Gerichte am Limit
Keine Büroräume, viel zu wenige Richter, zehntausende unbearbeitete Asylverfahren - die Situation an den Verwaltungsgerichten ist dramatisch. Dabei gäbe es Lösungen, wie die Prozesse beschleunigt werden könnten.
Asylverfahren

Gerichte am Limit

Keine Büroräume, viel zu wenige Richter, zehntausende unbearbeitete Asylverfahren - die Situation an den Verwaltungsgerichten ist dramatisch. Dabei gäbe es Lösungen, wie die Prozesse beschleunigt werden könnten.

Wegen der immer weiter steigenden Zahl von Asylverfahren sind die Verwaltungsgerichte in Deutschland am Limit. „Man kann sagen: Die Lage ist dramatisch. Es knarzt jetzt an allen Ecken und Enden“, sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, der Deutschen Presse-Agentur. In diesem Jahr werde sich die Zahl der Verfahren auf rund 200.000 verdoppeln. Bereits im vergangenen Jahr hatte es bei den Klagen von Flüchtlingen eine Verdopplung gegeben: Von 50.000 (2015) auf 100.000 (2016).

Die Lage ist dramatisch.

Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter

Immer mehr Flüchtlinge klagen gegen ablehnende Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) – oder auf den vollen Flüchtlingsstatus. Zwar sei die Zahl der knapp 2000 Richter in den vergangenen anderthalb Jahren signifikant erhöht worden. „Die Gerichte finden aber gar nicht so viele geeignete Bewerber wie wir bräuchten“, sagte Seegmüller, der Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ist. „Die Situation momentan ist einfach sehr, sehr belastend.“

Extreme Arbeitsbelastung

Der Blick nach Bayern zeigt, wie dramatisch sich die Belastung der Gerichte erhöht hat: An den sechs bayerischen Verwaltungsgerichten liefen allein im ersten Halbjahr mehr als 37.000 Verfahren auf. 2013 waren es im ganzen Jahr noch weniger als 5000. In München fiel die Zunahme der Klagen besonders drastisch aus: Mehr als 16.000 Verfahren musste hier die Justiz in den ersten sechs Monaten bewältigen. Das sind mehr als zehn Mal so viele wie noch im gesamten Jahr 2013.

An manchen Gerichten gibt es laut Seegmüller allmählich auch ein Raumproblem. Zudem sei „nicht-richterliches Personal“ unzureichend vorhanden. Kurzfristig helfe derzeit nur: „Möglichst viel Personal einstellen, genügend Räume und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen und so gut wie möglich versuchen, das Thema abzuarbeiten.“

Verwaltungsgerichte werden zu Asylgerichten

Neben den hohen Flüchtlingszahlen beschert auch eine veränderte Entscheidungspraxis im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Verwaltungsgerichten viele neue Fälle. Syrienflüchtlinge erhalten häufig nicht mehr die volle Anerkennung als Asylberechtigte. Die erforderliche „politische Verfolgung“ des Artikel 16a Grundgesetz trifft auf die meisten Syrer nämlich nicht zu. Die meisten erhalten darum nur noch einen „subsidiären Schutz“, etwa weil ihr Leben durch einen bewaffneten Konflikt im Heimatland bedroht ist. Dies bedeutet praktisch, dass nur eine Aufenthaltsberechtigung von einem statt drei Jahren erteilt wird. Zudem ist für zwei Jahre die Möglichkeit des Familiennachzugs ausgesetzt. Im Jahr 2015 hatten Syrer aufgrund des Andrangs praktisch automatisch den vollen Flüchtlingsstatus bekommen. Darum gab es plötzlich auch viele Syrer mehr.

Es gibt Fragen, die man einmal durch ein oberstes Gericht im Prinzip entscheiden könnte, und dann wäre das geklärt.

Robert Seegmüller

Asylbewerber, die einen ablehnenden Bescheid des BAMF oder den subsidiären Schutz nicht akzeptieren wollen, landen automatisch vor dem Verwaltungsgericht. 52 dieser Gerichte gibt es in Deutschland, fast alle sind sie inzwischen zu Asylgerichten geworden. An einigen Gerichten mache der Anteil der Asylverfahren inzwischen etwa 80 Prozent der eingehenden Klagen aus, berichtet Seegmüller.

Neue Instrumente für schnellere Prozesse

Um die Situation zu entschärfen, müsse man auch prüfen, wie man „gleichförmige tatsächliche und rechtliche Fragen“ schneller beispielsweise durch das Bundesverwaltungsgericht entscheiden lassen könne, sagte der Richter. „Da muss der Gesetzgeber mal nachdenken, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, im Wege eines gesonderten Vorlageverfahrens oder mit anderen neuen prozessualen Instrumenten einfach schnellere Entscheidungen gleichartiger Tat- und Rechtsfragen zu ermöglichen.“

Es gebe Fragen, „die man einmal durch ein oberstes Gericht im Prinzip entscheiden könnte, und dann wäre das geklärt“, sagte Seegmüller. „So entscheiden das 15 Oberverwaltungsgerichte und 52 Verwaltungsgerichte dieselben tatsächlichen und rechtlichen Fragen nebeneinander und das macht viel unnötige Arbeit.“

Dublin-Entscheidung standardisieren

Als ein Beispiel nennt er die Dublin-Entscheidungen. Darin geht es um die Frage, ob ein Asylbewerber in das Land zurückschickt wird, in dem er zuerst europäischen Boden betreten hat, und ob er dort ein ordentliches Verfahren erwarten kann. Bisher entscheide darüber jedes Verwaltungsgericht für sich. „Das ist eine wahnsinnige Verschwendung von Ressourcen“, kritisiert Seegmüller. Sinnvoller wäre es seiner Meinung nach, wenn es eine bundesweit gültige Entscheidung gäbe, die alle 52 Gerichte übernehmen könnten.

„Katz und Maus-Spiel“ am Gericht

Wenn über Asylanträge in Deutschland gesprochen wird, richtet sich die Aufmerksamkeit meist auf die Verfahren beim BAMF. Was dabei allerdings unberücksichtigt bleibt: Nur bei einer Anerkennung ist der Fall erledigt. Jeder abgelehnte Bewerber kann vor ein Verwaltungsgericht ziehen und gegen die Entscheidung klagen. Der BAYERNKURIER hat einen Prozess im Münchner Verwaltungsgericht begleitet und erfahren: Ob Kläger auch bei aussichtslosen Asylbegehren Deutschland wieder verlassen müssen, ist mehr als fraglich. Denn nach einer abgewiesenen Klage beginnt häufig das, was Gerichtssprecher Florian Huber als „Katz und Maus-Spiel“ mit den ausländischen Behörden bezeichnet. Lesen Sie hier mehr: Die zweite Verfahrenswelle.

dpa/AS