Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stober. (Foto: BK/W. Heider-Sawall)
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„Die CSU muss noch internetbezogener werden“

Interview Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber erklärt, was er mit dem „Bayernkurier“ verbindet, warum es richtig ist, verstärkt auf digitale Kommunikation zu setzen, und wie der Staat die Online-Dienste regulieren müsste.

Herr Stoiber, nach fast 70 Jahren wird der „Bayernkurier“ eingestellt. Was verbinden Sie  mit dem Parteiblatt?

Qualitätsjournalismus, eine scharfe Feder und den Mut zur Auseinandersetzung. Er hat die Positionen der CSU gut erklärt, aber ein Stück weit auch selbst geprägt: konservativ, freiheitlich, auf die Eigenverantwortung des Menschen setzend, klare Kante! Der „Bayernkurier“ war nicht nur ein Presseorgan der Partei, sondern er hatte für die CSU, ihre Mitglieder und Anhänger echten identitätsstiftenden Charakter.

In welcher Zeit war der „Bayernkurier“ für die CSU besonders wichtig?

Er war zu jeder Zeit wichtig, aber besonders prägend waren die Zeiten der großen grundlegenden Entscheidungen: in den 50er-Jahren die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft, Schaffung der Bundeswehr, Beitritt zur Nato, Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. In den 70er-Jahren die grundsätzliche und mit die schärfste Auseinandersetzung in der Geschichte der Bundesrepublik: um die Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs, Grundlagenvertrag, Freiheit oder Sozialismus. Da hat der „Bayernkurier“ immer die Gegensätze zwischen der CSU und vor allem der SPD aufgezeigt und deutlich Position bezogen. Die Auseinandersetzungen waren damals härter und klarer.

CSU – Bayern – Bayernkurier: Das war für die Mitglieder und Freunde der CSU ein wunderbarer Dreiklang.

Edmund Stoiber

Waren Sie immer zufrieden mit dem, was der „Bayernkurier“ berichtet hat?

Inhaltlich war ich immer einverstanden. Manchen war der „Bayernkurier“ oft allzu zugespitzt und aggressiv. Aber Politik bedeutet immer auch Auseinandersetzung! Der „Bayernkurier“ hat immer seine inhaltliche Linie eingehalten. CSU – Bayern – Bayernkurier: Das war für die Mitglieder und Freunde der CSU ein wunderbarer Dreiklang.

Ein besonderes Verhältnis verband den langjährigen Chefredakteur Wilfried Scharnagl mit Franz Josef Strauß. Wie haben Sie diese Verbindung erlebt?

Scharnagl war ein gebildeter Intellektueller, das kongeniale Sprachrohr und tiefgründiger Interpret von Strauß. Das war eine wirkmächtige menschliche und politische Symbiose zweier politischer Urgesteine mit intellektueller Kraft und unglaublicher Sprachmächtigkeit, wie sie wohl einmalig war. Strauß hat es treffend formuliert: „Er schreibt, was ich denke, und ich denke, was er schreibt.“ Unvergessen bleiben Scharnagls legendäre Leitartikel im „Bayernkurier“, mit vielfacher Presseresonanz. Viele davon waren Originalton Strauß, ohne dass dieser sie vorher zu Gesicht bekam.

Die Mediennutzung wandelt sich stark. Immer weniger Menschen lesen noch eine Zeitung oder eine Zeitschrift. Immer mehr informieren sich über die sozialen Medien. Was heißt das für die Vermittlung von Politik?

Das Ende des Printmediums „Bayernkurier“ ist gerade für mich hochemotional, vergleichbar mit dem vom Eigentümer ausgelösten Auszug aus Wildbad Kreuth. Und gerade für viele ältere CSU-Mitglieder ist er natürlich ein Teil der Historie der Partei. Für sie ist das schon ein großer Einschnitt. Aber jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen. Heute dominiert die digitale Kommunikation in den sozialen Medien, gerade bei den jungen Menschen. Das kann für eine Volkspartei wie die CSU, die alle Altersgruppen und alle Bevölkerungsschichten erreichen will, nicht ohne Folgen bleiben. Es ist deshalb konsequent, wenn Markus Söder die Kommunikation der CSU weiter digitalisiert.

Für die Nutzer ist es kaum ersichtlich, nach welchen Kriterien ein Dienst wie Facebook die Nachrichten filtert. Bräuchte es hier nicht mehr Transparenz?

Auf jeden Fall. Leider haben wir in Europa die Kon­trolle über die steuernden Algorithmen komplett privaten US-Firmen wie Facebook oder Google überlassen. So ist es völlig unklar, welche Algorithmen Facebook zur Filterung verwendet. Die Gefahr ist groß, dass der Nutzer ständig in seiner eigenen Meinung bestärkt wird und nicht mehr aus seiner Filterblase hinauskommt.

Ein funktionsfähiger öffentlicher Raum, zu dem auch der Kommunikationsraum gehört, ist eine entscheidende Voraussetzung für gesellschaftliches Zusammenleben und muss im Sinne der Demokratie gestaltet sein. Das hat bei analogen Medien durch Mediengesetzgebung und Regulierung im Großen und Ganzen gut funktioniert. Jetzt ist ein digitaler öffentlicher Raum im Internet hinzugekommen, der keine vergleichbaren Regeln hat. Die zentrale Frage ist jetzt: Wie schaffen wir ein „level playing field“, wo wir unsere geltenden Rechtsnormen sowohl im herkömmlichen als auch im digitalen öffentlichen Raum durchsetzen?

Der digitale Stammtisch muss auch andere Meinungen akzeptieren lernen!

Edmund Stoiber

Wenn die Menschen nur noch das angeboten bekommen, für das sie sich interessieren, findet ein Austausch mit gegensätzlichen Argumenten und Positionen kaum noch statt. Was bedeutet das für die Demokratie?

Das ist eine große Herausforderung für die Politik und ihre Repräsentanten. Es vertieft die Spaltung der Gesellschaft in verschiedene Lager, wenn ein wachsender Teil der Bevölkerung nur noch das wahrnimmt, das seiner Meinung entspricht. Diese Menschen ziehen sich in ihre digitalen Höhlen zurück und sind mit anderen Ansichten kaum noch erreichbar. Das ist eine schwere Belastung für die Demokratie. Daher müssen wir unsere kommunikative Abhängigkeit von den amerikanischen Giganten Facebook und Co. überwinden. Am besten wäre die Entwicklung einer europäischen Lösung, mit transparenten Algorithmen, die der Meinungsvielfalt einen angemessenen Raum überlässt, um Kompromisse ringt und keine einseitige Filterblase zulässt. Der digitale Stammtisch muss auch andere Meinungen akzeptieren lernen!

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Zersplitterung der Medien- und der Parteienlandschaft?

Durchaus. Das Geschäftsmodell der US-Giganten ist auf zugespitzte Inhalte angewiesen, weil diese im Netz stärker verbreitet werden als eine ausgleichende Botschaft und somit potenziell mehr Werbeeinnahmen generieren. Je aufputschender und emotionaler ein Inhalt ist, umso mehr wird er verbreitet. Das führt zu einer wachsenden Frontstellung und Polarisierung. Das wiederum begünstigt Parteien mit abseitigen, aber zugespitzten und emotional ansprechenden Argumenten.

Im Internet gelten nicht die Standards und Regeln, die für klassische Medien etabliert sind. Praktisch kann jeder senden und verbreiten, was er möchte. Wie beurteilen Sie das?

Früher und auch heute noch im analogen Bereich gab es „Gatekeeper“, also hauptsächlich Journalisten, die eine Debatte versachlichen und mit Argumenten unterlegen konnten. Heute kann im Netz ungehindert polemisiert und polarisiert werden. Jeder ist sein eigener Chefredakteur. Das stellt für die Politik eine große Herausforderung dar. Im analogen Medienbereich gibt es die Aufsicht der Landesmedienanstalten beziehungsweise bei Printmedien den Presserat. Digitale Äußerungen unterliegen keiner vergleichbaren Kontrolle. Bei den großen privaten TV-Sendern RTL und Pro7Sat.1 wird die Qualität des Programms durch die strenge Aufsicht der Landesmedienanstalten gesichert. Die Sender müssen nicht nur vielfältige Auflagen zur Sicherung der Meinungsvielfalt in ihrem Programm erfüllen, wie Drittsendezeiten für Programm­anbieter wie SPIEGEL-TV oder die Produktion von Regionalfenstern. Die Angebote müssen auch hohen journalistischen Sorgfaltsstandards genügen, was von den Landesmedienanstalten kontrolliert wird.

Das ist entscheidend anders im Onlinebereich, zum Beispiel bei YouTube- Videos: Zwar müssen sich auch YouTuber grundsätzlich an journalistische Sorgfaltsregeln halten, aber deren Einhaltung wird von niemandem kontrolliert. Der YouTuber Rezo erreicht Millionen mit dem, was er als seine Wahrheit verkauft, und wird von keiner Medienaufsicht überprüft. Hier besteht eine klare Regelungslücke, die in Fachkreisen seit Jahren beklagt wird und auf die beispielsweise auch der Direktor der Landesmedienanstalt NRW zuletzt wieder öffentlich hingewiesen hat. Der Rundfunkstaatsvertrag muss an dieser Stelle geändert werden.

Die Kontrolle, ob eine Information wahr ist oder nicht, wird zunehmend dem Mediennutzer aufgebürdet. Überfordert man damit nicht  die Menschen?

Wir haben wie gesagt das Grundproblem, dass zwar der analoge öffentliche Raum kontrolliert und reguliert wird, nicht aber der digitale öffentliche Raum. Letztlich muss der Staat vorgeben, dass es auch im Netz einen öffentlichen Raum braucht, in dem ein gewisser Mindestschutz vor Verleumdungen, Hetze und Desinformation herrscht. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist ein Anfang, hat aber den großen Nachteil, dass die Durchsetzung den privaten Social-Media-Anbietern überlassen wird. Da stellt sich für mich schon die Frage, ob sich der Staat noch stärker einschalten muss.

Im Schutze der Anonymität des Netzes schwinden die Hemmungen.

Edmund Stoiber

Im Internet wird häufig sehr polemisch, auch beleidigend argumentiert. Wie erklären Sie sich die Verrohung des Umgangstons?

Im Schutze der Anonymität des Netzes schwinden die Hemmungen. Anonymität begünstigt Radikalisierung. Wenn Sie in der analogen Welt Hetze und Hass verbreiten, werden Sie schnell zur Rechenschaft gezogen. Wenn Sie das in der Anonymität des Internets tun, ist das ungleich schwieriger. Hier gelten andere Regeln als in der analogen Welt. Diese Regeln müssten angeglichen werden. Dazu bräuchte es eine europäische Grundlage. Die ist aber nicht in Sicht.

Unlängst hat das Landgericht Berlin geurteilt, die Grünen-Politikerin Renate Künast müsse auch vulgäre Beleidigungen erdulden, dies sei „mit dem Stilmittel der Polemik geäußerte Kritik“. Was sagen Sie dazu?

Ein hanebüchenes, falsches und verletzendes Urteil. Hier sind massiv Grenzen überschritten worden. Die Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Doch gibt es auch Ausnahmen, wo das Strafrecht greifen muss, wie bei Verleumdung, Beleidigung oder Volksverhetzung.

Besonders die Anhänger der AfD sind im Internet sehr aktiv und dominieren viele Debatten. Wie kann man gegen diese Meinungsvormacht ankommen?

Im Internet gegenhalten! Die CSU muss und wird noch internetbezogener werden. Es muss gelingen, die Menschen zu erreichen, die die AfD nur aus Protest wählen – auch über das Internet. Da ist der Parteivorsitzende auf dem richtigen Weg. Wie hat Markus Söder gesagt: „Ich gehe nicht ins Internet, ich bin immer drin.“

Heute gibt es das digitale Bierzelt und es kommt darauf an, auch dort die Menschen zu erreichen.

Edmund Stoiber

Muss man auch direkt auf diese Wähler zugehen und sie ansprechen?

Ja, natürlich. In den 70er-Jahren hat der damalige CSU-Generalsekretär Gerold Tandler die Losung ausgegeben „Wir müssen die Bierzelte erobern“. In einem Bierzelt mit zwei- bis dreitausend Besuchern trifft man Menschen mit unterschiedlichsten politischen Auffassungen, die man überzeugen muss. Damals hat man gesagt, ein Politiker muss „bierzelttauglich“ sein. Ein Grund des großen CSU-Erfolgs war es immer, dass wir die Bierzelthoheit hatten. Heute gibt es das digitale Bierzelt und es kommt darauf an, auch dort die Menschen zu erreichen.

Sie haben jüngst kritisiert, der mediale Mainstream hätte sich nach links verschoben. Woran machen Sie das fest?

Eine Studie des Reuters Institute an der Universität von Oxford hat öffentlich-rechtliche Sendeanstalten in acht Ländern untersucht und Mediennutzer befragt. Dabei kam heraus, dass ARD und ZDF mit ihrem Informationsangebot vor allem bei Zuschauern hoch im Kurs stehen, die sich politisch eher links einordnen. Während das Vertrauen in die deutschen Öffentlich-Rechtlichen im linken Lager groß ist, ist es im rechten politischen Spek­trum gering. Die Diskrepanz zwischen beiden Lagern ist in Deutschland so groß wie sonst nirgendwo in Europa – außer in Griechenland. Außerdem erreichen die Öffentlich-Rechtlichen nach der Oxford-Studie kaum die bildungsferneren Schichten und die Jugend.

Was heißt das für konservative Parteien wie die CSU?

Wir müssen die Menschen noch stärker direkt ansprechen. Dazu muss die CSU noch stärker im Netz unterwegs sein. Das ist das Credo von Markus Söder, fast ein digitaler Native, der sich hier einiges vorgenommen hat.

Einen überraschenden Erfolg erzielte das unions- kritische Video des YouTubers Rezo. Wie bewerten Sie das? Hat so etwas spürbare  Auswirkungen –  etwa auf das Wahlverhalten?

Ich glaube zwar nicht, dass die Auswirkungen auf das Wahlverhalten so groß waren. Das Video wurde wohl hauptsächlich von denjenigen gesehen, die ohnehin keine Unions-Anhänger sind. Das darf uns aber nicht beruhigen, im Gegenteil. Das Video hat gezeigt, dass die Union ihre Anstrengungen zur Gewinnung von jungen Menschen intensivieren muss. Das hat Markus Söder für die CSU klar erkannt.

Im Anschluss gab es Kritik an der Reaktion der CDU. Wie hätten Sie auf das Video geantwortet?

Die CDU hätte den Kampf aufnehmen müssen, mit schneller Reaktion und mit gleicher Münze. Wenn Sie den Eindruck, den Rezo in seinem Video erweckt hat, konterkarieren wollen, dann müssen Sie das schnell machen. Da dürfen nicht erst zwei oder drei Tage vergehen. Die erste Idee, ebenfalls mit einem Video zu antworten, habe ich für richtig gehalten.

Die CSU-Fraktion im Bundestag hat seit Kurzem mit Armin einen eigenen YouTuber, Generalsekretär Markus Blume hat einen Video- Podcast. Wie finden Sie diese Angebote?

Das ist der richtige Weg, um junge Menschen für die CSU zu interessieren. Dieser Weg wird immer wichtiger werden. Wir erleben ja heute durch die Fridays-for- Future-Bewegung erstmals nach den 68ern wieder eine weitreichende Politisierung junger Menschen. Eine Entwicklung, die übrigens vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte. Und diese Jugend erreichen Sie über das Internet.

Sie haben bislang eine Kolumne für den „Bayernkurier“ geschrieben. Könnten Sie sich vorstellen, dafür künftig die sozialen Medien zu nutzen – etwa als Blogger oder YouTuber?

Ja, schon. Aber da haben wir genügend digitalaffine junge Akteure in der CSU, denen ich das Bloggen und Posten gerne überlasse.

Das Interview führte Thomas Röll.