Mit dem Drucker können sich Hochzeitspaare eine originalgetreue Büste aus Marzipan drucken lassen. (Bild: Bocusini, Christian Oster)
Technologie

Delikatessen wie gedruckt

Die Erfinder von Deutschlands erstem Lebensmitteldrucker "Bocusini" bieten Gastronomen und Bäckern ein neues, kreatives Werkzeug. Die Macher sehen in der Entwicklung aber noch viel mehr Potential, etwa in der Altenpflege.

Wie lange Spaghetti quillt die Masse aus der Spritzdüse. Die Düse schaut unter einem kastenförmigen Apparat hervor, dem „Bocusini“, Deutschlands erster Lebensmitteldrucker. Das Gerät surrt und kreist wie von Geisterhand über eine Arbeitsplatte. Schicht für Schicht entsteht in wenigen Minuten ein Oktopus mit filigran geschwungenen Tentakeln. Nicht wie gewöhnlich aus flüssigem Kunststoff, sondern aus Pasta mit Sepiatinte dunkel gefärbt.

Melanie Senger, Wissenschaftlerin an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in Freising, gibt das Tier in kochend heißes Wasser. Doch bei dem Manöver verliert die Krake ein Bein. „Mist, das muss ich noch üben“, schimpft die Unternehmerin über sich selbst.

Die Essenszubereitung ist normalerweise nicht ihr Job. Seit 2012 forscht Senger daran, Lebensmittel auf die Bedürfnisse von einzelnen Menschen abzustimmen – beispielsweise für Menschen mit Schluckbeschwerden oder Nährstoffmangel. Das Ergebnis: der erste deutsche 3-D-Foodprinter, sprich ein Drucker, der Lebensmittel in dreidimensionale Form bringt. „Wer davon zum ersten Mal hört, verzieht meist das Gesicht. Aber wenn wir die Funktion des Druckers erklärt haben, ist die Begeisterung groß“, sagt Senger.

Kreativität für Konditoren

Grundsätzlich arbeitet das Gerät wie ein Spritzbeutel. Gastronomen und Konditoren ermöglicht er, Gerichte und Torten beispielsweise mit Schriftzügen oder Logos kreativ zu gestalten. Mithilfe von Fotos kann der Drucker zudem originalgetreue Modelle, beispielsweise von Hochzeitspaaren, oder Büsten nachbilden. Mit dem Gerät bekommen Gastronomen die Lebensmittel – darunter Marzipan und die Zutaten für Schokoglasur, Fondant, Cassis oder Pasta – in austauschbaren Kartuschen gleich mitgeliefert. Individuelle Geschmacksnoten können experimentierfreudige Köche beisteuern. Wer einen Hummer aus Pasta druckt, nimmt beispielsweise statt Wasser Fischfond, wenn er den Teig zubereitet.

Die größte Schwierigkeit für Senger und ihr Team besteht darin, die Lebensmittel in die passende Konsistenz zu bringen. 14 Monate brauchten sie, bis das optimale Marzipan-Rezept fertig war. Denn die Masse muss fein genug sein, um durch die Düse des „Bocusini“ zu passen. Gleichzeitig muss sie ausreichend stabil sein, damit gedruckte Marzipan-Büsten anschließend nicht den Kopf hängen lassen. Mithilfe einer Crowdfunding-Aktion kamen 40.000 Euro zusammen und Senger belieferte 2015 die ersten 70 Kunden mit Prototypen.

Aus dem anfänglichen Forschungsprojekt entstand so das Start-up „print2taste“. Die Ernährungswissenschaftlerin ist eine der zehn Gründer des jungen Unternehmens. „Durch den Verkauf des 3-D-Druckers wollen wir uns möglichst bald selbst tragen, damit wir unsere Vision weiterverfolgen können“, sagt die 33-Jährige. Die Wissenschaftler sehen in der Entwicklung großes Potential für Alters- und Pflegeheime: Bringen die Geräte pürierte Zutaten mit zusätzlichen Nährstoffen in appetitanregender Form auf den Teller, hilft das unter anderem Menschen, die nicht mehr kauen oder schlucken können.

Noch ist der Essensdrucker für den Einsatz in der Gemeinschaftsverpflegung viel zu zeitintensiv und kostspielig. Für detailverliebte Feinarbeiten in Bäckereien, Konditoreien oder Restaurants bietet die Erfindung aber tolle Möglichkeiten. So konnten Gäste im Restaurant „elBulli“ des berühmten spanischen Kochs Ferran Adrià, dem Erfinder der Molekularküche, bereits Desserts probieren, die mit dreidimensionalen Zuckergebilden aus dem 3D-Drucker gekrönt waren. Der italienische Nudelproduzent Barilla präsentierte auf der Expo in Mailand kunstvoll gedrehte Nudeln aus dem 3D-Drucker.

Hochzeitspaare in 3D

Karl Eisenrieder, Inhaber der Konditorei Münchner Freiheit, gehört zu den Kunden der ersten Stunde. „Die Idee ist gut, aber es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür“, findet er. In diesem Jahr haben erst zwei Hochzeitspaare bei ihm eine originalgetreue Abbildung von sich selbst aus Marzipan bestellt. Dazu fotografiert Eisenrieder die Paare mit dem Tablet. Aus den Fotos entsteht eine 3D-Scanvorlage, die den Druck möglich macht. Rund 150 Euro kostet ein 15 cm großes Modell, ein essbares Selfie bietet der Konditor bereits für 50 Euro an. „Am Preis kann die mangelnde Nachfrage nicht liegen. Die Menschen müssen womöglich erst ihre Vorbehalte gegenüber der Technologie verlieren“, vermutet Eisenrieder.

Ob Pfannkuchen in Eiffelturmform oder Zootiere aus Fruchtgummi – weltweit versuchen sich Firmen an der Entwicklung von 3-D-Lebensmitteldruckern. Doch tatsächlich kommt Essen aus dem Drucker beim Großteil der Verbraucher noch nicht so richtig an. So hat die Supermarktkette Hit nach einem Jahr den 3-D-Drucker für Gummibärchen des Süßwarenherstellers Katjes in einer seiner Filialen wegen mangelnder Nachfrage wieder abgebaut.

Bereits 2012 investierte die Raumfahrtbehörde NASA in die Entwicklung eines Lebensmitteldruckers. Mit ihm sollten Astronauten ihr Essen mit hohem Nährwert selbst drucken können. Seitens der NASA wurde das Projekt jedoch inzwischen aufgrund von Budgetkürzungen eingestellt. Doch der beauftragte Entwickler Anjan Contractor blieb am Ball. Mit einem Pizzadrucker arbeitet er derzeit daran, das Geschäft etablierter Fastfoodketten in den USA zu revolutionieren.

Obama aus Marzipan

Die Freisinger verfeinern indes weiter ihre Technologie. „Uns freut, dass nach den Forschungseinrichtungen immer mehr Profis aus der Gastronomie und dem Backgewerbe an den Druckern interessiert sind“, sagt Senger. In diesem Herbst haben die Tüftler die dritte Generation ihres 3-D-Druckers für 2000 Euro auf den Markt gebracht. Mit ihm lassen sich bis zu 80 Objekte in Serie produzieren.

Insgesamt sind weltweit knapp 200 Systeme im Einsatz, davon 60 Prozent im Ausland. Damit es noch mehr werden, wirbt Senger auf Messen dafür: in Dubai mit dem bekannten Gebäude Burj Al-Arab Hotel, in Mailand mit der Büste des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama – beide Modelle aus Marzipan. Es habe sich jedoch niemand getraut, ihm ein Ohr abzubeißen, sagt die junge Wissenschaftlerin. Die süße Obama-Nachbildung wurde anschließend verlost.