Für viele Opfer ist ein Einbruch ein traumatisches Erlebnis. (Bild: Fotolia)
Kriminalität

Mit Software auf Verbrecherjagd

Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Anders als im Rest der Republik ist in Bayern die Zahl der Einbrüche gesunken. Neben intensiver Aufklärung und Fahndung setzt die Polizei im Freistaat auf ein Computerprogramm zur Prognose von Straftaten.

Es ist eine beunruhigende Zahl: Alle drei Minuten wird im Schnitt in Deutschland eingebrochen. 167.136 Wohnungseinbrüche verzeichnete die Polizei im Jahr 2015, davon mehr als 95.000 vollendete. Dazu kommen noch fast 55.000 Diebstähle aus unverschlossenen Wohnungen. Der Schaden belief sich bei den vollendeten Einbrüchen auf 440,8 Millionen Euro. Treffen kann es theoretisch jeden. Für viele Opfer ist ein Einbruch ein traumatisches Erlebnis. Fremde haben das „Allerheiligste“ betreten, haben Schränke und Kommoden durchwühlt. Etwa jedes fünfte Opfer wird langfristig von Unsicherheit geplagt und fühlt sich daheim nicht mehr geborgen. Jeder zehnte Betroffene zieht nach dem Einbruch um, weil er es in der alten Wohnung nicht mehr aushält. „Neben den eingetretenen wirtschaftlichen Schäden ist das Delikt des Einbruchdiebstahls wie kaum ein anderes geeignet, die Betroffenen in einem ganz erheblichen Maß zu verunsichern“, sagt Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Für die Opfer ist ein Wohnungseinbruch nie nur minder schwer. Dann sollte er es aber auch im Gesetz nicht sein.

Winfried Bausback

Für die Einbrecher bleibt die Tat dagegen häufig folgenlos. Die Aufklärungsquote ist eine der niedrigsten überhaupt: Nur 15,2 Prozent der Taten werden bundesweit aufgeklärt, im Gegensatz zu 94,8 Prozent bei Mord und Totschlag. Das bedeutet: Weniger als jeder sechste Einbrecher wird gefasst! Und die Verurteilungsquote in vielen Bundesländern liegt laut dem Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, teilweise nur zwischen einem und drei Prozent. Nur die wenigsten Verurteilten erhalten eine Haftstrafe.

Bayern will härtere Strafen

Wenn es nach Bayern geht, soll sich das ändern. Justizminister Winfried Bausback will den Fall des minder schweren Einbruchs streichen. „Für die Opfer ist ein Wohnungseinbruch nie nur minder schwer. Dann sollte er es aber auch im Gesetz nicht sein“, sagt Bayerns Justizminister Winfried Bausback.

Künftig müssten dann verurteilte Einbrecher mit mindestens einem halben Jahr Haft rechnen. Wichtig ist laut Innenminister Joachim Herrmann auch, dass bei jedem Täter die Telekommunikation überwacht werden kann, insbesondere die Ermittlung der Positionsdaten. „Das Problem ist: Ich darf laut Gesetz auf diese Handydaten zugreifen, wenn es sich um eine Einbrecherbande handelt. Ich darf nicht zugreifen, wenn es nur ein Einbrecher ist“, erklärt Herrmann. Nur: Wie kann die Polizei vorab sagen, dass es eine Bande war, wenn sie den oder die Täter noch gar nicht kennt?

Viele Serientäter aus Osteuropa

17.670 Tatverdächtige wurden bundesweit 2015 ermittelt. Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen lag bei 40,2 Prozent. Ein „hohes Maß“ an Einbrüchen geht auf das Konto der Beschaffungskriminalität von Drogen- oder Spielsüchtigen, aber auch von Gewohnheitsdieben und Jugendlichen, die ihre diversen Wünsche erfüllen möchten. Die meisten Serientäter kommen aus Ost- und Südosteuropa sowie aus dem Maghreb. Derzeit reisen laut dem BDK viele Georgier als Asylbewerber ein und begehen bis zur Ablehnung ihres Antrags serienmäßig und „hochprofessionell“ Einbrüche. „Wir sind ein reiches Land inmitten eines grenzenlosen Europas“, sagt BDK-Chef Schulz.

Im Freistaat konnten 893 Wohnungseinbrecher festgenommen werden. Die Aufklärungsquote stieg um 0,8 Prozentpunkte auf 15,9 Prozent. Anders als im Bund, wo ein Anstieg der Wohnungseinbrüche um 9,9 Prozent zu verzeichnen war, ging 2015 die Zahl im Freistaat um 8,9 Prozent auf 7.480 Fälle zurück. „Für eine Entwarnung ist es noch zu früh“, erklärt Herrmann. „Aber in Bayern haben wir mit 59 Einbrüchen pro 100.000 Einwohner die wenigsten Straftaten dieser Art in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl mit 354 sechsmal höher.“ Noch einmal weit darüber liegt die Zahl in Bremen (535) und Hamburg (511).

Vier Länder fahnden gemeinsam

Die bayerischen Erfolge sind auf mehrere Maßnahmen zurückzuführen, darunter die Aufklärungsarbeit, aber auch polizeiliche Maßnahmen wie Schleier- und Schwerpunktfahndung, bessere Tatort- und Ermittlungsarbeit sowie länderübergreifendes Handeln. Im Rahmen eines Acht-Punkte- Plans haben Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz stärkere polizeiliche Zusammenarbeit und Informationsaustausch sowie gemeinsame Täterfahndung vereinbart. Hinzu kommt der jahrelange konsequente Personalaufbau im Freistaat: Mit derzeit 41.370 Stellen hat die bayerische Polizei den höchsten Personalstand aller Zeiten, dazu kommen 722 Ehrenamtliche der Sicherheitswacht.

Wer Einbrecherbanden erfolgreich bekämpfen will, muss mehr Polizisten einstellen. Hier sind die Bundesländer in der Pflicht.

Stephan Mayer, innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Mehr als 40 Prozent der Einbrüche werden abgebrochen, weil die Täter gestört werden oder nicht gleich ins Haus kommen. In den letzten 15 Jahren ist der Anteil vollendeter Einbrüche stetig gesunken, ein Indiz für besser gesicherte Wohnungen und ein Erfolg der Förderprogramme für zusätzliche Türriegel und einbruchsichere Fenster. Allein in Bayern gibt es 33 Stellen der Polizei, die vor Ort kostenlos über Sicherheitsmaßnahmen beraten.

Precobs erkennt gefährdete Gebiete

Es gibt aber auch neue Methoden bei der Fahndung wie etwa die Prognose-Software Precobs. Kriminalhauptkommissar Günter Okon ist beim Landeskriminalamt in München einer der zuständigen Beamten für das bisher dort und in Nürnberg eingesetzte Programm.

Auf seinem Bildschirm sind Ausschnitte des Münchner Straßennetzes zu sehen, markiert in Quadraten unterschiedlicher Farbe. Rot bedeutet erhöhte Einbruchsgefahr. „Wir haben die Serientäter im Auge, es geht um Verhalten nach bestimmten Mustern. Gegen Beschaffungsoder Gelegenheitstäter hilft das System nicht“, erklärt Okon.

Fall-, nicht Personendaten bezieht Precobs ein, etwa Ort, Zeit und Vorgehensweise der Tat, die Art des Diebesgutes und des Einbruchsgebäudes. Die Software erstellt aus Einbrüchen der letzten Tage, Wochen und Jahre Vorhersagen. „Jeden Tag gibt das System Alarm, meldet, dass die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Einbruch in diesem oder jenem Gebiet besonders hoch ist“, so Okon weiter. „Ein Beamter entscheidet, ob der Alarm freigegeben wird.“ Dann würden Polizisten dort verstärkt in Uniform oder in Zivil patrouillieren. In München sind es derzeit 47 kleinräumige Gebiete, teils nur Straßenzüge, die als besonders gefährdet gelten – etwa Reihenhaussiedlungen.

Nur 20 Prozent der Täter werden ermittelt

Laut Aussagen überführter Täter suchen sich Serieneinbrecher „ein Gebiet aus, schlagen zu, halten zwei, drei Tage still und schlagen dann dort erneut zu“. Sonst müssten sie ein neues Gebiet auskundschaften. Profis würden keine Scheiben einschmeißen und in der Regel nur Bargeld und Schmuck entwenden, „alles, was in einen Strumpf passt“, sagt Okon. Den Erfolg des Systems zu messen ist nicht leicht, denn nur wenige Täter werden auf frischer Tat oder bei Personenkontrollen in dem prognostizierten Gebiet festgenommen. Da mehr als 80 Prozent der Täter nicht ermittelt werden, ist das Dunkelfeld für die Software sehr groß. „Precobs ist nur ein Teil der Maßnahmen, die den Erfolg ausmachen“, darauf legt der Hauptkommissar wert. „Aber man kann Effekte feststellen: Seit dem Ersteinsatz 2014 sind die Einbrüche in München um 14 Prozent zurückgegangen, in Gebieten mit Precobs aber um 37 Prozent.“

Es reicht nicht, die Helfer zu erwischen, wenn die Strippenzieher im Herkunftsland immer weitermachen.

Günter Okon, bayerisches Landeskriminalamt

Und in Nürnberg habe es 2014 insgesamt einen leichten Anstieg der Einbrüche gegeben, in von Precobs als gefährdet erkannten Gebieten aber einen Rückgang. 2015 sind die Einbruchszahlen pro 100.000 Einwohner in beiden Städten zurückgegangen, in München von 101 auf 78, in Nürnberg von 134 auf 108. Augsburg dagegen erlebte einen Anstieg von 69 auf 81. In München und Nürnberg sind auch keine Verdrängungseffekte erkennbar, die Täter weichen nicht in andere Stadtteile aus.

Jagd auf die Hintermänner

Wichtig ist Okon auch, dass es Polizeipräsenz für Erfolge braucht. Wegen Flüchtlingsansturm, Islamisten-Terror und Einsätzen bei Fußballspielen fehlten auch in Bayern Polizisten. Ein weiteres Problem: „Es reicht nicht, die Helfer zu erwischen, wenn die Strippenzieher im Herkunftsland immer weitermachen“, sagt Okon. Hier sieht der Hauptkommissar eine wichtige Aufgabe der Politik, für bessere internationale Polizeizusammenarbeit zu sorgen. Auch die Bürger können helfen: Leute, die einem merkwürdig vorkommen, soll man lieber einmal zu viel der Polizei melden. Oft seien etwa Bettler die Kundschafter von Einbrecherbanden.

Auch Precobs wird weiterentwickelt. In Nürnberg löste eine Reihe von Einbrüchen keinen Alarm aus. Die Ursache: Erst als in der Gegend ein Asylbewerberheim errichtet wurde, das insbesondere Georgier beherbergte, kam es zu den Straftaten. Vorher war viele Jahre nichts passiert, der Bereich galt als sicher. Solche Fehler helfen, das System stetig besser zu machen.