvertrag neu“, sagte der bayerische Ministerpräsident im ZDF. In einer Koalition sei es selbstverständlich, dass man miteinander rede. Es werde aber nicht einfach neu verhandelt. Schon gar nicht würden aber Forderungen diskutiert, „die rein ideologisch motiviert sind und die dazu dienen, einen Wahlkampf abzufedern“.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat den Wunsch der künftigen SPD-Spitze nach Neuverhandlungen des Koalitionsvertrags vehement zurückgewiesen. „Wir sind keine Therapieeinrichtung für die jeweiligen Koalitionsregierungsparteien“, sagte sie am Montag im ZDF. Der Koalitionsvertrag sei die „Grundlage, auf der wir arbeiten“ und gelte für die gesamte Legislaturperiode. „Darauf konzentrieren wir uns und nicht auf Befindlichkeiten des einen oder anderen Koalitionspartners.“ Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat die designierte neue SPD-Führung vor einem Linksruck in der Finanzpolitik gewarnt. Die Zusage, keine neuen Schulden zu machen, sei eines der wichtigsten Versprechen der Union im Wahlkampf gewesen, sagte Altmaier dem Handelsblatt.

Unruhe in der Union

Tatsächlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Zur Mitte der Legislaturperiode wird eine Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages erfolgen, inwieweit dessen Bestimmungen umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.“

In der Union werden nun vier Entwicklungen für denkbar gehalten: Eine Einigung mit der SPD über die weitere Umsetzung des Koalitionsvertrages mit neuen Elementen für beide Seiten. Sollte die große Koalition zerbrechen, werden als mögliche Optionen eine Minderheitsregierung der Union, ein Jamaika-Bündnis oder Neuwahlen gesehen. In Umfragen steht die SPD bei 13 bis 15 Prozent und damit weit unter ihrem Bundestagswahlergebnis von 20,5 Prozent 2017.

Auf dem am Freitag beginnenden SPD-Parteitag in Berlin werden weitere Entscheidungen erwartet. So werden auch die Posten der stellvertretenden Parteivorsitzenden neu gewählt. Neben Kühnert und Arbeitsminister Hubertus Heil gilt auch die unterlegene Klara Geywitz nach Informationen des RND als aussichtsreich. Die ostdeutschen SPD-Verbände wollten die Brandenburgerin für den stellvertretenden Parteivorsitz nominieren.

(dpa/BK)