Ihre politische Ehe neigt sich anscheinend dem Ende zu: SPD-Bürgermeister Michael Müller (l.) und CDU-Innensenator Frank Henkel (r.). Die SPD soll laut neuen Umfragen mehr als sechs, die CDU mehr als fünf Prozentpunkte verlieren. (Foto: imago/Mauersberger)
Berlin

SPD und CDU verlieren im Gleichschritt

Nach jüngsten Umfragen kann es nach der Abgeordnetenhaus-Wahl am Sonntag keine Zweierkoalition geben: Fünf Parteien werden zwischen 14 und 22 Prozent taxiert. Die schwersten Verluste wird demnach die SPD einfahren, aber dennoch stärkste Partei bleiben. Doch auch die CDU trifft es hart: Sie droht sogar hinter die Grünen zurückzufallen.

Wenige Tage vor der Wahl in der Hauptstadt scheint die Berliner Parteienlandschaft so zersplittert wie noch nie. Kein wie auch immer geartetes Zweierbündnis hätte derzeit eine Mehrheit. Laut der jüngsten Umfrage von INSA für das Magazin Cicero werden sechs Parteien ins Abgeordnetenhaus der Hauptstadt einziehen. Die SPD soll demnach trotz massiver Verluste knapp stärkste Kraft bleiben – allerdings mit nur noch 22 Prozent. 2011 stimmten noch 28,3 Prozent für die Sozialdemokraten, deren Spitzenkandidat damals allerdings der populäre Klaus Wowereit war. Dem bisher eher blassen aktuellen SPD-Bürgermeister Michael Müller droht also bei seiner ersten Wahl ein Verlust von mehr als 6 Prozentpunkten.

Hinter der SPD liegen die mitregierende CDU (minus 5,4 Punkte gegenüber 2011) und die oppositionellen Grünen (plus 0,4 Punkte) gleichauf mit 18 Prozent. Die rechtspopulistische Protestpartei AfD wäre, wenn es dabei bleibt, die einzige Gewinnerin, wenngleich sie schwächer erwartet wird als kürzlich in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt: Ihr werden 14 Prozent zugetraut. Ebensoviele Berliner haben vor, für die Linkspartei zu stimmen (plus 2,3 Punkte). Wenn es in Berlin allerdings ähnlich läuft wie in den letzten Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, dann gewinnt in den letzten Tagen unmittelbar vor der Wahl noch die Partei des Regierungschefs (also hier die SPD) noch einige Punkte hinzu, während der Juniorpartner (also die CDU) noch Federn lässt. Dann droht der Kanzlerinpartei eine erneute Niederlage. Jedenfalls müssen bei der CDU die Alarmglocken schrillen: In der jüngsten Umfrage einer Agentur namens „Civey“ im Auftrag des Tagesspiegel landeten die Christdemokraten nur noch bei 17,4 Prozent und wären damit noch hinter den Grünen, die bei „Civey“ auf 18,8 Prozent kommen. Diese Umfrage erhob ihre Daten allerdings ausschließlich im Internet.

SPD-Bürgermeister Müller zeigt CDU die kalte Schulter

SPD-Bürgermeister Müller hatte in einem Namensartikel im Tagesspiegel fünf Wochen vor der Wahl einigermaßen brüsk erklärt, er wolle die Zusammenarbeit mit der „Henkel-CDU“ nicht fortsetzen. Er strebt Rot-Grün an, auch wenn diese Kombination derzeit keine Mehrheit hätte. „Ich kämpfe für ein stabiles Zweierbündnis unter Führung der SPD“, sagte Müller im Spitzenduell im Sender n-tv. Und obwohl CDU-Landeschef und Innensenator Frank Henkel dies nicht für das letzte Wort der SPD hält: Falls sich Müller an seine Aussage hält, bleibt ihm nur Rot-Rot-Grün als tatsächliche Regierungsoption. Damit wäre im Bundesrat noch ein Land mehr auf der imaginären Oppositionsbank gegen die schwarz-rote Bundesregierung und Bundestagsmehrheit – das Regieren würde für Angela Merkel noch einen Tick schwerer.

Ich kämpfe für ein stabiles Zweierbündnis unter Führung der SPD.

Michael Müller, SPD

Doch selbst hinter Rot-Rot-Grün stehen einige Fragezeichen. Zwar will die Linkspartei in Berlin schon lange mitregieren. Aber die Berliner Grünen haben die Erfahrung gemacht, dass sie in den Wahlen in Berlin stets deutlich schlechter abschneiden als in den Umfragen. Um diesen Umstand rankt sich sogar ein beliebter Witz der Parlamentsberichterstatter, der „Wielands Gesetz“ heißt – benannt nach dem ehemaligen Fraktionschef der Grünen in Berlin, Wolfgang Wieland, der diesen Satz prägte. Er besagt schlicht: „Die Grünen gewinnen die Umfragen.“ Mehr jedoch nicht seit 2001, denn seitdem drücken die Grünen ohne Unterbrechung die Oppositionsbänke in Berlin. Der langjährige SPD-Bürgermeister Wowereit hielt sich fern von den Berliner Grünen und paktierte lieber mit der PDS, später Linkspartei.

Trotz linken „Sommerterrors“ kann sich Henkel nicht profilieren

Die CDU ihrerseits tut sich im Wahlkampf sichtlich schwer. Obwohl linksextreme Brandanschläge und Ausschreitungen nicht nur im Umfeld des besetzten Hauses Rigaer Straße 94 seit Beginn des Sommers zunahmen – die Berliner Medien nennen das „Sommerterror“ – und immer mehr radikalislamistische Salafisten in Berlin Schlagzeilen machen, sinkt Henkels CDU in den Umfragen immer weiter ab. Und das, obwohl der Innensenator bei solchen Ereignissen wirksam massive Polizeikräfte auffahren ließ und damit die Stärke des Rechtsstaats demonstrierte. So sind etwa die Schäden bei den Maikrawallen dadurch merklich reduziert worden.

Es passt, dass alle Parteien und ein Großteil der Berliner Medien den Innensenator auch noch attackierten, weil dieser versuchte, den Hausbesetzungen rund um die Rigaer Straße 94 mit Polizeieinsätzen Herr zu werden und dort eingesetzte Bauarbeiter schützen zu lassen. Alle drei linken Parteien forderten, der Innensenator solle die Besetzung nicht gewaltsam beenden, sondern vielmehr mit den Gewalttätern verhandeln. „Die Brandstifter und Autoabfackler zu Gesprächskreisen einzuladen, ist eine politische Bankrotterklärung“, sagte damals CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Und Henkel sagte: „Ich stelle mir vor, Rechtsextreme würden in unserer Stadt auf Polizeieinsätze mit stadtweitem Terror in der Nacht reagieren. Niemand würde auf die Idee kommen, mit solchen Extremisten zu verhandeln.“

Innere Sicherheit zieht nicht in Berlin

Auch die Person Henkel selbst hat sich nicht gerade als Wahlkampflokomotive erwiesen. In Beliebtheitsrankings liegt der langjährige Innensenator und Bürgermeister (seit 2011, davor drei Jahre Oppositionsführer) hinter dem bis zur Rathausübernahme Ende 2014 wenig bekannten Ex-Stadtentwicklungssenator Michael Müller.

Die Multi-Kulti-Gleichgültigkeit in Fragen der Integration, die es in den letzten drei Jahrzehnten gab, sollten wir nicht wiederholen.

Frank Henkel

Dennoch versuchte Henkel wenigstens in der Flüchtlingsfrage zu punkten. Bundespolitisch sei durch die Asylrechtsverschärfungen und die Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten viel erreicht worden, sagte er bei n-tv. Er möge das Wort zwar nicht, aber es sei in der Tat „alternativlos“, die Flüchtlinge zu integrieren. Gleichzeitig unterstrich er aber auch: „Die Multi-Kulti-Gleichgültigkeit in Fragen der Integration, die es in den letzten drei Jahrzehnten gab, sollten wir nicht wiederholen.“

CDU-Senator war verantwortlich für „Lageso“

Doch das Thema Flüchtlinge ist umgekehrt auch voller Fußangeln für die Berliner CDU. Denn das Landesamt für Gesundheit und Soziales („Lageso“), das unter am Flüchtlingsansturm im vergangenen Herbst und Winter komplett im Chaos versunken war, wird von Sozialsenator Mario Czaja verantwortet – und der gehört ebenfalls der CDU an. „Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, wir haben alles perfekt gemacht“, so Henkel rückblickend. „Wir haben alle neidisch nach München geschaut. Eine so gut ausgestattete Verwaltung hatten wir nicht“, sagte er. Ein großes Kompliment für Bayern, aber auch ein Eingeständnis eigenen Scheiterns: Warum hat die mitregierende CDU nicht rechtzeitig für eine gut ausgestattete oder wenigstens eine funktionierende Verwaltung gesorgt, die allerdings von den rot-roten Vorgängerregierungen kaputt gespart wurde?

Im Berliner Wahlkampf kommen zudem Hinweise auf Bayern nicht gut an. Zu oft und zu deutlich kritisierte die bayerische Staatsregierung die hoch verschuldeten Berliner mit ihren Nehmer-„Qualitäten“. Gleichzeitig zeigte der Freistaat der Bundeshauptstadt in allen Bereichen auf, wie man als Bundesland auch erfolgreich sein kann – beispielsweise beim Neubau eines Flughafens.

Kurz nach den islamistischen Terroranschlägen von Würzburg und Ansbach, deren Urheber bekanntlich als Flüchtlinge ins Land gekommen waren, hatte Henkel gesagt: „Wir haben offenbar einige völlig verrohte Personen importiert“, und forderte – wie auch die CSU – ein Burkaverbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Doch glaubhaft wirkte das ausweislich der Umfragen auf viele Wähler anscheinend nicht.