28. CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe: Bundeskanzlerin Angela Merkel steht mit CDU-Generalsekretär Peter Tauber und Bundesgeschäftsführer Klaus Schürer (l.) auf der Bühne. Bild: Imago/Stockhoff
CDU-Parteitag

Slalom um das O-Wort

Angela Merkel verteidigt auf dem CDU-Parteitag ihren Kurs in der Asylpolitik. Die CDU-Spitze hatte einen Kompromiss für einen Leitantrag gefunden. Darin heißt es, man sei entschlossen, den Zuzug von Flüchtlingen spürbar zu verringern. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bleibt hart: Die Begrenzung der Flüchtlingszahlen werde "das zentrale, vielleicht sogar einzige Thema" seiner Gastrede.

Die CDU-Spitze hatte am Sonntagabend eine Kompromissformulierung für den Leitantrag gefunden. Der CDU-Vorstand schrieb nach langem Ringen am Sonntagabend in den Leitantrag den Passus, man sei entschlossen, „den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern“. Und: „Ein Andauern des aktuellen Zuzugs würde Staat und Gesellschaft auch in einem Land wie Deutschland dauerhaft überfordern.“ Die von der CSU geforderte nationale Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen, die auch von Teilen der CDU verlangt wird, steht nicht in dem Antrag.

Es geht jetzt nicht um Worte, (…) sondern darum, zu sagen, dass wir so nicht weitermachen können, dass dieser Zustrom Deutschland tatsächlich überfordern wird.

Paul Ziemiak, JU

Für die Kanzlerin ist dieses Zugeständnis an die vielen Kritiker ihres Kurses auch innerhalb der CDU bemerkenswert: Merkel hatte noch bei ihrem Auftritt auf dem CSU-Parteitag bei der Forderung nach einer Obergrenze der Flüchtlingszahlen keinerlei Einlenken erkennen lassen. Der Vorsitzende der Jungen Union Deutschland, Paul Ziemiak, ist zufrieden mit dem Kompromiss im parteiinternen Asylstreit. „Es geht jetzt nicht um Worte, (…) sondern darum, zu sagen, dass wir so nicht weitermachen können, dass dieser Zustrom Deutschland tatsächlich überfordern wird“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“ vor Beginn des CDU-Parteitags. Die JU zog nach der Einigung ihren Antrag, eine Obergrenze für Flüchtlinge zu fordern (der Bayernkurier berichtete), zurück. „Für die Junge Union war das erfolgreich, weil wir unsere Botschaft platziert haben, und die geht jetzt von diesem Parteitag aus“, sagte Ziemiak. „Damit macht die CDU einen wichtigen und richtigen Schritt auf die CSU zu“, sagte nun auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der „Passauer Neuen Presse„. Jetzt komme es auf eine „wirksame, zügige Umsetzung“ an. Unter Berufung auf ein Papier, über das der CDU-Bundesparteitag beraten soll, sagte er: „Eine spürbare Verringerung des Flüchtlingsstroms heißt konkret, dass nächstes Jahr die Flüchtlingszahlen deutlich begrenzt werden.“

Alle sind zufrieden mit dem Kompromiss

Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Angela Merkel wird auch gestärkt aus dem Parteitag hervorgehen.“ Das meinten am Sonntag auch einige von Merkels Kritikern. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bezeichnete den Kompromiss des CDU-Vorstands als „eine sehr gute Grundlage“ für den Parteitag in Karlsruhe. Die Union nehme die Sorgen der Bürger ernst und habe deswegen „in diesem Papier auch sehr deutlich formuliert, dass die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, deutlich reduziert werden muss“, sagte Bouffier im Internet-Videodienst Periscope. Die CDU habe in dem Papier festgeschrieben, dass „wir alles tun, national wie europäisch“, um dieses Ziel einer Reduzierung der Flüchtlingszahl zu erreichen. „Wir wissen: Das wird nicht einfach, aber wir sind entschlossen, das umzusetzen.“

Das Wort ‚begrenzen‘ kommt nicht vor. Es geht um ‚verringern‘ oder ‚reduzieren‘.

Angela Merkel

Die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner hat gegenüber der Rheinischen Post davor gewarnt, von einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise abzugehen: „Nationale Alleingänge haben in Europa bisher immer in die Katastrophe geführt.“ Sie verschwieg, dass in fast ganz Europa gerade Merkels „Wir schaffen das“-Politik als nationaler Alleingang empfunden wird. Es geht laut Klöckner um die Absicherung der europäischen Außengrenzen und um eine faire Lastenverteilung – beides stößt jedoch entweder auf große Schwierigkeiten oder auf erheblichen Widerstand in der EU. Merkel selbst sagte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“: „Wir haben einen Kurs gefunden, der dem entspricht, was mein Ansatz ist.“ Gleichzeitig habe man die Sorgen der Menschen aufgenommen und deutlich gemacht, dass man den Flüchtlingszuzug spürbar reduzieren wolle. „Das Wort ‚begrenzen‘ kommt nicht vor. Es geht um ‚verringern‘ oder ‚reduzieren'“, so Merkel. Das ist natürlich Wortklauberei, denn eine spürbare Reduzierung inklusive des Satzes mit der Überforderung Deutschlands kommt einer Obergrenze schon fast gleich. Gefragt, ob sie am Montag bei dem Parteitag mit einer Abrechnung der Delegierten mit ihrer Flüchtlingspolitik rechne, antwortete die Kanzlerin: „Das erwarte ich nicht.“ Ähnlich äußerte sich Merkel in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Der Leitantrag entspreche genau dem Konzept, „das ich seit Monaten vertrete“. Ganz stimmt auch der letzte Satz natürlich nicht, denn bisher wollte die Kanzlerin auch nichts davon wissen, dass Deutschland faktisch eine Aufnahmegrenze hat und das man dies auch offensiv nach außen verkünden müsse – wie es beispielsweise das „Nehmt alle Flüchtlinge auf“-Land Schweden jüngst getan hat.

Merkel verteidigt ihr Mantra „Wir schaffen das!“

Inmitten des Streits um die Flüchtlingspolitik haben die Delegierten beim CDU-Parteitag ihre Vorsitzende Angela Merkel mit rauschendem Beifall begrüßt. Die etwa 1000 CDU-Mitglieder erhoben sich und applaudierten, als die Kanzlerin den Parteitag eröffnete. Die Flüchtlingskrise stellt die EU nach Worten von CDU-Chefin Angela Merkel auf eine historische Bewährungsprobe. „Wir möchten, dass Europa diese Bewährungsprobe besteht“, sagte die Kanzlerin in Karlsruhe. Europa sei von der größten Flüchtlingsbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs „in seinem Innersten herausgefordert“. Was sie nicht sagte: Dass es in Europa eigentlich kein einziges Land gibt, das ihr gerne in der Flüchtlingspolitik folgt. Insbesondere in Osteuropa, aber heimlich auch in Frankreich und Großbritannien, wehren sich die Regierungen vehement gegen das als „Diktat“ empfundene Verhalten Merkels, die mit großzügigen Gesten und Worten einen Anstieg des Flüchtlingszustroms verursacht hatte. Die CDU-Chefin unterstrich immerhin: „Es lohnt sich, den Kampf um ein einheitliches europäisches Vorgehen zu gehen.“ Notwendig sei Solidarität in der EU ebenso wie eine enge Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge. Dabei handele es sich „um dicke Bretter, aber wir müssen diese dicken Bretter bohren“. Erneut bekannte sich Merkel zum Schengen-System der offenen Grenzen.

Ich kann das sagen, weil es zur Identität unseres Landes gehört, Größtes zu leisten.

Angela Merkel

Die CDU-Chefin verteidigte erneut ihre Entscheidung, tausenden Flüchtlingen aus Ungarn die Einreise zu ermöglichen. „Dies war nicht mehr und nicht weniger als ein humanitärer Imperativ.“ Merkel wiederholte auch ihre umstrittene Äußerung „Wir schaffen das“ zur Flüchtlingskrise. „Ich kann das sagen, weil es zur Identität unseres Landes gehört, Größtes zu leisten“, sagte Merkel beim CDU-Parteitag in Karlsruhe. Gleichzeitig erklärte sie, wie der Flüchtlingsstrom eingedämmt werden soll: Etwa durch die „sicheren Herkunftsländer“, durch mehr Abschiebungen, durch sorgfältige und schnelle Prüfung der Anträge. Merkel bedankte sich ausdrücklich bei den vielen Kritikern ihrer Flüchtlingspolitik. Sie hätten gezeigt, dass die CDU „die Sorgen der Menschen“ aufnehme. „Aber wir sind auch die Volkspartei, die die Sorgen nicht nur aufnimmt, sondern gestaltet und Lösungen findet. Das muss unser Anspruch sein“, sagte Merkel.

Die Kanzlerin zog Parallelen ihrer Politik zu Adenauer und Kohl – ein gewagter Vergleich. In Deutschland sei nach dem Zweiten Weltkrieg aus Trümmern ein Land des Wirtschaftswunders geschaffen worden. Zudem sei es gelungen, nach der deutschen Teilung „ein in der Welt hochgeachtetes Land in Einigkeit und Freiheit zu vereinen“. Trotz der Flüchtlingsströme sieht Merkel in der Globalisierung mehr Chancen als Risiken. „Abschottung im 21. Jahrhundert ist keine vernünftige Option“, sagte sie. Hinter der Skepsis vieler Menschen stehe derzeit auch Ungewissheit, was die große Zahl an Flüchtlingen an Veränderungen für das Leben in Deutschland bringe. Hier lägen aber auch Chancen. Es mache den Wesenskern der CDU aus, „dass wir bereit sind, zu zeigen, was in uns steckt“. Sie verwies auf Altkanzler Helmut Kohl (CDU), der den Ostdeutschen einst nach entsprechenden Anstrengungen „blühende Landschaften“ versprochen hatte. Kohl habe Recht behalten. „Im 25. Jahr der Deutschen Einheit können wir sagen, wir haben blühende Landschaften“, sagte die CDU-Vorsitzende.

Ich glaube, Christdemokraten sollten sich nicht an den Sozis orientieren. Ist nicht unsere Flughöhe.

Peter Tauber, CDU-Generalsekretär

Unionsfraktionschef Volker Kauder attackierte am Rande des Kongresses den Koalitionspartner SPD: „Sie wollten es ja besser machen als wir – dieser zerstrittene Unions-Haufen – und jetzt suchen sie einen neuen Kanzlerkandidaten.“ Die Sozialdemokraten hatten ihren möglichen Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel am Freitag bei dessen Wiederwahl zum Vorsitzenden mit 74,3 Prozent abgestraft. Kauder betonte die Geschlossenheit der CDU: „Wir sind geeint und die SPD ist zerstrittener – schlimmer als je zuvor.“ CDU-Generalsekretär Peter Tauber plädierte für Geschlossenheit: „Ich glaube, Christdemokraten sollten sich nicht an den Sozis orientieren. Ist nicht unsere Flughöhe.“

Seehofer: Begrenzung bleibt zentrales Thema

Vor dem am Montag beginnenden CDU-Bundesparteitag hat CSU-Chef Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel nochmals auf die hohe Bedeutung des Flüchtlingsthemas hingewiesen: „Das ist das Thema, das die Bevölkerung am stärksten beschäftigt.“ Der bayerische Ministerpräsident hatte wiederholt gewarnt, dass die Union in einen Sinkflug geraten werde, wenn Merkel die von der CSU geforderte Obergrenze der Flüchtlingszahlen weiter ablehne. Seehofer verzichtete darauf, von Merkel ausdrücklich ein Einlenken in Sachen Obergrenze zu verlangen: „Wir würden uns ja auch verbitten, wenn wir Parteitag haben, dass uns andere reinreden, wenn es um Meinungsbildung geht.“ Doch ließ der CSU-Chef keinen Zweifel, dass er in der Sache hart bleiben will: Die Begrenzung der Flüchtlingszahlen werde „das zentrale, vielleicht sogar einzige Thema“ seiner Gastrede. Seehofer sagte jedoch vor Karlsruhe: „Wir haben uns noch mit keinem Halbsatz mit dem CSU-Parteitag beschäftigt, bei den vielen Unterredungen, die wir anschließend hatten. Das ist professionell.“ Er mache sich keine Gedanken darüber, wie die CDU-Delegierten nun ihn empfangen würden, sagte Seehofer. Er habe in seiner politischen Karriere schon 80 Parteitage mit Höhen und Tiefen erlebt. „Das treibt mich überhaupt nicht um.“ Seehofer wird an diesem Dienstag zu den CDU-Delegierten sprechen.

(dpa/avd)