Streit um EU-Flüchtlingsquoten
Die EU-Kommission will 40.000 Bootsflüchtlinge von Italien und Griechenland auf andere EU-Mitgliedsländer umverteilen. Aus einigen Mitgliedsländern kommt Widerstand gegen den Plan. Weil Italien zehntausende Flüchtlinge unregistriert nach Deutschland weitereisen lässt, droht Bayerns Innenminister Joachim Herrman Rom mit einem EU-Vertragsverletzungsverfahren.
Flüchtlingskrise

Streit um EU-Flüchtlingsquoten

Die EU-Kommission will 40.000 Bootsflüchtlinge von Italien und Griechenland auf andere EU-Mitgliedsländer umverteilen. Aus einigen Mitgliedsländern kommt Widerstand gegen den Plan. Weil Italien zehntausende Flüchtlinge unregistriert nach Deutschland weitereisen lässt, droht Bayerns Innenminister Joachim Herrman Rom mit einem EU-Vertragsverletzungsverfahren.

Um die Ankunftsländer Griechenland und Italien zu entlasten, will die EU-Kommission in den nächsten zwei Jahren 40.000 Flüchtlinge auf andere EU-Staaten verteilen – 40 Prozent der Asylbewerber die 2014 beide Länder erreichten. Es geht dabei vor allem um Flüchtlinge aus Syrien und dem nordostafrikanischen Eritrea, die gute Chancen haben, dass ihnen Asyl gewährt werden kann. Dem Brüsseler Verteilungsschlüssel zufolge sollen auf Deutschland 8763 (22,91 Prozent), auf Frankreich 6752 (16,88 Prozent) und auf Spanien 4288 Bootsflüchtlinge entfallen. Bei der Berechnung wurden die Wirtschaftskraft, Bevölkerungszahl und Arbeitslosigkeit der Aufnahmeländer berücksichtigt. Offenbar eine geringere Rolle spielte die Tatsache, dass etwa Deutschland mit über 200.000 Flüchtlingen im vergangenen Jahr die weitaus größte Zahl von Asylantragstellern aufgenommen hat – knapp ein Drittel aller Asylanträge in der Europäischen Union. In Frankreich wurden im gleichen Zeitraum 63.000 Asylanträge gestellt (Le Monde).

Brüssel will außerdem 20.000 wohl vor allem syrische Flüchtlinge aus Lagern außerhalb der EU aufnehmen und ebenfalls verteilen. Die Aufnahmeländer sollen pro Flüchtling 6000 Euro aus Brüssel erhalten. Insgesamt will die Kommission 240 Millionen Euro für das Programm ausgeben.

Widerstand aus ostmitteleuropäischen Ländern

Damit die Kommission ihre Pläne umsetzen kann, müssen die EU-Mitgliedsländer mit der sogenannten qualifizierten Mehrheit – 55 Prozent der Mitgliedstaaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung – zustimmen. Aber dass sie das tun werden, ist alles andere als sicher: Großbritannien, das nicht Mitglied des Schengener Abkommens ist, hat die Kommissionspläne schon abgelehnt. Auch Irland gehört nicht zur Schengenzone. Dänemark hat sich vertraglich Sonderrechte ausbedungen und muss ebenfalls nicht mitmachen. Frankreich und Spanien haben Einwände.

Einwanderungsquoten kommen überhaupt nicht in Frage

François Hollande

Paris plädiert zwar – wie Berlin – für eine „gleichere“ Verteilung der Flüchtlinge in Europa, wendet sich aber strikt gegen eine Gleichbehandlung von regulären Asylbewerbern, Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen. „Einwanderungsquoten kommen überhaupt nicht in Frage, weil wir Regeln haben“, erklärte kürzlich Frankreichs Präsident François Hollande. Sein Premierminister Manuel Valls plädierte nach Bekanntwerden der Kommissionspläne vor 14 Tagen für eine freiwillige Beteiligung der Mitgliedsländer. Entschiedener Widerstand kommt  aus den ostmitteleuropäischen Mitgliedsländern, etwa aus Polen, Tschechien, der Slowakei oder Ungarn. Diese und andere EU-Mitgliedsländer waren bislang nicht Fluchtziel für Flüchtlinge aus Afrika und wollen es auch nicht werden.

„Es ist technisch unmöglich, den Flüchtlingen ein Fluchtziel aufzuzwingen“

Dazu kommt ein praktisches Problem: Die Flüchtlinge werden kaum kooperieren. Sie wollen sich in aller Regel nicht verteilen lassen, sondern haben genaue Vorstellungen, wohin sie wollen – vor allem nach Deutschland, Schweden, in die Niederlande oder ins schwerer zu erreichende Großbritannien. Die Interessen der Flüchtlinge würden nicht berücksichtigt, meint denn auch der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burckhardt: „Kein Syrer, dessen Familie in Deutschland lebt, wird sich freiwillig in Staaten wie Ungarn, Polen oder Estland verteilen lassen. Menschen dürfen nicht wie Stückgut in Europa hin- und hergeschoben werden.“

Die Idee der europäischen Flüchtlingsquoten sei fern jeglichen Realitätssinns, warnte auch schon vor einer Woche die Pariser Tageszeitung Le Figaro: „Es ist technisch unmöglich, den Migranten ein Fluchtziel aufzuzwingen, ohne dann gleichzeitig eine gigantische Polizei-Bürokratie einzurichten.“ Wer sich etwa vom südlichen Afrika bis nach Calais durchgeschlagen habe, werde sich nicht von französischen Behörden davon abhalten lassen, seine Wanderung bis nach Großbritannien fortzusetzen, so das Blatt. Was alles nur bedeutet: Dort, wo schon die meisten Flüchtlinge sind, werden noch mehr hinkommen.

Schon im Juni will die EU ihren Militäreinsatz gegen Schleuserbanden beginnen. Zunächst geht es um die Aufklärung der Aktivitäten der Flüchtlingsschleuser. Danach sollen auf See Schleuserboote durchsucht und beschlagnahmt werden. Pressemeldungen zufolge wird auch über Militäreinsätze zur Zerstörung von Schiffen in libyschen Häfen und an der libyschen Küste nachgedacht. Der EU-Einsatz soll mindestens ein Jahr dauern und sich auf erhebliche militärische Mittel stützen, gibt die Pariser Tageszeitung Le Monde ein 20-seitiges EU-Dokument wieder.

Thomas Kreuzer: „Die Zahlen steigen immer weiter, und das ist auf Dauer nicht zu bewältigen“

Unterdessen griff Bayerns Innenminister Joachim Herrmann die italienische Regierung scharf an. Herrmann wirft Rom vor, zehntausende Flüchtlinge unregistriert und ungehindert nach Deutschland weiterreisen zu lassen. In den ersten vier Monaten des Jahres, so Herrmann, habe die Bundespolizei an der bayerisch-österreichischen Grenze 11.000 illegal eingereiste aufgegriffen, die vor der Einreise nach Deutschland in mindestens zwei Schengen-Ländern gewesen seien. Herrmann: „Das können wir nicht hinnehmen.“ Interessant: Dem Europäischen Auswärtigen Dienst zufolge sollen zwischen Januar und Mai diesen Jahres 10.237 illegale Migranten in Europa angekommen sein, 200.000 weiter seien in Libyen bereit zur Überfahrt (Le Monde). Herrmann fordert die Bundesregierung zu einer harten Gangart gegen Rom auf und brachte sogar ein europäisches Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien ins Gespräch.

Wir finden, dass die Flüchtlinge aus den Booten zwar gerettet, aber zurück nach Afrika gebracht werden sollen

Thomas Kreuzer

Herrmann: „Die ständige Nichteinhaltung des Schengen-Vertrages muss auf europäischer Ebene moniert werden. Ansonsten müsste ein Vertragsverletzungsverfahren erwogen werden.“ Auch der französische Premier Valls forderte kürzlich „Italien und andere“ auf, ihren aus dem Schengener Abkommen resultierenden Pflichten nachzukommen und die Migranten zu „sortieren“: Illegale Zuwanderer müssten in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt und die Anträge von Asylbewerbern vor Ort bearbeitet werden (Le Monde).

Für das gesamte Jahr 2015 rechnet die Bayerische Staatsregierung mit etwa 70.000 Flüchtlingen – doppelt soviele wie 2014. Staatskanzleichef Marcel Huber zufolge kommen derzeit pro Tag etwa 500 Flüchtlinge in Bayern an. Angesichts solcher Zahlen lehnt CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer die Aufnahme von weiteren Bootsflüchtlingen in Europa ab. Die Zahlen stiegen immer weiter, und das sei auf Dauer nicht zu bewältigen, so der CSU-Politiker. Kreuzer: „Wir finden, dass die Flüchtlinge aus den Booten zwar gerettet, aber zurück nach Afrika gebracht werden sollen.“