Menschen demonstrieren in Istanbul gegen Angriffe auf die Pressefreiheit. (Bild: Guy Martin/Panos Pictures)
Pressefreiheit

Berichte, die Leben kosten

Syrien und Mexiko sind Todeszonen für Journalisten. Dort starben im vergangenen Jahr weltweit die meisten Berichterstatter laut Reporter ohne Grenzen. Besonders erschreckend: Für ihre Taten wird der Großteil der Täter nicht verurteilt.

Die Zahl der getöteten Journalisten ist 2017 so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Im vergangenen Jahr seien 81 Reporter und Medienschaffende bei Mordanschlägen oder im Kreuzfeuer ums Leben gekommen, teilte die Internationale Journalisten-Föderation (IFJ) mit. 2016 hingegen waren nach Angaben des Dachverbands der nationalen Journalistenverbände noch 93 Journalisten getötet worden.

Dennoch ist die Situation für Journalisten in bestimmten Ländern immer noch extrem gefährlich. „In Syrien, Mexiko und Indien bewegen sich die Morde auf einem erschreckenden Niveau, mehr weibliche Journalisten wurden getötet, die Straflosigkeit bei den Taten liegt bei über 90 Prozent, Selbstzensur ist weit verbreitet und mehr Journalisten sind in Haft als in den vergangenen Jahren“, sagte IFJ-Generalsekretär Anthony Bellanger.

Berichte über Tabus kosten Leben

Laut Jahresbilanz des Vereins „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) sind weltweit mindestens 65 Journalisten, Bürgerjournalisten und andere Medienmitarbeiter in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet worden. Fast die Hälfte von ihnen starben außerhalb von Regionen mit bewaffneten Konflikten. Sie wurden in Ländern wie Mexiko oder den Philippinen ermordet, weil sie über Tabu-Themen wie politische Korruption oder das organisierte Verbrechen berichteten.

„Gerade dass so viele Journalisten außerhalb von Kriegsregionen ermordet werden, ist ein erschreckendes Zeichen“, sagte ROG-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „In viel zu vielen Ländern können die Täter und ihre Auftraggeber damit rechnen, dass sie mit Gewalt gegen Medienschaffende ungeschoren davonkommen. Die Staatengemeinschaft muss endlich wirksame Mittel finden, um die skandalöse Straflosigkeit für solche Verbrechen zu beenden.“

Mehr Frauen sterben

39 der im Jahr 2017 getöteten Medienschaffenden wurden wegen ihrer journalistischen Tätigkeit gezielt ermordet. Die übrigen 26 wurden im Einsatz getötet, weil sie etwa unter Beschuss oder in einen Bombenangriff gerieten. Unter den Getöteten waren laut ROG 50 professionelle Journalisten, sieben Bürgerjournalisten und acht sonstige Medienmitarbeiter. 35 Medienschaffende starben in Gebieten mit bewaffneten Konflikten, 30 außerhalb solcher Gebiete. Zehn der Getöteten und damit doppelt so viele wie im Vorjahr waren Frauen.

Die weltweit gefährlichsten Länder für Journalisten, Bürgerjournalisten und Medienmitarbeiter waren 2017 Syrien (12 Medienschaffende getötet), Mexiko (11), Afghanistan (9), der Irak (8) und die Philippinen (4). Weltweit wurden in den vergangenen 15 Jahren allein 1035 professionelle Journalisten in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet.

Hunderte Inhaftierte sitzen in nur fünf Ländern

326 Medienschaffende weltweit sind zum Jahresende wegen ihrer Tätigkeit in Haft. Knapp die Hälfte von ihnen sitzt in nur fünf Ländern im Gefängnis: in China, der Türkei, in Syrien, dem Iran und Vietnam. In China verweigere das Regime der Kommunistischen Partei inhaftierten Kritikern vorsätzlich eine angemessene Gesundheitsversorgung und nimmt in Kauf, dass sie in Haft sterben.

In Vietnam hat die Regierung die Unterdrückung der Medienfreiheit in den vergangenen Monaten weiter verschärft und mindestens 25 Blogger verhaftet oder des Landes verwiesen, derzeit sitzen dort 19 in Haft.

Türkei inhaftiert ohne Anklage

In der Türkei hält die Justiz Journalisten systematisch über längere Zeiträume in Untersuchungshaft und bestraft sie damit, ohne Anklage zu erheben oder ein Gerichtsurteil abzuwarten. Viele der nach dem Putschversuch im Sommer 2016 Verhafteten sitzen auf diese Weise seit mittlerweile anderthalb Jahren im Gefängnis. Der deutsche Korrespondent Deniz Yücel ist seit Februar in Haft, obwohl gegen ihn noch nicht einmal Anklage erhoben wurde.

Viele Entführungen in Syrien

Ende 2017 bleiben weltweit 54 Medienschaffende entführt. Mit Ausnahme von zwei Journalisten, die von den separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine festgehalten werden, konzentrieren sich diese Fälle vollständig auf Syrien, den Jemen und den Irak. Allein in Syrien befinden sich derzeit mindestens 22 einheimische und sieben ausländische Medienschaffende in der Gewalt verschiedener bewaffneter Gruppen, einige davon seit mehr als fünf Jahren. In manchen Fällen machen Angehörige und Kollegen der Geiseln deren Schicksal erst nach Jahren publik, weil sie befürchten, das Leben der Entführten sonst zusätzlich zu gefährden.

Bündnis zum Schutz von Journalisten

Gewalt und Drohungen gegen Journalisten zielen stets darauf ab, die Betroffenen zum Schweigen zu bringen, ihre Kollegen einzuschüchtern und die Öffentlichkeit von unabhängigen Informationen abzuschneiden. Um dieses Kalkül zu durchkreuzen, haben Reporter ohne Grenzen und das Bündnis Freedom Voices im November das Projekt „Forbidden Stories“ gestartet: Bedrohte Journalisten können dort ihre Recherchen hinterlegen. Sollte ihnen etwas zustoßen, kann das Bündnis ihre Arbeit fortführen und einem breiten internationalen Publikum zugänglich machen.

Türkei im Ausnahmezustand

Das Titelbild stammt aus dem Bildband „Fotos für die Pressefreiheit 2017“. Das Foto zeigt Istanbuler, die vor der Redaktion der Zeitung Özgür Gündem im Juni 2016 gegen Angriffe auf die Pressefreiheit protestieren. Kurz zuvor waren mehrere Menschen festgenommen worden, weil sie an einer Solidaritätsaktion für die türkisch-kurdische Zeitung teilgenommen hatten. Der britische Fotograf Guy Martin zeigt in seinen Bildern die bedrückende Atmosphäre in einem Land, das sich in den vergangenen Jahren rasant verändert hat.

dpa/ROG/AS