CDU offen für Koalitionsverhandlungen mit Grünen
Schon ab Freitag werden Grüne und CDU in Baden-Württemberg über die Gründung einer gemeinsamen Landesregierung verhandeln. Für einen langfristigen Erfolg der CDU dürfte es darauf ankommen, wie viel sachpolitische Forderungen sie durchsetzt, ob sie die interne Modernisierung hinkriegt – und vor allem, ob sie einen ihrer führenden Köpfe medienwirksam als Sympathieträger platzieren kann.
Baden-Württemberg

CDU offen für Koalitionsverhandlungen mit Grünen

Schon ab Freitag werden Grüne und CDU in Baden-Württemberg über die Gründung einer gemeinsamen Landesregierung verhandeln. Für einen langfristigen Erfolg der CDU dürfte es darauf ankommen, wie viel sachpolitische Forderungen sie durchsetzt, ob sie die interne Modernisierung hinkriegt – und vor allem, ob sie einen ihrer führenden Köpfe medienwirksam als Sympathieträger platzieren kann.

Nach der CDU-Landtagsfraktion haben auch Vorstand und Präsidium der CDU in Baden-Württemberg für Koalitionsverhandlungen mit den Grünen votiert. Landesvorsitzender Thomas Strobl sagte, die CDU werde ernsthaft und zügig mit den Grünen verhandeln. Dies bedeute aber nicht automatisch, dass es auch eine gemeinsame Regierung geben werde. Ob es zu Grün-Schwarz komme, werde die CDU am Ende der Gespräche entscheiden. Eine Koalition wäre ein Arbeitsbündnis auf Zeit, in der die CDU ihre eigenständigen Positionen und Überzeugungen aufrecht erhalten werde.

Nach Strobls Worten zeichnet sich vor allem die Bildungspolitik als der Bereich ab, in dem die Verhandlungen kompliziert werden könnten. Aber auch in schwierigen Feldern seien Kompromisse nicht ausgeschlossen. CDU-Fraktionschef Guido Wolf sagte, Differenzen gebe es zum Beispiel im künftigen Umgang mit der Gemeinschaftsschule, der Verkehrspolitik und in der Inneren Sicherheit. Die CDU werde darum ringen, dass in einem grün-schwarzen Bündnis ihre Handschrift deutlich erkennbar sei.

Die Koalitionsverhandlungen könnten mehrere Wochen dauern. Die konstituierende Sitzung des Landtags ist für den 11. Mai geplant. Ziel von Grünen und CDU ist es, bis dahin mit den Verhandlungen fertig zu sein. Denn am 12. Mai soll der Landtag den Regierungschef wählen. Bei der Landtagswahl am 13. März hatten die Grünen erstmals in Deutschland die CDU als stärkste Kraft überholt. Die beiden theoretisch möglichen, alternativen Dreierbündnisse unter Einbeziehung von SPD und FDP hatten sich zerschlagen. Grün-Schwarz ist damit die letzte Möglichkeit, eine stabile Regierung zu bilden.

Gemeinsamkeiten: Schuldenbremse, Digitalisierung, Mittelstand

Bereits nach den Sondierungsgesprächen am Gründonnerstag hatten der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl einige Gemeinsamkeiten markiert: „Beide Seiten halten an der Schuldenbremse fest. Darin waren wir uns gänzlich einig und auch darin, dass die digitale Agenda eine überragende Bedeutung für das Land hat“, zitiert die FAZ Kretschmann. Strobl erklärte: „Ein starkes Land wie Baden-Württemberg muss die Schuldenbremse einhalten, das ist ein Standortfaktor. Wir haben auch über das Thema Digitalisierung, die Sicherung von Arbeitsplätzen und der Wettbewerbsfähigkeit für unseren Mittelstand gesprochen.“ Für die CDU seien darüber hinaus vor allem Terrorabwehr und Innere Sicherheit entscheidend.

Von einer Mitgliederbefragung, die nach dem Vorbild der SPD im Bund 2013 ein starkes Druckmittel in den Koalitionsverhandlungen sein könnte, sind führende CDU-Politiker abgerückt. Sie kostet laut FAZ mindestens 150.000 Euro. Die Erfahrungen der Südwest-CDU mit Mitgliedervoten sind nicht besonders gut: Bei der Auswahl des Spitzenkandidaten für die soeben verlorene Landtagswahl siegte der eher biedere Guido Wolf, dem viele Vertreter der CDU-Führung jetzt die Hauptschuld an der Wahlniederlage geben. Kenner meinen, die Stimmung an der CDU-Basis sei nach der krachenden Niederlage und angesichts der Aussicht, den Grünen den Steigbügel halten zu müssen, „unterirdisch“.

Verkehrte Welt: Grüne einig, CDU gespalten

Nach Analyse der FAZ gehen die Grünen einig in die Koalitionsverhandlungen, während die CDU gespalten ist – einerseits in einen Block der „Modernisierer“ um Landesparteichef Thomas Strobl, den früheren Finanzminister Willi Stächele und EU-Kommissar und Ex-Regierungschef Günther Oettinger, andererseits in die „Traditionalisten“ um Wolf und Fraktionsvize Winfried Mack. Laut Beobachtern in Stuttgart deutet einiges darauf hin, dass Thomas Strobl versuchen wird, Guido Wolf zu entmachten, selbst als stellvertretender Ministerpräsident in die Regierung einzutreten und die Landes-CDU nach seinem Gusto zu modernisieren. So hatte sich Strobl nach den Gesprächen am Gründonnerstag gut gelaunt und demonstrativ vor Fotografen mit Kretschmann zu einem Gespräch postiert.

Ob die CDU aus einer grün-schwarzen Koalition gestärkt hervorgeht, dürfte vor allem an vier Fragen hängen:

  1. Wie viel konservative Positionen kann sie durchsetzen? Vor allem auch in der Finanz- und Schulpolitik. Auch beim Thema Abstimmungsverhalten im Bundesrat muss die CDU den Grünen klar machen, wie wichtig vernünftiges und wie schädlich ideologisch motiviertes Blockade-Verhalten ist. Das dürfte zunächst besonders in der Asylpolitik gelten.
  2. Schafft sie die interne Modernisierung? Gelingt es ihr, mehr eigenständige Köpfe in die erste Reihe der Landespartei zu schieben? Dabei könnte auch eine Reform des Wahlsystems helfen, denn wie die FAZ meint, wurden durch das bisherige Einstimmenwahlrecht tendenziell stromlinienförmige Abnicker begünstigt und unbequeme Leute ausgebremst.
  3. Schafft es die grundsätzlich vernünftige, bodenständige und konservative Südwest-CDU, die Bundespartei und damit Kanzlerin Merkel in der derzeit alles überlagernden Flüchtlings- und Zuwanderungsfrage auf einen anderen Kurs zu bringen?
  4. Schafft es die CDU Baden-Württemberg in den nächsten fünf Jahren, einen populären und beliebten Spitzenkandidaten aufzubauen? Das Duell Wolf gegen Kretschmann ging mehr als deutlich verloren. Es ist fraglich, ob ein anderer Kandidat, zum Beispiel Strobl, gegen den enorm populären Kretschmann bessere Chancen gehabt hätte. Aber Kretschmann wird nicht noch einmal antreten. Wen wird die CDU bis in fünf Jahren aufgebaut haben? Dabei wird es auch entscheidend auf die CDU-Kabinettsmitglieder ankommen, die nun ausgewählt werden müssen.

Zahlreiche Meinungsverschiedenheiten zwischen CDU und Grünen

Die DPA fasste vor Beginn der Koalitionsverhandlungen die Meinungsverschiedenheiten zwischen Grünen und CDU in Baden-Württemberg folgendermaßen zusammen:

  • Verkehr: Die Grünen wollen die bestehende Infrastruktur besser nutzen und den Radverkehr weiterentwickeln. Die CDU setzt hingegen im Autoland Baden-Württemberg auf den Straßenbau und will dafür eine Milliarde Euro locker machen.
  • Gemeinschaftsschulen: Die Grünen wollen diese Schulart ausbauen, die CDU will hingegen Realschulen, Gymnasien und Berufliche Schulen besonders fördern. Die CDU will keine neuen Gemeinschaftsschulen mehr genehmigen, weil sie in allen Studien deutlich schlechter abschneiden als ein differenziertes Schulsystem.
  • Integration: Baden-Württemberg solle zum Vorreiter bei den Integrationsangeboten für Menschen ausländischer Herkunft werden, sagte CDU-Landeschef Thomas Strobl jüngst. Das unterschreiben sicher auch die Grünen. Doch was ist, wenn jemand sich der Integration verweigert?
  • Polizei: Die CDU will die Polizei um 1500 Stellen aufstocken. Die Grünen versprechen eine Einstellungsoffensive mit 2800 Ausbildungsplätzen. Umstritten ist eine anonymisierte Kennzeichnungspflicht für Polizisten bei Großeinsätzen und Demonstrationen. Die Grünen wollen sie, die CDU nicht.
  • Landeshaushalt: CDU und Grüne haben bereits unisono erklärt, ab 2020 keine neuen Schulden im Landeshaushalt mehr aufnehmen zu wollen. Denn ab da gilt die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.
  • Direkte Demokratie: Die Grünen wollen die direkte Demokratie stärken. Die CDU hält Bürgerbeteiligung prinzipiell für nicht schlecht – aber nur in Maßen.
  • Reform des Landtagswahlrechts: Bislang hat jeder Wähler in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl nur eine Stimme. Die Grünen wollen ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht mit einer Landesliste einführen.
  • Bundesrat: Wie stimmt Grün-Schwarz im Bundesrat ab – mit dem Block der CDU-geführten Länder oder mit dem der rot-grünen Länder? Sind sich die Regierungspartner nicht einig, kann sich ein Land enthalten. Die CDU mahnt aber, das dürfe nicht zur Regel werden.

(dpa/FAZ/wog)