Den Brexit-Befürwortern könnte das Lachen bald vergehen: England ist der größte Verlierer des bevorstehenden EU-Austritts. Über Nacht ist das Land von Frankreich als fünftgrößte Volkswirtschaft abgelöst worden. (Bild: Imago/I Images)
Folgen des Brexit

Alles halb so wild?

Der Brexit ist auch für die bayerische Wirtschaft ein schwerer Schlag. Umhauen lassen wird sie sich von dem bevorstehenden Austritt der Briten aus der EU aber nicht. So sieht es unter anderen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Dass die Folgen für die Firmen im Freistaat und im übrigen Bundesgebiet überschaubar bleiben könnten, darauf deutete bereits der Deutsche Aktienindex Dax hin.

Um satte zehn Prozente war das Börsenbarometer der deutschen Top-30-Unternehmen bei seiner Eröffnung am Freitagmorgen abgestürzt, doch schon im Laufe des Vormittags machte der Dax wieder Boden gut. Ist das britische „No“ zur EU also halb so wild für die deutsche und die bayerische Wirtschaft? „Die Entscheidung für den Brexit ist politisch bedauerlich und wird wirtschaftliche nicht ohne Folgen bleiben, vor allem für die Briten selber“, lautete die erste Einschätzung von Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Sie sieht durchaus Auswirkungen auf die Unternehmen im Freistaat, macht aber klar, dass England nicht alles ist: „Die bayerische Wirtschaft ist weltweit erfolgreich“, betonte die Ministerin mit Blick auf die Exporte Bayerns in das Königreich. Sie lagen demnach 2015 bei 15,5 Milliarden Euro, das sind 8,7 Prozent der Gesamtausfuhren des Freistaates.

Wir müssen die bestehenden Handelsbeziehungen mit Großbritannien rasch auf eine vernünftige neue Grundlage stellen. Es darf keine langwierigen Verhandlungen geben, die bayerische Wirtschaft braucht Planungssicherheit.

Wirtschaftsministerin Ilse Aigner

Bei allem Wehklagen über den Brexit, die Firmen in Bayern, Deutschland und Europa werden auch in Zukunft Geschäfte mit England machen: Aigner sagt, dass es wichtig sei, angesichts der industriellen Verflechtungen schnell Klarheit über die Zukunft der Außenhandelsbeziehungen zu schaffen. „Wir müssen die bestehenden Handelsbeziehungen mit Großbritannien rasch auf eine vernünftige neue Grundlage stellen“, forderte die Ministerin. „Es darf keine langwierigen Verhandlungen geben, die bayerische Wirtschaft braucht Planungssicherheit.“

Wir verlieren einen wichtigen Partner bei der Verteidigung von Freihandel und Marktwirtschaft.

vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt

Betroffen von dem Votum der Engländer zeigte sich am Morgen auch der Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). „Das ist ein schwarzer Tag für Europa, der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs hinterlässt nur Verlierer“, sagte Bertram Brossardt. Der vbw-Hauptgeschäftsführer befürchtet eine Verschärfung der politischen Krise in der EU: „Euroskeptische Kräfte bekommen weiter Auftrieb, wirtschaftlich wird der ,Brexit‘ negative Folgen haben – für Europa, für Großbritannien, für Deutschland und auch für Bayern“, so Brossardt, der bedauert, dass „wir daneben einen wichtigen Partner bei der Verteidigung von Freihandel und Marktwirtschaft verlieren“.

Großbritannien selbst zahlt den höchsten Preis

Auch nach Meinung der vbw wird vor allem das Königreich selbst einen hohen Preis für den Austritt bezahlen müssen. Schließlich sei die EU für Großbritannien der wichtigste Absatzmarkt. Für Bayern wiederum sei Großbritannien hinter den USA der zweitgrößte Exportmarkt. Brossardt: „Durch den Austritt laufen wir nun in eine Phase der Unsicherheit.“ Diese führe zu Investitions- und Kaufzurückhaltung. Ebenso wie Aigner forderte er daher: „Diese Phase muss jetzt so kurz wie möglich gehalten werden, indem die EU und Großbritannien den künftigen Umgang miteinander schnell definieren.“

Die Europäische Union muss jetzt deutliche Signale setzen für eine Reform ihrer Politik. Wir setzen uns für eine Europäische Union ein, die Einheit in Vielfalt gestaltet, statt Zentralismus und Gleichmacherei.

Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer

Ähnlich äußerte sich am Morgen der Bayerische Industrie- und Handelskammertag: BIHK-Präsident Eberhard Sasse fürchtet ebenfalls eine Investitionszurückhaltung und sieht jetzt vor allem die EU gefordert: Sie müsse „den Zusammenhalt der restlichen Mitgliedstaaten sichern“. Dazu ist nach Meinung von Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer vor allem ein Wandel der EU hin zu mehr Bürgernähe nötig: „Die Europäische Union muss jetzt deutliche Signale setzen für eine Reform ihrer Politik“, forderte der CSU-Vorsitzende und betonte die Wichtigkeit der Eigenständigkeit der Regionen und Kommunen. „Wir setzen uns für eine Europäische Union ein, die Einheit in Vielfalt gestaltet, statt Zentralismus und Gleichmacherei“, so der CSU-Chef.

Britisches Pfund stürzt auf 30-Jahres-Tief

Für die britische Wirtschaft und allen voran die Banken war der Morgen nach der Entscheidung freilich ein einziges Fiasko: Das britische Pfund stürzte auf ein 30-Jahres-Tief und zog den Euro gleich mit. Die Devisenhändler flohen in Dollar, Yen und Schweizer Franken. Experten in London rechneten vor, dass Großbritannien aufgrund des Wertverfalls nicht mehr die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, sondern von Frankreich überholt worden sei. Die Ratingagentur Moody’s ließ verlautbaren, dass sich der Austritt aus der EU auf die Kreditwürdigkeit des Landes auswirken kann.

Natürlich werden wir unsere Investitionsvorhaben in Großbritannien überdenken, so wie jeder andere auch.

Airbus-Chef Tom Enders

Aus den Führungsetagen europäischer Großunternehmen kamen am Morgen unterschiedliche Reaktionen auf den Brexit: Durch ihn verlieren nach Meinung von Airbus-Chef Tom Enders Großbritannien und Europa. Er hoffe, dass den Betroffenen „ein möglichst geringer Schaden“ entstehe, zitierte ihn am Vormittag die Nachrichtenagentur Reuters. „Aber natürlich werden wir unsere Investitionsvorhaben in Großbritannien überdenken, so wie jeder andere auch“, sagte Enders demnach. BMW, das in Großbritannien mit vier Standorten und rund 8000 Beschäftigten vertreten ist, erwartet derweil keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Aktivitäten in dem Land, hieß es am Morgen. Und auch der weltweit größte Autozulieferer Bosch sieht nach dem Grexit keinen Handlungsbedarf für das Unternehmen: „Wir haben derzeit keine Pläne, unsere Investitionen in Großbritannien zurückzufahren“, so Bosch-Chef Volkmar Denner. Von einem „schwarzen Tag für das Vereinigte Königreich und die EU“ sprach Bankenpräsident Hans-Walter Peters. Er rechnete aber damit, dass sich die Lage an den Finanzmärkten nach dem ersten Schock rasch beruhigen dürfte.