Staatskanzlei-Chef Marcel Huber (Foto: Eleana Hegerich/CSU)
Digitalisierung

„Es betrifft jeden Einzelnen“

Interview Bayern investiert 2022 über fünf Milliarden Euro in die Digitalisierung. Staatskanzlei-Chef Marcel Huber (CSU) erklärt im BAYERNKURIER-Interview, welch enorme Herausforderung die Digitalisierung bedeutet und wie die Staatsregierung darauf antwortet.

Die Digitalisierung wird unser Leben umkrempeln. Wie antwortet die Staatsregierung auf diese Mega-Herausforderung?

Die Digitalisierung betrifft jeden Einzelnen. Deshalb lassen wir die Menschen nicht mit dem digitalen Wandel allein, sondern begleiten diesen Technologiesprung so, dass alle von den neuen Möglichkeiten profitieren. Bereits 2015 haben wir unsere Digitalisierungsstrategie „BAYERN DIGITAL“ ins Leben gerufen. Der erste Schritt umfasste eine Initiative mit über 2,5 Milliarden Euro, um überwiegend die Breitbandversorgung rasch zu verbessern. Allein 1,5 Milliarden gingen in Ausbauprogramme bis hin zum neuen Höfe-Bonus, mit dem wir auch in der Fläche einzelne landwirtschaftliche Anwesen anschließen. Die Infrastruktur schafft die Voraussetzung dafür, dass viele andere Dinge, die auf der neuen Technologie basieren, überhaupt erst möglich werden. Aber auch wichtige Projekte in Wirtschaft und Wissenschaft wurden auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel das „Zentrum Digitalisierung. Bayern“ in Garching oder die digitalen Gründerzentren, die wir in allen Regierungsbezirken schaffen.

Es gibt kaum einen Lebensbereich, auf den die Digitalisierung keine Auswirkung hat.

Staatskanzlei-Chef Marcel Huber

Anfang 2017 hat mir Ministerpräsident Seehofer den Auftrag gegeben, herauszufinden, an welchen Stellen sich der Staat um diesen Technologiesprung besonders kümmern muss. Es war von Anfang an klar, dass wir hier alle Ministerien mit im Boot brauchen, denn es gibt kaum einen Lebensbereich, auf den die Digitalisierung keine Auswirkung hat. Im Ergebnis haben wir den Masterplan „BAYERN DIGITAL II“ beschlossen. Dieses bundesweit einmalige Investitionsprogramm umfasst ein Volumen von sage und schreibe 3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2022. Wenn man also beide Pakete zusammennimmt, investieren wir in sieben Jahren 5,5 Milliarden. Zum Vergleich: Baden-Württemberg investiert bis zum Jahr 2021 nur eine Milliarde Euro.

Was passiert mit dem Geld aus dem zweiten „BAYERN DIGITAL“-Paket?

Wir investieren gezielt in Maßnahmen in allen Lebensbereichen: von Bildung über Sicherheit und Mobilität, digitale Technologien und Anwendungen, Gesundheit und Pflege, Verbraucherschutz, Klimawandel bis hin zur Landwirtschaft. Auch für den Aufbau der Infrastruktur für die Gigabit-Gesellschaft nehmen wir noch einmal viel Geld in die Hand. Jede einzelne Maßnahme soll die Menschen für die digitale Welt begeistern und das Leben aller ein Stück leichter machen. Dabei denken wir nicht im Klein-Klein, sondern in integrierten Lösungen. Nehmen Sie zum Beispiel die Digitalisierung an den Schulen. Wer Schulen mit Tablets oder Whiteboards ausstattet, braucht auch eine vernünftige Breitbandanbindung. Gleichzeitig müssen dann auch eine entsprechende Lernsoftware und passende Lehrkonzepte dafür vorhanden sein. Nur Bücher ins Digitale zu übertragen, reicht nicht aus.

Was braucht es noch?

Man muss die Möglichkeiten, die diese digitale Bildung mit sich bringt, mit Vertiefung, mit Wiederholung und Individualisierung, erst gestalten und erarbeiten. Schülerinnen und Schüler müssen früher als bisher mit dem Thema Informatik befasst werden. Deshalb wird Informatik Pflicht an allen Mittelschulen, Realschulen und Gymnasien. Sie müssen Medienkompetenz genauso entwickeln wie die Lehrer. Dafür braucht es Lehrerfortbildungen. Man kann einen Lehrer wiederum nur fortbilden, wenn man weiß, womit und wie. Deshalb ist gleichzeitig Voraussetzung, die Aus- und Fortbildung entsprechend anzupassen. Damit alle Bereiche reibungslos ineinandergreifen, braucht es eine Gesamtstrategie.

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Arbeitsplätze?

Viele haben Angst, dass durch neue Technik Arbeitsplätze verloren gehen. Diese Angst möchten wir den Menschen mit unserem Masterplan nehmen. Freilich werden bestimmte Tätigkeiten und Aufgaben wegfallen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass – wie noch bei jedem Strukturwandel – viele neue, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden und uns die Arbeit nicht ausgeht. Wichtig dabei ist, dass wir das Thema Aus- und Weiterbildung gut lösen. Durch Computersteuerung oder digitale Lösungen verändern sich die Prozesse und Arbeitsabläufe. Hierfür wird besonders geschultes Personal gesucht. Mitarbeiter, die in den neuen Techniken schon firm sind, tun sich leichter. Wer die Kenntnisse noch nicht hat, muss entsprechend geschult werden. Wir brauchen also so etwas wie lebenslanges Lernen im Beruf. Dies unterstützt die Staatsregierung beispielsweise mit dem „Pakt für berufliche Bildung“.

Der digitale Wandel kann das Arbeitsleben aber auch leichter machen. Mit der richtigen technischen Ausstattung ist es möglich, von überall aus zu arbeiten und nicht nur am Arbeitsplatz – ein klarer Vorteil für den Arbeitnehmer. Die Idee, sogenannte Satellitenarbeitsplätze für Behörden zu schaffen, das heißt Arbeitsplätze außerhalb des Ballungsgebiets, um das Pendeln in Städte zu vermeiden, wird sich in meinen Augen genauso durchsetzen wie die Stärkung der Home-Office-Angebote bei Unternehmen. Für Bayerns Behörden laufen bereits in München Pilotverfahren, Behördenarbeitsplätze an die Stadtaußengrenzen zu verlegen. Aber auch Firmen wären nicht mehr gezwungen, in teuersten Lagen in der Stadt Büroräume zu mieten und könnten stattdessen außerhalb günstigere und attraktive Wohn- und Arbeitssituationen nutzen.

Digitale Medizin wäre ja im ländlichen Raum auch eine Chance …

Richtig, für mehr Qualität und kürzere Wege. Nicht jede Untersuchung muss von einem Spezialisten ausgeführt werden. Aber für die Bewertung von Untersuchungsergebnissen braucht es Expertenwissen. Zum Beispiel bei der Stroke Unit, dem Schlaganfall-Notdienst. Eine Darstellung der Gehirngefäße, ein Röntgen- oder MRT-Bild wird in den meisten Krankenhäusern erstellt. Aber für die medizinische Analyse – ist eine sofortige Operation notwendig oder reicht ein Blutgerinnsel auflösendes Mittel – diese Entscheidung kann nur jemand treffen mit viel Erfahrung auf diesem Sachgebiet. Solche Stroke-Unit-Zentren können digital mit einer Klinik verbunden werden. Die digital übermittelten Daten und Aufnahmen werden dann von einem Stab von hoch spezialisierten Ärzten bewertet. 90 Prozent der Patienten müssen dadurch nicht in eine Spezialklinik. Ähnliches gilt für andere Erkrankungen.

Auch eine elektronische Gesundheitskarte, bei der alle Daten zentral in einer Cloud gespeichert werden, kann klare Vorteile für Patienten bedeuten. Die Zusammenführung aller Gesundheitsdaten eines Patienten ist datenschutzrechtlich sicher eine schwere Aufgabe, aber aus ökonomischen und medizinischen Gründen in meinen Augen zwingend. So können Mehrfachuntersuchungen vermieden und lebensnotwendige Auskünfte über Arzneimittelunverträglichkeiten, Epilepsiegefahr, besondere Therapien und medizinische Vorgeschichten schnell und effizient abgerufen werden. Diese zentral gespeicherten Informationen helfen auch Notärzten an Unfallorten. Da spreche ich als Feuerwehrmann aus Erfahrung. Wir hätten vor zwei Jahren einen Mann fast verloren, weil wir nicht wussten, dass er ein medizinischer Bluter ist. Letztlich könnten die Patientendaten, natürlich anonymisiert, dabei helfen, Ursachen von Krankheiten auf die Spur zu kommen – wie beim Krebsregister.

Der Schutz vor Cyberangriffen hat einen enorm hohen Stellenwert. Deshalb investiert der Freistaat viel in seine digitale Sicherheitsstruktur.

Marcel Huber

Was unternimmt die Regierung, um die Sicherheit dieser hochsensiblen Daten zu gewährleisten?

Der Schutz vor Cyberangriffen hat für uns einen enorm hohen Stellenwert. Deshalb investiert der Freistaat viel in seine digitale Sicherheitsstruktur. Ein Baustein ist das neue Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mit rund 200 Mitarbeitern bis 2020. Wir stärken unsere landeseigenen Zentren für IT-Sicherheit, wie zum Beispiel das Cyber-Allianz-Zentrum beim Landesamt für Verfassungsschutz oder die Zentralstelle Cybercrime bei der Generalstaatsanwaltschaft in Bamberg. Eine wichtige Rolle spielt auch das „Zentrum Digitalisierung. Bayern“. Hier werden alle Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft mit Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen vernetzt. Gleichzeitig entwickelt sich Bayern zur Speerspitze für Cybersicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. In der Bundeswehrhochschule in Neubiberg im Münchner Osten richtet der Bund gerade einen internationalen Master-Studiengang Cyber-Sicherheit sowie dreizehn neue Professuren ein, etwa zur Analyse für Bedrohungs- und Schadsoftware in der Informationstechnik. Es verlassen hier zukünftig jährlich bis zu 120 Studenten die Hochschule mit einer Ausbildung, die zur europäischen Spitze gehört.

Das Interview führte Andreas von Delhaes-Guenther.