„Niemand hat uns je gefragt, wer wir sind“
Ein US-Bericht enthüllt: Italien schickt hunderttausende Syrien-Flüchtlinge ohne die geringste Kontrolle nach Nordeuropa. Beim Thema Flüchtlinge kennt Italien nur eine Priorität: Die Flüchtlinge so schnell wie möglich nach Nordeuropa loswerden. Polizei und Behörden helfen dabei. Europäische Vereinbarungen spielen für Rom keine Rolle.
Flüchtlingskrise

„Niemand hat uns je gefragt, wer wir sind“

Ein US-Bericht enthüllt: Italien schickt hunderttausende Syrien-Flüchtlinge ohne die geringste Kontrolle nach Nordeuropa. Beim Thema Flüchtlinge kennt Italien nur eine Priorität: Die Flüchtlinge so schnell wie möglich nach Nordeuropa loswerden. Polizei und Behörden helfen dabei. Europäische Vereinbarungen spielen für Rom keine Rolle.

Italienische Polizei und italienische Behörden kontrollieren hunderttausende Flüchtlinge, die über Italien Europa erreichen, praktisch überhaupt nicht. Sie helfen ihnen vielmehr dabei, Italien möglichst schnell Richtung Norden zu verlassen. Das berichtet jetzt in einem beunruhigenden Artikel das US-Politik-Magazin Foreign Policy. Die FP-Autoren Harald Doornbos und Jenan Moussa haben dafür Interviews mit über einem Dutzend syrischer Asylbewerber ausgewertet, die über Italien die Niederlande, Deutschland und Schweden erreichten.

UN-Zahlen bestätigen den Befund: Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge haben zwischen April 2011 und Dezember 2014 genau 222225 syrische Flüchtlinge Asyl beantragt. Die meisten von ihnen haben Europa über Italien erreicht. Aber nur 1987 syrische Flüchtlinge sind dort geblieben, weniger als ein Prozent, errechnet Foreign Policy. 59529 syrische Flüchtlinge haben stattdessen im gleichen Zeitraum Asyl in Deutschland beantragt, 54980 in Schweden, 12023 in den Niederlanden und 10135 im kleinen Dänemark. Das andere südeuropäische Ankunftsland Griechenland nahm der interaktiven UNHCR-Karte zufolge 1810 Flüchtlinge auf.

„Niemand hat uns registriert, niemand hat ein Foto gemacht, niemand hat unsere Fingerabdrücke genommen, niemand hat uns gefragt, wer wir waren.“

Die Italien-Erfahrungen der syrischen Flüchtlinge ähneln sich stark. Einer von ihnen startete mit 350 weiteren Flüchtlingen über den türkischen Hafen Mersin. Ein Frachtschiff rettete sie vor der italienischen Küste aus einem maroden Boot und setzte sie im sizilianischen Hafen Catania an Land. „Niemand hat uns überprüft, als wir Italien erreichten“, so der syrische Migrant: „Keine Küstenwache, kein Polizist hat uns je nach unseren Papieren gefragt. Niemand hat uns registriert, niemand hat ein Foto gemacht, niemand hat unsere Fingerabdrücke genommen, niemand hat uns gefragt, wer wir waren.“

Den Flüchtlingen, die alle nach Deutschland, Schweden oder Holland weiter wollten, war das recht. Er könne gerne bleiben, um zu schlafen, erklärte im Asylantenzentrum Catania ein Polizist dem FP-Interviewpartner, „aber wenn sie gehen wollen, können sie gehen“. Der Flüchtling bestieg in Catania einen Zug und fuhr ungehindert über Mailand nach Berlin.

Andere Flüchtlinge berichten, dass ihnen die Polizei beim zweiten Versuch half, wenn sie etwa von österreichischer Polizei aus dem Zug gefischt und nach Italien zurückgeschickt wurden. Ein weiterer Syrien-Flüchtling wurde bei der Ankunft in Italien immerhin fotografiert und erhielt dann ein Stück Papier auf dem nur eine Nummer stand. Als ihn auf dem Bahnhof von Neapel ein Polizist aufhielt, zeigte er ihm den Zettel mit der Nummer. Der Polizist führte ein kurzes Telefongespräch, wendete sich dann wieder dem Syrer zu und sagte nur: „Goodbye“.

Mit den hunderttausenden Flüchtlingen können ebenso unkontrolliert auch Dschihadisten nach Europa kommen

Italiens oberste Priorität sei es offenbar, die Flüchtlinge von seinem Territorium wegzubekommen, schlussfolgern die FP-Autoren. Das ist nicht nur offener Bruch des Schengener Abkommens über den freien Reiseverkehr und der Dublin-Verordnung der EU über das Asylverfahren. Es ist auch gefährlich, meinen Foreign Policy und sogar einige der befragten Syrien-Flüchtlinge. Denn mit den hunderttausenden Flüchtlingen können ebenso unkontrolliert auch Dschihadisten aus dem syrischen Kriegsgebiet über Italien nach Nordeuropa reisen. Und sogar gleich Waffen und Sprengstoff mitbringen: „Die Italiener haben nicht einmal das Flüchtlingsgepäck kontrolliert“, so einer der syrischen Migranten. Foreign Policy berichtet von einem 60-jährigen Syrien-Flüchtling, dessen Sohn bei Aleppo für die Al-Kaida nahestehende Al-Nusra-Front kämpfte. Der Vater will nun die ganze Familie in Deutschland zusammenführen.

„Italien öffnet der Katastrophe Tür und Tor“, titelt das US-Magazin und meint damit den nächsten Terroranschlag in Europa. Bei der nächsten EU-Innenministerkonferenz sollte Thomas de Maizière seinem italienischen Kollegen den Foreign Policy-Artikel vorlegen. Da ist eine italienische Erklärung fällig.

foreignpolicy.com/2015/04/13/ italy-islamic-state-syria-refugees/

data.unhcr.org/syrianrefugees/ asylum.php