Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU und ehemaliger Bayerischer Ministerpräsident (Foto: BK/Nikky Maier).
Kolumne

„Wir müssen Europa stark machen“

Kolumne Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber plädiert für konkrete Verbesserungen der EU und warnt vor zu viel Zentralismus und staatlicher Einflussnahme - wie es etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seinen Plänen vorsieht.

Der Europawahlkampf hat mit einem Paukenschlag von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron deutlich an Fahrt aufgenommen. In einem Manifest an alle europäischen Bürgerinnen und Bürger brennt er ein Feuerwerk an Vorschlägen ab, wie seiner Meinung nach ein Neuanfang in Europa gestaltet werden sollte. Seine Ideen reichen von einer europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie über europaweite Mindestlöhne bis zu einem Europäischen Innovationsrat, der neue Technologien wie die künstliche Intelligenz fördern soll.

Der Teufel steckt im Detail

Vieles hört sich gut an, wie eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika, ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen oder eine intensivere militärische Zusammenarbeit in Europa. Den Überschriften kann in Deutschland (fast) jeder zustimmen, der Teufel steckt hier allerdings im Detail. So müsste eine gemeinsame Verteidigungsstrategie auch einheitliche europäische Richtlinien bei Rüstungsexporten umfassen. Hier haben die Franzosen aber im Moment Schwierigkeiten, die hohen moralischen Grundsätze Deutschlands für Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zu verstehen.

Der Staat ist kein Allheilmittel zur Lösung von Problemen.

Edmund Stoiber

Andere Macron-Vorschläge sind aus deutscher Sicht schwer nachvollziehbar, insbesondere im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Hier prallen zwei Kulturen aufeinander: die französische „Planification“ – also Markteingriffe durch eine staatliche Industriepolitik und große Staatsunternehmen – gegen die deutsche Soziale Marktwirtschaft, die den Märkten ein wettbewerbliches und soziales Regelwerk setzt, ihnen ansonsten aber relativ freien Spielraum lässt. Macron will zum Beispiel Unternehmen bestrafen oder sogar verbieten, welche die strategischen Interessen und Werte Europas untergraben. Der politischen Willkür wäre hier Tür und Tor geöffnet, zumal sich die EU-Staaten in vielen Fällen gar nicht auf gemeinsame strategische Interessen einigen können, siehe Rüstungsexporte nach Saudi- Arabien. Oder versteht Macron unter europäischen Werten die ungehinderte Lieferung von Waffen in Krisengebiete? Wohl nicht.

Vorsicht bei Investoren aus China

Der Staat ist kein Allheilmittel zur Lösung von Problemen. Es ist allerdings legitim, sich gerade vor dem Hintergrund des Vordringens staatlich subventionierter chinesischer Unternehmen auf europäische Märkte Gedanken über eine industriepolitische Strategie zu machen, wie es Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier getan hat. Ich hielte es für vernünftig, den Einstieg chinesischer Investoren in europäische Rüstungsunternehmen durch die EU generell zu verbieten und ansonsten chinesische Investitionen in industriell und technologisch wichtige Sektoren streng zu regulieren. Darüber hinaus sollten aber keine protektionistischen Maßnahmen ergriffen werden.

Ein europäischer Mindestlohn würde die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in ärmeren EU-Ländern massiv schwächen und die Arbeitslosigkeit ansteigen lassen.

Edmund Stoiber

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat in der „Welt am Sonntag“ eine überzeugende deutsche Antwort auf das Manifest Macrons gegeben. Bei aller Zustimmung in wichtigen Fragen wie einem Europäischen Sicherheitsrat, mehr Anstrengungen beim Klimaschutz oder einer starken Partnerschaft mit Afrika stellt sie klar, dass europäischer Zentralismus oder eine Europäisierung der Sozialsysteme mit der CDU nicht machbar sind. Dem kann ich nur zustimmen. Ein europäischer Mindestlohn würde die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in ärmeren EU-Ländern, die sich annähernd kein so hohes Lohnniveau wie das in Frankreich oder Deutschland leisten können, massiv schwächen und die Arbeitslosigkeit ansteigen lassen.

Für ein besseres Europa

Zwei Gedanken von Annegret Kramp-Karrenbauer sind für mich besonders bemerkenswert. Erstens: Während Macron die Europawahl als Endkampf zwischen (guten) Europafreunden und (schlechten) Europagegnern darstellt, ist die Realität zumindest in Deutschland kein solches Schwarz-Weiß-Bild. „AKK“ weist treffend darauf hin, dass es für die meisten Bürger bei der Europawahl nicht um die Grundsatzfrage „für“ oder „gegen“ die EU geht, sondern um ein besseres Europa, besonders in großen Fragen wie Klimaschutz, Verteidigung, Migration oder Digitalisierung. Nach einer „Eurobarometer“-Umfrage der EU-Kommission fühlen sich 86 Prozent der Deutschen als EU-Bürger. Wer in Deutschland der aktuellen EU-Politik kritisch gegenübersteht, ist im Zweifel kein Gegner der europäischen Idee, sondern wünscht sich konkrete Verbesserungen, zum Beispiel mehr Fortschritte in einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik.

Auch die ‚kleinen Leute‘ müssen über den künftigen Kurs der EU entscheiden dürfen.

Edmund Stoiber

Zugegeben: In Frankreich sind die Menschen deutlich EU-kritischer.  27 Prozent der Franzosen haben gemäß der Umfrage „Eurobarometer“ ein negatives Bild von der EU; in Deutschland sind es nur 15 Prozent. Nur 44 Prozent der Franzosen meinen, dass ihre Stimme in der EU zählt, aber 70 Prozent der Deutschen. Das mag die Gedankenwelt Macrons eines Kampfes von Gut gegen Böse ein Stück weit erklären, zumal Macron in der europafeindlichen Marine Le Pen eine starke politische Konkurrentin hat. Ihr „Rassemblement National“, der frühere Front National, liegt in Umfragen zur Europawahl gleichauf mit Macrons „En Marche“. Die Situation in Deutschland ist aber eine andere.

Gefahr der Spaltung Europas

Zweitens ist der Hinweis von Annegret Kramp- Karrenbauer richtig, dass nicht nur die westeuropäischen Eliten über den künftigen Kurs der EU entscheiden dürfen, sondern auch die „kleinen Leute“, vor allem auch in Mittel- und Osteuropa, mitbestimmen müssen. Wir dürfen bei aller Kritik am Regierungshandeln in Polen und Ungarn nicht vergessen, dass die dortige Bevölkerung überwiegend pro­europäisch ist – deutlich europafreundlicher als die Franzosen.

Wer wie Macron den Schengen-Raum „neu überdenken“ und nur die in der Asylpolitik „solidarischen“ Länder dort sehen will, will de facto den Italienern und Osteuropäern den Stuhl vor die Tür setzen. Das kann nicht im gesamteuropäischen Interesse sein. Eine erzwungene Spaltung des Schengen-Raums wäre ein schwerer Rückschlag für die europäische Einigung. Stattdessen sollte ein Land in der Migrationspolitik nach dem Prinzip der „flexi­blen Solidarität“ an anderer Stelle mehr leisten müssen, etwa beim Grenzschutz, wenn es zum Beispiel aus kulturellen Gründen keine Flüchtlinge aufnehmen will. Das ist auch der Vorschlag von Annegret Kramp-Karrenbauer.

Stark in den großen Fragen

Sie hat für ihre Positionen viel Unterstützung erfahren, nicht nur von CDU und CSU, sondern beispielsweise auch von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Wir müssen Europa stark machen, nicht durch Verbote, Regulierung oder soziale Wohltaten, sondern damit wir alle – die Menschen in der EU – stärker werden. Ein Europa, das schützt: Das ist ja auch das Motto von Macron. Es geht um eine Stärkung Europas in den großen Fragen. Dazu zählt für mich auch ein europäischer Sitz im UN-Sicherheitsrat, wie es auch Kramp- Karrenbauer vorschlägt. Es wäre eine große Geste von Macron, sich auf diesen Vorschlag einzulassen.