Der Vorsitzende der Jungen Union Deutschlands, Paul Ziemiak. (Foto: JU/fkn)
Junge Union

„Wir stoßen an unsere Grenzen“

Der CDU-Parteitag in Karlsruhe dürfte spannend werden. Mehrere Gruppen – die Innenpolitiker, die Mittelständler und die Junge Union – fordern eine Wende in der Flüchtlingskrise, die Wiedereinsetzung deutschen und europäischen Rechts und eine Obergrenze für die Zuwanderung. BAYERNKURIER-Redakteur Wolfram Göll befragte den JU-Bundesvorsitzenden Paul Ziemiak zu seinem Parteitags-Antrag.

BAYERNKURIER: Die Junge Union Deutschlands fordert in ihrem Antrag auf dem CDU-Bundesparteitag ausdrücklich eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge. Wie kommt das? Hat vielleicht die JU Bayern die Macht in der Bundes-JU übernommen?

Paul Ziemiak: Menschen, die politisch verfolgt werden, die vor Kriegen, Folter und Tod fliehen, Asyl in unserem Land zu gewähren, ist zunächst aus Gründen der Menschlichkeit richtig und zutiefst christlich. Die Zuwanderung ist aber auch eine große Chance für unser Land. Die Menschen bringen Talente und Fähigkeiten mit, die wir für ein neues, weltoffenes Deutschland nutzen können. Allerdings dürfen die Herzlichkeit und die vorbildliche Hilfsbereitschaft, die in unseren Städten und Gemeinden jeden Tag aufs Neue gezeigt und gelebt werden, nicht zu einem Verlust an realistischer Selbsteinschätzung führen. Wir müssen den Herausforderungen ehrlich ins Auge sehen. Und da stellen wir als Junge Union fest, dass wir an Grenzen stoßen. Wenn wir die Betroffenen menschenwürdig unterbringen und in unsere Gesellschaft integrieren möchten, wenn wir Familiennachzug und berufliche Perspektiven ermöglichen wollen, wenn wir Lagerkoller und Auseinandersetzungen in überfüllten Aufnahmeeinrichtungen in den Griff bekommen wollen, müssen die Zahlen auf Dauer schlichtweg sinken.

BAYERNKURIER: Die Leitsätze von Kanzlerin Merkel lauteten seit September „Wir schaffen das“ und „Das deutsche Asylrecht kennt keine Obergrenze“. Bezweifeln Sie das?

Ziemiak: Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht, 20 Millionen alleine in unmittelbarer Nähe zu Europas Außengrenzen. In Deutschland werden wir in diesem Jahr über eine Million Flüchtlinge aufnehmen. Ich bin mir sicher, dass wir das in diesem Jahr auch Dank der außerordentlichen Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern sowie durch tausende geleistete Überstunden in den Behörden schaffen. Aber es gibt auch eine Grenze der Leistungsfähigkeit, eine Grenze, bei der auch die Akzeptanz der Mehrheitsbevölkerung kippen kann. Aus dem Grund müssen wir uns die Frage stellen, wie geht es weiter? Was ist mit 2016, was mit 2017?

Der unkontrollierte Zuzug erfordert klare Antworten.

Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union Deutschlands

BAYERNKURIER: Sie stellen sich mit Ihrem Antrag gegen Merkels Linie, die immer wieder eine nationale Obergrenze kategorisch ausgeschlossen hat – zuletzt dem CSU-Parteitag. Fürchten Sie nicht damit Ihre Karrierechancen in der Partei schwinden?

Ziemiak: Nein, man sollte weder in dieser noch in anderen politischen Fragen an seine Karriere denken. Hier geht es um die Zukunft Deutschlands und der EU. Nationale Grenzen dicht zu machen und die Freizügigkeit, eine der großen europäischen Errungenschaften, zu beschränken, kann nicht die Antwort sein. Eine dauerhafte Lösung der aktuellen Situation kann es nur auf europäischer Ebene durch die Einführung einer Quotierung samt gesteuerten Zuweisung der Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten geben. Doch die Zeit läuft uns davon: Der unkontrollierte Zuzug, die fehlende europäische Solidarität, die wir leider zur Zeit erleben, erfordern heute Antworten. Diese politisch zu diskutieren, ist doch richtig! Dazu gehört eben auch, eine andere Meinung haben zu dürfen und diese mit Argumenten zu vertreten. In den meisten Punkten sind wir uns doch einig. Richtig ist doch, dass wir viel stärker als bisher an die Fluchtursachen herantreten müssen – humanitär und auch militärisch. Auch ziehen wir an einem Strang, was die Bekämpfung von Schlepperbanden sowie eine stärkere Zusammenarbeit mit der Türkei bei der Sicherung der EU-Außengrenzen darstellt. Es geht bei dieser für Deutschland so immensen Herausforderung also nicht um einen grundlegenden Widerspruch zwischen der Kanzlerin und der Jungen Union. Das ist falsch und auch nicht sachgerecht. Wir diskutieren vielmehr, wo unsere Belastungsgrenze liegt und ob man diese festsetzen kann. Hier gibt es eben auch offene Punkte.

BAYERNKURIER: Bei welcher Höhe soll Ihrer Meinung nach die Obergrenze liegen? Wer soll das festlegen? Und was soll passieren, wenn die Obergrenze erreicht ist?

Ziemiak: Wir brauchen jetzt einen runden Tisch mit allen Beteiligten. Bund und Länder, aber auch die kommunalen Spitzenverbände, Sicherheitsbehörden und Hilfsorganisationen müssen zusammenkommen und gemeinsam entscheiden, wie viele Flüchtlinge wir zukünftig aufnehmen können. Bis zur Verwirklichung einer hinreichenden europäischen Lösung ist dann nach Erreichen der Obergrenze für alle weiteren Personen konsequent das Dublin-III-Verfahren anzuwenden. Personen aus sicheren Drittländern ist die Einreise grundsätzlich zu verwehren. Viel Kapazität für die Antragssteller mit guter Bleibeperspektive würden wir übrigens allein schon dadurch bekommen, wenn Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive erst gar nicht auf die Kommunen verteilt und Personen mit abgelehnten Asylanträgen konsequenter in ihre Heimatländer zurückgeführt würden. Bundesländer, die den rechtlichen Rahmen dafür nicht ausschöpfen, sollten unserer Meinung nach finanziell sanktioniert werden.

Wir sind Realisten und keine Träumer. Daher schaffen wir das – mit einer Obergrenze!

Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union Deutschlands

BAYERNKURIER:  Wie viel Unterstützung rechnen Sie sich realistisch auf dem Parteitag aus? Die Unions-Innenpolitiker und der Mittelstand haben sich bereits ähnlich geäußert wie Sie. Und was erwarten Sie: Wie wird die Debatte verlaufen?

Ziemiak: Ich bin mir sicher, dass von Karlsruhe ein Zeichen ausgehen wird, dass die Union aufrichtig und ehrlich mit dieser großen Herausforderung für unser Land und unsere Gesellschaft umgeht. Dass wir die Integration der Menschen, die zu uns kommen, auch zum Erfolg bringen wollen und dass wir nah an den Sorgen und Nöten der Menschen sind und die Bürger bei unseren Entscheidungen mitnehmen. Wir werden auch deutlich machen, dass die Kanzlerin aus humanitären Gründen richtig gehandelt hat, als sie in einer akuten Notsituation in Ungarn eingeschritten ist. Und bei der zu erwartenden Diskussion über die Obergrenze wird eines unmissverständlich sein: Wir Christdemokraten stehen mit Angela Merkel an unserer Spitze an der Seite der Menschen, die politisch verfolgt werden und vor Kriegen fliehen. Wir stehen für die Aufnahme von Flüchtlingen und sind offen für Zuwanderung in unser Land. Und gerade weil wir uns dabei keinen Bruch heben wollen, weil wir Realisten und keine Träumer sind, schaffen wir das auch – mit einer Obergrenze! Das unterscheidet uns elementar von der nationalistisch-völkischen Gesinnung der Pegida-Demonstranten und den AfD-Parolen.