Am 18. September wählt Berlin das neue Abgeordnetenhaus. Derzeit liegen die vier stärksten Parteien nahe bei 20 Prozent. (Foto: imago/Gerhard Leber)
Wahlkampf in Berlin

Verbal deftig, inhaltlich dürftig

Kommentar Der Wahlkampf in der Hauptstadt quälte sich mühsam durch die Sommerpause, bis der bislang außergewöhnlich blasse Bürgermeister Michael Müller (SPD) eine Fortsetzung der Koalition mit der „Henkel-CDU“ ausschloss. Sollte er es ernst meinen, kommt im Grunde nur Rot-Rot-Grün in Frage. Doch Umfallen gehört bei der Berliner SPD zum Geschäft.

Ein Wahlkampf ohne große Namen und ohne dominierendes Thema hat durch eine einzige Äußerung von Bürgermeister Michael Müller (SPD), den viele Bürger bis dato kaum kannten, Fahrt aufgenommen: In einem Namensartikel für den Tagesspiegel schloss der seit 2014 amtierende Wowereit-Nachfolger eine Neuauflage einer Koalition mit der „Henkel-CDU“ aus. Dabei formulierte er schwere Kritik: Die CDU gehe in „verzweifelter Stimmenhascherei“ mit „populistischen Aktionen“ nur noch „am rechten Rand der Gesellschaft auf Stimmenfang“, warf Müller der CDU vor.

Hintergrund: CDU-Landesparteichef Frank Henkel ist seit 2011 Innensenator. In den letzten Monaten setzt er verstärkt darauf, den Rechtsstaat augenfällig durchzusetzen – auch gegen linksradikale Umtriebe und speziell gegen die Hausbesetzer in der Rigaer Straße 94, die indes die linke Szene zum Symbol erhoben hat (der Bayernkurier berichtete). Die linksextremen Angriffe, Brandstiftungen und Ausschreitungen halten bereits seit Juni an, die Berliner Boulevardmedien nennen diese permanenten Rechtsbrüche „Sommerterror“.

SPD-Bürgermeister Müller auf Linkskurs

Doch statt ihn zu unterstützen, fiel Bürgermeister Müller seinem Innensenator öffentlich in den Rücken – mutmaßlich von der Angst angetrieben, die linke Szene und ihre Sympathisanten bis hinein in die Kulturszene könnten sich von ihm abwenden und die Grünen oder die Linkspartei unterstützen. Müller forderte den Innensenator und die Polizei auf, mit den Hausbesetzern, also mit mutmaßlichen Rechtsbrechern, zu verhandeln. Henkel versuchte mit seiner Sicherheits-Offensive im Gegenzug, diejenigen Berliner, die Wert auf Rechtsstaat und Innere Sicherheit legen, überhaupt erst einmal zur Wahl zu motivieren und von sich zu überzeugen.

Doch ausweislich der aktuellen Umfragen scheint dies nicht die Mehrheit zu sein: SPD, CDU, Grüne und Linkspartei liegen mehr oder weniger gleichauf – im Bereich knapp über oder knapp unter 20 Prozent. Die jüngste Erhebung gab einen leichten Ausschlag für die SPD und gegen die CDU: Henkels Christdemokraten belegen demnach mit 17 Prozent nur noch die dritte Position im Parteiengefüge, gleichauf mit der Linkspartei, aber hinter den Grünen (19) und der SPD (24). Danach kommt die AfD (10) und die wiedererstarkte FDP mit fünf Prozent.

Für ein Zweierbündnis würde es derzeit nicht reichen

Sollte es dabei bleiben, genügt nach der Abgeordnetenhauswahl am 18. September kein Zweierbündnis für eine Regierungsmehrheit – auch nicht Rot-Grün, für das sich Müller in seinem Artikel aussprach. Steuert er also Rot-Rot-Grün an – mit allen Unwägbarkeiten dieses Bündnisses, vor denen sogar der populäre Klaus Wowereit immer zurückschreckte? Letzterer hatte nicht einmal ein Bündnis mit den unberechenbaren Berliner Grünen gewagt, obwohl dieses 2011 rechnerisch möglich gewesen wäre.

Jedenfalls konterte Henkel – ebenfalls im Tagesspiegel – den verbalen Angriff des Bürgermeisters mit dem Titel: „Berlin gehört nicht den Sozialdemokraten. Warum die Müller-SPD respektlos und selbstherrlich ist.“ Im Text verglich er die „Müller-SPD“ und ihre Qualifikation für den von Müller postulierten „Neuanfang“ mit dem korrupten Fußball-Weltverband Fifa. Das passte zu einem Korruptionsskandal im seit 2001 SPD-geführten Bürgermeisteramt, der Müller aber nicht weiter zu schaden scheint.

Verbal deftig, inhaltlich dürftig

Zum Gaudium des Publikums und vor allem der Medien hat der Wahlkampf durch diese gegenseitigen Angriffe Fahrt aufgenommen. Der Tagesspiegel kommentierte: „Klare Worte, harte Kanten – gerne weiter so“. Beobachter, die mehr auf inhaltliche Auseinandersetzungen Wert legen im Sinne eines sachlichen Streits um den besten Weg für die Stadt, finden hingegen die Parolen der Parteien weiterhin hohl: „Klare Werte, klare Worte“, „mit Weitblick und Wissen“, „Berlin im Kopf, Wilmersdorf im Herzen“, zählt etwa die FAZ einige besonders nichtssagende Phrasen von Wahlplakaten auf.

Dabei hat Berlin nach 15 Jahren SPD-geführter Regierungen stark an ernsthaften hausgemachten Problemen zu kauen: beispielsweise an einer völlig unterbesetzten und überforderten Verwaltung. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) etwa scheiterte im vergangenen Herbst und Winter daran, die zugewiesenen Flüchtlinge in vernünftiger Zeit zu registrieren und unterzubringen, so dass diese im Winter mehrere Tage im Freien campen mussten.

Bürger nehmen Behörden-Schlendrian mittlerweile hin

Aber auch normale Bürger bekommen den Behörden-Schlendrian häufig zu spüren: Sie müssen wochenlang auf einen simplen Verwaltungstermin warten. Kürzlich wurde in lokalen Medien davon berichtet, dass eine simple Wohnungsummeldung innerhalb Berlins (!) mittlerweile zwei Monate dauert. Ein großer Teil der Berliner scheint sich an solche Saumseligkeiten gewöhnt zu haben oder dies getreu dem früheren Wowereit-Motto für „arm aber sexy“ zu halten.

Da SPD und Grüne momentan Koalitionen mit der CDU ausschließen und Rot-Grün wohl keine eigene Mehrheit erhalten dürfte, stehen die Zeichen im Roten Rathaus auf Rot-Rot-Grün – was man in der Diktion des Ostteils der Stadt vor 1989 wohl als „Vereinigung aller proletarischen Kräfte“ und als „Volksfront“ begrüßt hätte. Dass sich damit in Berlin etwas zum Besseren wenden könnte, glauben wahrscheinlich nicht einmal die größten Optimisten.

Es wäre normal, wenn die SPD nach der Wahl umfällt

Trotz alles Wahlkampfgetöses mag der Kommentator der Berliner Morgenpost nicht so recht daran glauben, dass die SPD die Tür zur CDU endgültig zugeschlagen hat. Denn zu oft schon seien die Sozialdemokraten nach der Wahl umgefallen, zuletzt 2011. Und zu oft sei die SPD letztlich doch vor einer rot-grünen Koalition zurückgeschreckt, obwohl sie 2006 und 2011 möglich gewesen wäre. Der Abschluss der rot-schwarzen Koalition 2011 sei schon unter Müller als Landes-SPD-Chef erfolgt, erinnert die Morgenpost.

Auch CDU-Landeschef Frank Henkel glaubt – trotz der gegenseitigen Verbalattacken – an die Möglichkeit einer erneuten rot-schwarzen Koalition. Im RBB sagte er, auch Wowereit habe 2011 eine große Koalition zunächst ausgeschlossen, dann aber doch einen Koalitionsvertrag mit ihm, Henkel, unterschrieben. Die große Koalition habe eine Menge erreicht, sagte Henkel: Die Stadt stehe heute besser da als vor fünf Jahren. Die Attacken von Bürgermeister Müller tat Henkel als „Wahlkampfgeplänkel“ ab. Allerdings gilt zu bedenken, dass nötigenfalls noch die Grünen oder die FDP als dritte Kraft ins rot-schwarze Boot geholt werden müssten.