Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU und ehemaliger Bayerischer Ministerpräsident (Foto: BK/Nikky Maier).
Stoiber-Kolumne

„Rechts ist keine Krankheit“

Kolumne Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber warnt davor, in der öffentlichen Debatte konservative Bürger und deren Themen in die Nähe zu Rechtsextremisten zu rücken. Dies gefährde die Meinungsfreiheit und stärke die politischen Ränder.

Viele Jahrzehnte lang haben in Deutschland mit Union und SPD zwei große Volksparteien neben der Mitte der Gesellschaft auch die demokratische Rechte beziehungsweise Linke politisch abgebildet. Extremistische Parteien wie die rechtsextreme NPD oder die linksextreme DKP wurden auf Bundesebene – von wenigen Achtungserfolgen etwa der NPD bei Landtagswahlen Mitte der 60er-Jahre abgesehen – in Schach gehalten. Bis weit in die 80er-Jahre hinein konnten die beiden Volksparteien bis zu 90 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen.

Absage an Extremisten

Heute allerdings sind sie in schweres Fahrwasser geraten. Mit dem Aufkommen der Grünen und später der Linkspartei hat die SPD große Teile ihres linken Flügels verloren. Die Union hat am rechten Flügel Konkurrenz durch die AfD bekommen, obwohl diese Partei und ihr Führungspersonal durch eine wachsende Nähe zum Rechtsextremismus auffallen und Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit angebracht sind. Allerdings lehnen viele Wähler der AfD die liberale Demokratie nicht grundsätzlich ab, sondern drücken mit der Wahlentscheidung ihren Protest gegen die etablierte Politik aus.

Die AfD konnte in Brandenburg und Sachsen auch deshalb so stark werden, weil die CDU-Spitze in Berlin klare Signale vermissen ließ, wie sie AfD-Wähler für die Union zurückgewinnen will.

Edmund Stoiber

Markus Söder hat deshalb völlig recht, wenn er die demokratisch gesinnten, konservativen Wähler der AfD auffordert, die Rechtsextremen in der AfD alleine zu lassen und zurück zur CSU zu finden. Will die Union die Menschen zurückgewinnen, denen die Welt zu komplex geworden ist, die sich auf eine nationale Übersichtlichkeit zurückziehen wollen, die um ihre kulturelle Identität fürchten, dann muss sie auch ihnen ein politisches Angebot machen.

Ministerpräsident Michael Kretschmer hat es in Sachsen vorgemacht: Dank seines bewundernswerten Engagements und seines kontinuierlichen inhaltlichen Dialogs mit den Bürgern konnte er die Verluste der CDU letztlich in Grenzen halten. Die AfD konnte in Brandenburg und Sachsen auch deshalb so stark werden, weil die CDU-Spitze in Berlin klare Signale vermissen ließ, wie sie AfD-Wähler für die Union zurückgewinnen will. Klimaschutz ist in aller Munde und sicher ein enorm wichtiges und drängendes Thema, aber gerade für die Menschen im Osten gibt es andere Themen wie Sicherheit, Wirtschaft, Arbeitsplätze oder Migration, die für sie ebenso wichtig sind.

Konservative nicht hinausdrängen

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, der völlig unverdächtig ist, Sympathien für rechte Parolen zu haben, hat in mehreren bemerkenswerten Interviews eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ im Sinne von konservativ gefordert. Nicht jeder, der schwer konservativ sei, sei eine Gefahr für die Demokratie und müsse aus dem demokratischen Spiel hinausgedrängt werden. Er halte zwar die AfD für verzichtbar, nicht verzichtbar sei es aber, die relevanten Themen und Probleme zu bearbeiten.

Obwohl er sich klar von rechtsextremen Positionen abgegrenzt hat, hat Gauck mit seinen Äußerungen sofort Entrüstung im politischen Berlin ausgelöst. Aber der frühere Bundespräsident hat vollkommen recht. Die Einbindung der demokratischen Rechten in CDU und CSU war ein selbstverständliches Ziel aller Parteivorsitzenden seit Konrad Adenauer und Josef Müller, dem „Ochsensepp“.

Bekannt ist das Diktum von Franz Josef Strauß 1986, das er nach einem überraschenden Wahlerfolg der rechten „Republikaner“ bei der bayerischen Landtagswahl formuliert hatte, dass es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe.Strauß grenzte sich mit seiner Aussage klar von rechtsradikalen Parteien wie der NPD oder den Republikanern ab, deren Mitglieder und Wähler zu großen Teilen die freiheitliche Demokratie westlicher Prägung ablehnten.

Heimat in der Union

Wer sich in dieser Zeit der demokratischen Rechten zugehörig fühlte, war typischerweise ein Verfechter von Sicherheit und Ordnung, sah Deutschland nicht als Einwanderungsland, hatte ein traditionelles Ehe- und Familienbild und pflegte einen selbstbewussten Patriotismus, ohne aber nationalistisch zu sein. Alles in allem war „rechts“ beziehungsweise „rechtskonservativ“ in Deutschland eine legitime und legitimierte Haltung, deren politische Vertreter CSU und CDU waren.

In vielen europäischen Ländern finden konservative Positionen nach wie vor breite Akzeptanz, auch von den dortigen Medien, ohne dass sie mit rechtsextremem Gedankengut in Verbindung gebracht werden. Gauck selbst verweist auf Untersuchungen aus den USA und europäischen Ländern, denen zufolge zwischen 33 und 44 Prozent der Menschen stabil konservative Vorstellungen von ihrem Leben haben. Im Gegensatz dazu wird der Begriff „rechts“ vom deutschen politischen Mainstream heute unter Extremismusverdacht gestellt. Es sei in Deutschland üblich geworden, sagte der Politikprofessor Werner Patzelt schon 2008, unter dem Etikett „rechts“ alles von nicht links bis rechtsextrem zusammenzufassen.

Linker Mainstream

Während der Mainstream in früheren Jahren auch linke und rechte Politik abbildete, hat sich der Raum für Meinungsfreiheit in den letzten Jahren deutlich verengt, allerdings nur rechts der Mitte. Links-sozialistische Ideen wie die Zwangsenteignung von Wohnraum stoßen auf erstaunliche Zustimmung sogar maßgeblicher Mainstream-Politiker wie Robert Habeck. Das wäre noch vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen. Dagegen sind früher akzeptierte Mitte-rechts-Positionen wie die Ablehnung der Ehe für alle oder ein Europa der Nationen anstelle der utopischen Vereinigten Staaten von Europa als Bundesstaat von der liberalen medialen Öffentlichkeit aus dem Mainstream gedrängt worden.

Eine solchermaßen empfundene Einschränkung der Meinungsfreiheit hätte ich mir noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen können.

Edmund Stoiber

Wer die überproportional hohe Ausländerkriminalität oder den erlittenen Kontrollverlust im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 öffentlich kritisiert, hat den Mainstream ebenfalls verlassen. Das hat vor Kurzem Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erfahren müssen, der in einem Interview Fakten zur höheren Gewaltneigung von Zuwanderern referierte und daraufhin harsche Kritik aus der links-grünen Ecke („pauschale Vorverurteilung“, „latent rassistische Stereotype“), einstecken musste. Auch Unions-Vize Carsten Linnemann stieß mit seinem sinnvollen Vorstoß, Kinder, die kein Deutsch können, vor der Einschulung verpflichtend in einer Vorschule Deutsch lernen zu lassen, sogar in der eigenen Partei auf Empörung („populistischer Unfug“, „Ausgrenzung“).

Das passt zu einer Allensbach-Umfrage vom Mai 2019, in der die Mehrheit der Befragten bei bestimmten Themen die Meinungsfreiheit in Gefahr sieht. Fast zwei Drittel haben dieser Umfrage zufolge den Eindruck, man müsse im öffentlichen Raum sehr aufpassen, was man sagt. Das betrifft in erster Linie das Flüchtlingsthema. Aber auch über den Einfluss des Islam, Gender-Fragen oder Patriotismus könne man sich nicht mehr freimütig äußern. Das ist meines Erachtens ein deutliches Alarmzeichen. Eine solchermaßen empfundene Einschränkung der Meinungsfreiheit hätte ich mir noch vor wenigen Jahren nicht vorstellen können.

Der Preis der Ausgrenzung

Die Verengung des Mainstreams auf links-liberale Positionen hat ihren Preis, worauf der Schriftsteller Bernhard Schlink vor Kurzem hingewiesen hat: Wenn immer mehr traditionell konservative Menschen, die Zuwanderung nicht nur als Bereicherung empfinden oder alles in allem stolz auf ihr Land sind, vom Mainstream tabuisiert werden, werden die Träger dieser Positionen aus dem akzeptierten Meinungsspektrum an den rechten Rand gedrängt und deren Ansichten dort diskutiert und noch bestärkt.

Wer die massenhafte Zuwanderung von Menschen aus fremden Kulturkreisen kritisch sieht und eine multikulturelle Gesellschaft ablehnt, ist noch lange kein Extremist.

Edmund Stoiber

Diese systematische Ausgrenzung eines beachtlichen Teils der Bevölkerung führt nur zur Stärkung der Ränder und zur Schwächung der Volksparteien. Deshalb ist es für die Union als Mitte-rechts-Volkspartei auch künftig wichtig, der demokratischen Rechten eine politische Heimat zu bieten. Der Anspruch, den Strauß einst an die CSU formulierte, ist unverändert aktuell, auch wenn er immer wieder infrage gestellt wird. Wer die massenhafte Zuwanderung von Menschen aus fremden Kulturkreisen kritisch sieht und eine multikulturelle Gesellschaft ablehnt, ist noch lange kein Extremist.

Sorge vor der Zuwanderung

37 Prozent der Deutschen halten einer neuen Eurobarometer-Umfrage zufolge die Zuwanderung für ein wichtiges Problem, dagegen nur 31 Prozent den Klimawandel. Dieser Prioritätensetzung muss man nicht zustimmen, aber wer diese Haltung hat, dem lässt sich doch nicht pauschal Extremismus vorwerfen! Wer sich vor raschen gesellschaftlichen Veränderungen fürchtet, die ihm Globalisierung und Digitalisierung aufzwingen, und am liebsten möchte, dass alles bleibt wie es ist, geht hier zwar fehl, ist aber ebenfalls noch lange kein Extremist. Wie sagt der Journalist Ralf Schuler pointiert: „Rechts ist keine Krankheit.“ Auch rechtskonservative Meinungen sind zu tolerieren. Der Kampf um die Meinungshoheit sollte mit Argumenten geführt werden, nicht mit sozialer Ächtung.