Scheinbar stolz zeigt diese Frau im Niqab ihren Ehering. Wie alt die Verschleierten sind – 30 oder 13 – lässt sich nicht erkennen. (Foto: imago/CHROMORANGE)
Import aus Nahost

Kinderehen in Deutschland

Beinahe 1500 verheiratete Kinder und Jugendliche zählt das Bundesinnenministerium. Der größte Teil der jungen Ehepartner stammt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Bayern und die Unionsfraktion wollen jetzt gegen Hochzeiten mit Minderjährigen vorgehen.

Nach der Einreise Hunderttausender Flüchtlinge sind in Deutschland inzwischen fast 1500 verheiratete Kinder und Jugendliche registriert. 361 von ihnen sind sogar jünger als 14 Jahre alt. Das geht aus einem Bericht des Bundesinnenministeriums hervor.

Danach waren zum 31. Juli im Ausländerzentralregister 1475 minderjährige Ausländer mit dem Familienstand „verheiratet“ gespeichert. Bei den allermeisten (1152) handle es sich um Mädchen, heißt es. Sie dürften bereits in der Heimat mit einem Erwachsenen verheiratet worden sein.

Ehe-Importe aus Syrien, Afghanistan und Irak

Die größte Gruppe der minderjährig Verheirateten stammt den Angaben zufolge aus Syrien (664). Weitere Herkunftsstaaten seien Afghanistan (157), Irak (100), Bulgarien (65), Polen (41), Rumänien (33) und Griechenland (32).

In Deutschland dürfen Ehen grundsätzlich erst mit der Volljährigkeit geschlossen werden – nur in Ausnahmefällen schon mit 16 Jahren. Das Oberlandesgericht Bamberg hatte im Mai aber die Ehe einer Syrerin, die im Alter von 14 mit einem Cousin verheiratet worden war, als wirksam anerkannt. In Deutschland wird seitdem debattiert, ob solche Kinderehen im Widerspruch zu Grundrechten stehen.

Bayern fordert scharfe gesetzliche Regelung

Entschiedenen Widerstand gegen Ehen mit Minderjährigen hat Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) angekündigt. Bereits Mitte Juni schickte er in einem Brief ans Bundesjustizministerium einen ausformulierten Vorschlag, wie das entsprechende Gesetz seiner Ansicht nach geändert werden sollte, und forderte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu diesem Thema (der Bayernkurier berichtete). „Für mich ist klar: Ehen von unter 16-jährigen Mädchen, die nach einer anderen Rechtsordnung geschlossen wurden, dürfen durch unsere deutsche Rechtsordnung nicht anerkannt werden“, sagte Bausback dem Bayernkurier.

Für die Beurteilung der Ehemündigkeit einer Person soll künftig stets deutsches Recht gelten.

Winfried Bausback (CSU), Bayerns Innenminister

„Das ist keine Frage von Toleranz und Weltoffenheit, sondern eine Frage des Schutzes von Kindern und Minderjährigen“, so Bausback weiter. „Wir brauchen deshalb eine klare Regelung: Für die Beurteilung der Ehemündigkeit einer Person – also der Frage, ab welchem Alter die Ehe geschlossen werden kann – soll künftig stets deutsches Recht gelten.“

Kinder sollen spielen und nicht heiraten

Die Unionsfraktion im Bundestag beschloss auf ihrer Vorstandsklausur Anfang September einen Vorstoß, Kinderehen in Deutschland zu annulieren. „Der Vorrang des Kindeswohls sowie die Gleichbehandlung von Mann und Frau sind Grundsäulen unserer Gesellschaft und unseres Werteverständnisses. Die Verheiratung von Kindern ist damit absolut unvereinbar“, heißt es in dem Strategiepapier.

Ehen, die im Ausland formal legal geschlossen wurden, dürfen hier nicht pauschal anerkannt werden.

Michael Frieser, innenpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe

„Kinder sollen spielen und nicht heiraten“, erklärt dazu Michael Frieser, der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe. „Es ist wichtig und richtig, dass wir uns mit der Problematik befassen und zu Lösungen kommen, die das Wohl der Kinder voranstellen. Ehen, die im Ausland formal legal geschlossen wurden, dürfen hier nicht pauschal anerkannt werden. Der minderjährige Partner und die Jugendämter müssen ein Vetorecht erhalten“, so Frieser weiter. „Auch wenn Kinderehen im Herkunftsland nach dort geltendem Recht zustande gekommen sind, darf es hier keine automatische Anerkennung geben“, betont der CSU-Innenpolitiker.

Frieser kritisiert insbesondere, dass manche Behörden solche Kinderehen einfach „stillschweigend“ anerkennen würden. Er fordert eine Gesetzesänderung, die sicherstellen solle, dass das Kindeswohl immer Vorrang habe.

Vermutlich gewaltige Dunkelziffer

Wahrscheinlich liegt die Zahl der Ehen mit Minderjährigen aus muslimischen Ländern wesentlich höher als die offizielle Statistik dies ausweist:

  1. Die Angaben zu Eheschließungen von Minderjährigen beruhten allein auf Aussagen der Betroffenen und seien nicht durch entsprechende Dokumente belegt, erläuterte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums im Berliner Tagesspiegel. Außerdem seien die Angaben zum Familienstand nicht verpflichtend. Also liegt es nahe, dass Minderjährigen-Ehen verschwiegen werden, wenn klar ist, dass der deutsche Staat an dieser Stelle Druck ausübt.
  2. Den deutschen Behörden sind weiterhin Aufenthalt und genaue Identität von Hunderttausenden Flüchtlingen unbekannt. Die Zahl der Untergetauchten kann nur geschätzt werden: Experten und Medien nennen Zahlen zwischen 143.000 und 500.000. Einen Anhaltspunkt liefert folgende Zahl: Im Jahr 2015 wurden fast 1,1 Millionen Einreisen im „Easy“-System registriert, aber vor allem wegen Überlastung der Behörden nur 477.000 Asylanträge gestellt. Mittlerweile wird zwar der Rückstau langsam abgebaut: Seit März 2016 werden laut Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) monatlich etwa 40.000 Asylanträge mehr gestellt als Flüchtlinge laut „Easy“-System einreisen. Dennoch bleibt eine beträchtliche Differenz.
  3. Im April 2016 meldete das Bundesinnenministerium beinah 6000 verschwundene minderjährige Flüchtlinge (der Bayernkurier berichtete). Es ist unklar, wie viele diese Verschwundenen (mittlerweile) verheiratet sind.
  4. Zwangsehen mit Minderjährigen haben laut Aussagen der SOS-Kinderdörfer besonders in Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon, im Irak und in der Türkei zugenommen. Die Leiterin der Organisation im Nahen Osten, Alia Al-Dalli, fordert das gesetzliche Verbot von Ehen mit Minderjährigen. Schon vor dem Syrienkrieg waren bei 13 Prozent aller syrischen Hochzeiten einer oder beide Ehepartner jünger als 18 Jahre. Nun seien es über 51 Prozent (der Bayernkurier berichtete). Übrigens betrifft auch ein Viertel der offiziellen Eheschließungen in der Türkei minderjährige Mädchen. Spätestens mit der Flüchtlingskrise wurde das Problem auch in Deutschland akut: In NRW geht laut der Welt die Bezirksregierung Arnsberg von 188 Fällen aus, in Baden-Württemberg wurden 177 Kinderbräute gezählt.
  5. Reine islamische Imam-Ehen sind nicht notwendigerweise dem Staat bekannt. Solche Imam-Ehen haben große religiöse, persönliche und familiäre Bindungswirkung – vor allem für die jungen Mädchen –, werden aber dem Staat häufig nicht gemeldet. Laut islamischem Recht, der Scharia, können Mädchen bereits mit sechs Jahren verheiratet werden. Diese Regel beruft sich auf das Vorbild des Propheten Mohammed, der laut Überlieferung seine Lieblingsfrau Ayscha heiratete, als diese sechs Jahre alt war – indes die Ehe „erst“ vollzog, als sie neun Jahre alt war.
  6. Dazu kommt, dass manche moslemische Imame auch Ehen schließen, wenn der Ehemann bereits anderweitig verheiratet ist. Laut Scharia ist Polygamie eines Mannes mit bis zu vier Frauen erlaubt, so weit er sich das leisten kann. Auch hier gilt frommen Muslimen der Prophet Mohammed als Vorbild. Polygamie ist zwar nach deutschem Recht ausgeschlossen, die Nebenehen werden dem Staat aber nicht bekannt gemacht, sondern nur vor dem Imam geschlossen. Nichtsdestoweniger unterstützt der Staat diese Polygamie in vielen Fällen indirekt, da die Nebenfrauen separat wohnen, als angebliche „Alleinstehende“ eine eigene Bedarfsgemeinschaft im Sinn des ALG II bilden und als solche Anspruch auf Sozialhilfe, Wohngeld und so weiter haben. Als angebliche „Alleinerziehende“ werden sie sogar besonders alimentiert.

(dpa/Tagesspiegel/Welt/wog)