Erst kritisiert, dann kopiert: Die Vorschläge der Staatsregierung und von Ministerpräsident Horst Seehofer (hier beim Fachkongress Migration und Flüchtlinge) zur Asylpolitik. Bild: Imago/Sven Simon
Asylpolitik

Erst laut kritisiert, dann leise kopiert

Eigentlich wollen alle den Flüchtlingsstrom begrenzen. Nur das Wort "Obergrenze" scheuen die meisten Politiker, denn das ist ja eine Wortschöpfung der CSU, also "böse". Da hört sich "Kontingent" doch viel besser an, auch wenn da die EU nicht mitspielt. Und dann? Dann steht wieder ein Erfolg der CSU nach dem Motto an: Erst laut kritisiert, dann leise kopiert.

Die große Koalition in Berlin setzt zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs immer stärker auf eine europäische Kontingentlösung. Es gebe nicht die Absicht, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken, erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter. Zum Unterschied zwischen einer Obergrenze und einem Kontingent sagte Streiter, die Obergrenze sei einseitig, das Kontingent eine gesamteuropäische Regelung: „Wir möchten gerne die Zuwanderung europäisch regeln und nicht deutsch.“ Ein Element davon sei die geplante EU-Vereinbarung mit der Türkei. Die Bundesregierung wollte sich auf eine zahlenmäßige Größenordnung, wie viele Menschen ein solches Kontingent in Deutschland und Europa umfassen könnte, nicht festlegen. Eine solche Lösung ist allerdings höchst fraglich: Mehrere EU-Länder haben sich bisher einem Verteilungsschlüssel strikt verweigert und dies wird auch so bleiben, weil sie die deutsche „Willkommenskultur“-Asylpolitik für völlig verfehlt halten.

Deutschland kann nicht im bisherigen Maß der größte EU-Nettozahler bleiben, wenn die übrigen EU-Staaten nicht bereit sind, einer Kontingentlösung für ganz Europa zuzustimmen und spürbar mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktionsvize im Bundestag

Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Baden-Württembergs CDU-Chef Thomas Strobl plädierten für eine Kontingentlösung (der Bayernkurier berichtete). Dagegen vertrat der CDU-Innenpolitiker Ansgar Heveling die Ansicht, die Union werde einer Kontingentlösung nur dann zustimmen können, wenn gleichzeitig der ungeordnete Zuzug über den Weg des Asylrechts gestoppt werde. Kontingente seien eine gute Möglichkeit, den Flüchtlingszuzug nach Europa zu steuern und zu begrenzen, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses der „Rheinischen Post„.

„Kontingente sind aber nur denkbar statt des jetzigen ungeordneten Zuzugs und natürlich nicht zusätzlich.“ Unionsfraktionsvize Michael Fuchs plädierte dafür, dass Deutschland seine EU-Zahlungen reduziert, wenn sich die anderen EU-Länder in der Flüchtlingsfrage nicht solidarischer zeigen. „Deutschland kann nicht im bisherigen Maß der größte EU-Nettozahler bleiben, wenn die übrigen EU-Staaten nicht bereit sind, einer Kontingentlösung für ganz Europa zuzustimmen und spürbar mehr Flüchtlinge aufzunehmen“, sagte der CDU-Politiker ebenfalls der „Rheinischen Post„.

Wenn in absehbarer Zeit keine europäische Kontingentlösung umsetzbar ist, muss es bei erneut rund 180.000 Flüchtlingen allein im November die Kraft einer nationalen Entscheidung geben.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

Die CSU fordert aber weiter eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme in Deutschland. „Wir brauchen eine Obergrenze. Sonst ist Integration nicht leistbar. Wenn in absehbarer Zeit keine europäische Kontingentlösung umsetzbar ist, muss es bei erneut rund 180.000 Flüchtlingen allein im November die Kraft einer nationalen Entscheidung geben“, erklärte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Unterstützung bekommt die CSU dabei auch von der Jungen Union (JU), die für den im Dezember anstehenden CDU-Parteitag in Karlsruhe einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die JU hält die von Merkel bevorzugten Flüchtlingskontingente zwar für wünschenswert, ihre Durchsetzung aber für nicht absehbar. „Deshalb ist die Obergrenze als erster Schritt die logische Konsequenz“, sagte JU-Chef Paul Ziemiak der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zur Begründung des Parteitagsantrags.

Diese Zahl müssen wir dann auch aktiv in die Fluchtländer kommunizieren und notfalls sagen: Mehr geht nicht.

Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt

Im Streit um die Begrenzung des Flüchtlingszustroms gibt es außerdem einen neuen Vorstoß aus den Reihen der Bundesländer. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff verlangte im „Handelsblatt„, die einzelnen Länder sollten Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen festlegen. Für sein Land liege die Grenze bei 12.000 Menschen pro Jahr – diese Anzahl kommt allerdings an einem Wochenende allein in Bayern an. Auch die anderen Bundesländer sollten nach Haseloff Zahlen nennen, die dann den Bundeswert ergäben. „Diese Zahl müssen wir dann auch aktiv in die Fluchtländer kommunizieren und notfalls sagen: Mehr geht nicht“, sagte der CDU-Politiker. Er verlangte, der CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe im Dezember solle einen Beschluss zu Flüchtlingsobergrenzen fassen. „Wir müssen sagen, wie unser Plan aussieht, um der Migration Herr zu werden und die Steuerungsfähigkeit zurückzugewinnen“. Nötig sei „eine Obergrenze, die unsere Leistungsfähigkeit berücksichtigt“.

Auf Sicht fahren?

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hofft auf einen Rückgang der hohen Flüchtlingszahlen in Deutschland und rechnet mit zusätzlichen Ausgaben der EU zur Bewältigung der Krise. Er räumte ein, dass die Regierung „ein bisschen auf Sicht“ fahre. Dies sei aber nichts Schlechtes, sagte Schäuble am Dienstag zu Beginn der Schlussberatungen des Bundestages über den Haushalt 2016. „Die, die auf Sicht fahren, haben der Menschheit sehr viel mehr Gutes ermöglicht.“ Es könne nur auf die Realität reagiert werden. Zugleich bezweifelte Schäuble, dass die EU-Hilfen für die Zusammenarbeit mit Nachbarländern der Krisenregion reichen werden. Dies könne bedeuten, dass die EU-Staaten zusätzliche Mittel aus ihren nationalen Haushalten aufbringen müssten.

Auch die SPD ist für Kontingente

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte, Deutschland müsse „viel mehr tun, um staatliche Steuerung und Kontrolle der Flüchtlingsbewegung wiederzugewinnen“. Das erwarte jeder Bürger von seinem Staat und seiner Regierung. Letztlich sei auch eine Entlastung Deutschlands „absolut erforderlich“, sagte Gabriel der „Süddeutschen Zeitung„. Er plädierte dafür, dass Deutschland in Zukunft Kontingente syrischer Flüchtlinge aufnimmt, „wie es das bei anderen Bürgerkriegskonflikten getan hat“. Die Lage verändere sich, wenn Menschen wüssten, dass sie sicher nach Deutschland oder Europa kommen könnten.

Durch Kontingente ist kein signifikanter Rückgang der Flüchtlingszahlen zu erwarten.

Aydan Özoguz , SPD

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), warnte dagegen davor, „überzogene Erwartungen“ an Flüchtlingskontingente zu wecken. So richtig diese seien, ein „signifikanter Rückgang“ der Flüchtlingszahlen werde dadurch wohl nicht erreicht, sagte Özoguz der „Neuen Osnabrücker Zeitung„. Deutschland sei nach der Genfer Flüchtlingskonvention und den EU-Richtlinien auch weiterhin verpflichtet, ein individuelles Recht auf ein faires Asylverfahren zu garantieren. „Nur eine gemeinsame europäische Antwort auf die hohen Flüchtlingszahlen wird deshalb in Deutschland zu einer merklichen Entlastung führen.“

Auch bayerische Städte wollen Reduzierung der Flüchtlingszahlen

Bayerns Städte lehnen eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen ab. Dennoch halten sie eine Reduzierung der Migrantenzahl für notwendig, wie der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags und Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) in München sagte: „Wenn wir es managen wollen, müssen es nächstes Jahr weniger werden als heuer.“ Warum eine solche Reduzierung wesentlich anders als eine Obergrenze sein soll, sagte er nicht. Am wichtigsten seien zur Integration der Flüchtlinge Sprachkurse, Plätze in Kindertagesstätten und Schulen, berufliche Qualifizierung, Arbeitsplätze und Wohnraum. „Am meisten Sorgen macht mir in Bayern das Thema Wohnen“, betonte der Städtetagschef (der Bayernkurier berichtete). Maly wandte sich gegen ein Sonderwohnungsprogramm nur für Flüchtlinge. Der Bayerische Städtetag vertritt die Interessen von über 250 Kommunen im Freistaat mit insgesamt fast sieben Millionen Einwohnern.

Jedes vierte Unternehmen sucht mittlerweile händeringend Fachkräfte.

Ingo Kramer, Arbeitgeberpräsident

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat ein maximales Engagement der Wirtschaft bei der Flüchtlingsintegration zugesagt. Die Politik rief er zum Abbau von Hürden auf, die den Einstieg von Migranten ins Berufsleben erschweren. „Die deutschen Unternehmen sind bereit, ihr Möglichstes zu tun“, versprach Kramer am Dienstag auf dem Arbeitgebertag in Berlin. Aber sie könne die Integration nicht alleine schaffen. So müssten alle Flüchtlinge rasch an verpflichtenden Sprachkursen teilnehmen. „Jedes vierte Unternehmen sucht mittlerweile händeringend Fachkräfte“, so Kramer weiter. Die Flüchtlinge seien zwar nicht die alleinige Lösung. Qualifizierte, geregelte Zuwanderung könne nicht ersetzt werden. Aber eine Chance beinhalte die Flüchtlingskrise doch. Die Wirtschaft sei bereit, eine große Zahl von Flüchtlingen auszubilden und zu beschäftigen, die Politik müsse aber die Voraussetzungen dazu schaffen. Asylsuchenden mit Bleibeperspektive müssten alle Möglichkeiten der Zeitarbeit, von Praktika und der Jobmarkt-Förderung bekommen.

Kritik an Schuster

Äußerungen des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, der die CSU-Forderung nach Obergrenzen übernommen hatte (der Bayernkurier berichtete), stießen derweil auf Kritik. SPD-Fraktionsvize Eva Högl sagte dem Berliner „Tagesspiegel„: „Die Forderung nach Obergrenzen, weil Menschen aus dem arabischen Kulturkreis hier Schutz suchen, lehne ich ab. Im übrigen unterscheiden weder Grundgesetz noch Genfer Flüchtlingskonvention danach, aus welchem Kulturkreis jemand kommt“. Schuster hatte zur Begründung seiner Forderung der Zeitung „Die Welt“ gesagt, viele Flüchtlinge kämen aus „Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind“. Es gehe nicht nur um Juden, sondern auch etwa um die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dazu sagte Schuster, der Zentralrat sei der Überzeugung, dass Deutschland Flüchtlinge aufnehmen müsse. Zum Grundrecht auf Asyl gehöre aber auch eine menschenwürdige Versorgung und erfolgreiche Integration. „Daher werden wir um eine Begrenzung oder Kontingentierung der Zuwanderung auf die Dauer nicht herumkommen“, so Schuster.

(dpa/avd)