Edmund Stoiber, CSU-Ehrenvorsitzender und ehemaliger bayerischer Ministerpräsident. (Foto: Nikky Maier/BK)
Stoiber-Kolumne

Europa muss wieder Politik für die Menschen machen

Kolumne Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber kritisiert die Vorgänge um die Wahl der neuen EU-Kommissionspräsidentin und schreibt, welche Probleme Ursula von der Leyen jetzt lösen muss.

Natürlich kann die CSU nicht zufrieden sein, dass der mit den meisten Stimmen gewählte EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber nicht neuer EU-Kommissionspräsident ist. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben das Ergebnis der Europawahl faktisch ignoriert und keineswegs „berücksichtigt“, wie es Artikel 17 des EU-Vertrags vorsieht. Die Art und Weise, wie besonders Frankreichs Präsident Macron das Prinzip der Spitzenkandidatur missachtet und gegen den Wahlsieger Manfred Weber agitiert hat, war unanständig und politisch ein unfreundlicher Akt. Frankreich ist sicher ein wichtiger Anker Europas, aber Europa ist mehr als nur Frankreich. Die EU ist keine Präsidialdemokratie!

Die Schuld des Parlaments

Eine beträchtliche Mitschuld trägt aber auch das Europäische Parlament (EP): Hätten sich Sozialisten und Liberale im EP nach (!) der Europawahl und vor der Entscheidung des Rates geschlossen für den Spitzenkandidaten der EVP Manfred Weber ausgesprochen, hätten die Staatschefs dies nie übergehen können. Damit hätte das Parlament das Prinzip der Spitzenkandidatur europafest gemacht. Stattdessen haben Sozialisten und Liberale im Parlament ihr eigenes parteipolitisches Süppchen gekocht. Das hat sich gerächt und wird in der öffentlichen Wahrnehmung nachhallen.

Über das peinliche Schauspiel, das sich die SPD gerade im Europäischen Parlament geleistet hat, muss man nicht mehr viele Worte verlieren.

Edmund Stoiber

Über das peinliche Schauspiel, das sich die SPD gerade im Europäischen Parlament geleistet hat, muss man nicht mehr viele Worte verlieren. Wer wie die SPD die Bundeskanzlerin dazu zwingt, sich als einziger EU-Regierungschef bei der Abstimmung über Frau von der Leyen der Stimme zu enthalten, der hat die Koalition innerlich wohl schon aufgekündigt. Den absoluten Gipfel der Peinlichkeit erreichte aber das SPD-Häuflein im EP, das schon vor der ersten Anhörung ankündigte, Frau von der Leyen nicht zu wählen und mit hinterhältigen Mitteln Stimmung gegen sie machte.

Verantwortungslose Sozialdemokraten

Man stelle sich vor, von der Leyen wäre aufgrund der sechzehn Nein-Stimmen der SPD nicht zur Kommissionspräsidentin gewählt worden. Ergebnis wäre eine tiefe Institutionenkrise gewesen, von der sich die EU womöglich nicht mehr erholt hätte. Wer derart leichtfertig mit seiner Verantwortung für Europa umgeht, der muss sich nicht wundern, dass seine Zuverlässigkeit in Zweifel gezogen wird. Was hat eigentlich der Obereuropäer der SPD, Martin Schulz, zum Verhalten seiner Genossen im EP gesagt? Ich habe kein Wort der Kritik gehört.

Mit seiner Entscheidung, sein Mandat als Spitzenkandidat der EVP niederzulegen und Ursula von der Leyen aktiv zu unterstützen, hat sich Manfred Weber uneigennützig in den Dienst Europas gestellt. Dass er seine berechtigten persönlichen Ambitionen dem Zusammenhalt Europas unterordnet, ist ihm hoch anzurechnen. Es bleibt zu hoffen, dass seine noble Entscheidung ein Signal für den künftigen Umgangston in Europa geben wird. Es muss alles getan werden, um die Arbeitsfähigkeit Europas zu sichern und erkennbar wieder Politik für die Menschen zu machen.

Die wichtigste Aufgabe: Europa zusammenhalten

Bei allem Ärger über das Verfahren: Ich bin froh, dass Ursula von der Leyen gewählt wurde. Die politischen Herausforderungen sind groß: Klimaschutz, Migration, Handelspolitik, Verteidigung, um nur einige zu nennen. Ihre wichtigste Aufgabe wird es aber sein, Europa zusammenzuhalten. Nicht nur wird die EU durch den bevorstehenden Austritt Großbritanniens wirtschaftlich und sicherheitspolitisch stark geschwächt. In den großen Fragen wie Migration, Klimaschutz oder Außenpolitik ziehen die EU-Staaten nicht alle an einem Strang, um es vorsichtig auszudrücken. Hier bedarf es der Fähigkeit zur Kompromissfindung gerade mit den mittel- und osteuropäischen Staaten. Das hat Ursula von der Leyen klar erkannt.

Der Schutz der Außengrenzen Europas und die Rückführung illegaler Migranten muss Priorität haben.

Edmund Stoiber

Gerade in der Asyl- und Migrationspolitik braucht es einen Neuanfang, wie sie es völlig zu Recht im EP gesagt hat. Denn die Migrationswelle aus dem afrikanischen Kontinent ist nicht vorüber. Einer Umfrage zufolge denkt ein Drittel der Afrikaner in den Sub-Sahara-Staaten heute an Auswanderung. Viele von ihnen möchten in Europa arbeiten und zu Wohlstand kommen. So nachvollziehbar dieses Ziel aus individueller Perspektive ist, würde eine großzügige Einwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen zu sozialen Spannungen und Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung führen.

Flexibilität in der Asylpolitik

Der Schutz der Außengrenzen Europas und die Rückführung illegaler Migranten muss deshalb Priorität haben. Und wir brauchen eine neue Lastenverteilung. Eine Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen ist bereits gescheitert. Die EU sollte deshalb den Vorschlag auf dem Gipfel von Bratislava 2016 aufgreifen und mit dem Konzept der „flexiblen Solidarität“ versuchen, Fortschritte zu machen. Jeder Staat muss gleichwertig zum Gelingen der europäischen Asylpolitik beitragen, aber jeder auf seine Weise. Das ist wohl genau das, was Ursula von der Leyen meint, wenn sie von einer fairen Lastenteilung spricht, „auf unterschiedlichen Feldern durch unterschiedliche Länder“.

Wie Angelika Niebler zurecht betont hat, gibt es aber auch Punkte des Programms von der Leyens, die aus bayerischer und deutscher Sicht nachteilig wären, wie die Einführung einer europäischen Einlagensicherung, eine europäische Arbeitslosenversicherung oder europaweite Mindestlöhne. Hier muss die Bundesregierung weiterhin ihre klare ablehnende Position beibehalten. So hatte es auch Manfred Weber im Wahlkampf versprochen.

Dennoch: Ich wünsche Ursula von der Leyen viel Erfolg und bin sicher, dass sie Europa in den nächsten fünf Jahren voranbringen kann.