Edmund Stoiber, CSU-Ehrenvorsitzender und ehemaliger bayerischer Ministerpräsident. (Foto: Nikky Maier/BK)
Stoiber-Kolumne

Was Deutschland für Europa tun kann

Kolumne Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber betont die Verantwortung der Bundesrepublik für die Europäische Union und mahnt an, die Interessen der anderen Länder besser zu berücksichtigen.

Der Slogan von Manfred Weber und der CSU „Tu was für Europa“ ist eine treffende Aufforderung, am 26. Mai wählen zu gehen. Leider ist eine Europawahl für viele nicht selbstverständlich genug. Aber sie ist mittlerweile genauso wichtig wie eine Bundestags- oder Landtagswahl. Sie hat eine hohe Wahlbeteiligung verdient, höher als die knapp 48 Prozent vor fünf Jahren, zumal aufgrund des Wahlrechts gilt: Je höher die Wahlbeteiligung in Bayern ist, umso mehr bayerische Europaabgeordnete gibt es künftig.

Kaum eine politische Entscheidung in Brüssel kann gegen den dezidierten Willen Deutschlands getroffen werden.

Edmund Stoiber

„Tu was für Europa“ lässt sich auch noch in einer anderen Weise verstehen. Deutschland ist das wirtschafts- und einwohnerstärkste Land in Europa und deshalb das wirtschaftlich und politisch wichtigste Land der EU. Die europaweite Abhängigkeit von Deutschlands Wirtschaft ist groß. Und: Kaum eine politische Entscheidung in Brüssel kann gegen den dezidierten Willen Deutschlands getroffen werden. Das wird auch einer der Gründe sein, weshalb laut Eurobarometer vom November letzten Jahres 70 Prozent der Deutschen, wesentlich mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern, finden, dass ihre Stimme in der EU zählt.

Deutschlands schwierige Alleingänge

Gerade Deutschland hat für den europäischen Zusammenhalt eine ganz besondere Verantwortung. Alle Grundsatzentscheidungen, die die deutsche Politik trifft, sei es in der Klima- und Umweltpolitik oder der Energie-, Migrations- oder Haushaltspolitik, haben direkte Auswirkungen auf ganz Europa, nicht zuletzt auf die Stimmungslage. Unsere europäischen Nachbarn haben wegen der mangelnden Abstimmung mit ihnen deutsche Alleingänge wie den Ausstieg aus der Kernenergie nach Fuku­shima oder die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen teilweise mit großem Unverständnis und Kopfschütteln aufgenommen.

Es kann nicht darum gehen, dass Deutschland um des lieben Friedens willen anderen Ländern ihre Wünsche vorbehaltlos erfüllt.

Edmund Stoiber

Die Aufforderung „Tu was für Europa“ ist auch in diesem Sinne zu verstehen. Ein deutsches Europa ist weder wünschenswert noch realistisch. Es kann zwar nicht darum gehen, dass Deutschland um des lieben Friedens willen anderen Ländern ihre Wünsche vorbehaltlos erfüllt. Die Deutschen müssen aber ein Stück europäischer denken und stärker berücksichtigen, dass die Menschen in anderen europäischen Ländern andere Probleme als wir haben. Wir haben in vielen Branchen einen Mangel an Arbeitskräften. In Ländern wie Italien oder Spanien ist das wichtigste Thema aber die Arbeitslosigkeit.

Oder: Wir suchen dringend Pflegekräfte. In Rumänien gehen die meisten, die pflegen können, nach Westeuropa, vor allem nach Deutschland. Die Rumänen sagen: „Unser Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Ihr macht euch überhaupt keine Gedanken über unsere Situation.“ Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften in Deutschland deutlich stärken will.

Handeln für den Zusammenhalt

Es gibt weitere Bereiche, wo Deutschland europäischer handeln müsste, um den Zusammenhalt in Europa nicht zu gefährden. Wir brauchen eine stärkere europäische Außenpolitik, die schneller auf neue Herausforderungen reagieren kann. Dafür braucht es aber Mehrheitsentscheidungen, um Blockaden einzelner Länder zu verhindern. Aber sind wir in Deutschland so weit, uns in sensiblen Fragen auch mal überstimmen zu lassen? Ich habe da meine Zweifel. Ein Beispiel: Die EU-Staaten wollen eine engere Zusammenarbeit im militärischen Bereich. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik steht für viele Europäer ganz oben auf der Agenda: 76 Prozent sind europaweit dafür, in Deutschland sogar weit über 80 Prozent.

Falsch wäre es, dem Wunsch südeuropäischer Länder nachzugeben und in eine Transferunion einzusteigen.

Edmund Stoiber

Zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehören aber auch gemeinsame Standards beim Rüstungsexport. Länder wie Spanien, Frankreich oder Großbritannien haben im Gegensatz zu Deutschland keine moralischen Vorbehalte, Waffen nach Saudi-Arabien zu liefern. Hier müssen wir uns irgendwann entscheiden: Bestehen wir auf unseren hohen moralischen Standards oder sind wir für eine europäische Zusammenarbeit, auch wenn wir dafür Kompromisse schließen müssen?

Die Stabilitätsregeln müssen bleiben

Ein Bereich, wo Deutschland aus meiner Sicht standhaft bleiben muss, ist die Finanzpolitik. Richtig ist, wie es der Koalitionsvertrag auf Bundes­ebene vorsieht, dass Deutschland für Aufgaben mit einem europäischen Mehrwert zu höheren Beiträgen zum EU-Haushalt bereit sein sollte. Falsch wäre es aber, dem Wunsch südeuropäischer Länder nachzugeben und in eine Transferunion einzusteigen, mit direkten Zahlungen an finanzschwache Länder. Die EU hat sich mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem Europäischen Fiskalpakt Regeln gegeben, die auch Länder wie Italien beschlossen haben und die ein Ausdruck wirtschaftlicher und finanzpolitischer Vernunft sind. Dabei muss es bleiben.

Manfred Weber wird als hoffentlich neuer EU-Kommissionspräsident vor der großen Herausforderung stehen, diese unterschiedlichen europäischen Mentalitäten unter einen Hut zu bringen.

Edmund Stoiber

Die Europäische Union hat gerade durch die Osterweiterung 2004 und die damit verbundene Wiedervereinigung Europas viele neue Mitglieder bekommen, deren Mentalität und Souveränitätsverständnis sich historisch bedingt von der Liberalität westeuropäischer Prägung deutlich unterscheidet. Manfred Weber wird als hoffentlich neuer EU-Kommissionspräsident vor der großen Herausforderung stehen, diese unterschiedlichen europäischen Mentalitäten unter einen Hut zu bringen. Das kann und wird ihm gelingen, weil er wie kein anderer auch die nationalen Befindlichkeiten kennt. Diese Kenntnis ist heute wichtiger denn je.