Die Bundesregierung ist verpflichtet, die Staatsgrenze wirksam zu sichern und die Aufnahme von Flüchtlingen zu begrenzen. Bild: Imago/Christian Ohde
Rechtsgutachten

Bund ist verpflichtet, die Staatsgrenzen zu sichern

Indem der Bund Deutschlands Grenzen nicht sichert und unkontrollierte massenhafte Einreise zulässt, verletzt er seine Verfassungspflichten. Das schreibt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio in einem Rechtsgutachten für die Bayerische Staatsregierung. Der Freistaat wird nun Berlin auffordern, seine verfassungsrechtlichen Pflichten zu erfüllen und erwägt eine Verfassungsklage.

Die Bundesregierung ist verpflichtet, die Staatsgrenze wirksam zu sichern und die Aufnahme von Flüchtlingen zu begrenzen. Zu dem Ergebnis kommt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio in einem Rechtsgutachten über „Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem”, das er im Auftrag der Bayerischen Staatsregierung angefertigt hat. Der Bund dürfe zwar zur Sicherung der Staatsgrenze Hoheitsrechte an die Europäische Union übertragen, so di Fabio, „bleibt aber in der Gewährleistungsverantwortung für die wirksame Kontrolle von Einreisen in das Bundesgebiet“.

Der Bund ist aus verfassungsrechtlichen Gründen … verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist.

Udo di Fabio

Das heißt: Wenn die EU in puncto Grenzsicherung nicht leisten kann, was sie leisten soll, dann ist nach wie vor der Bund in Pflicht und Verantwortung und muss übernehmen. Di Fabio: „Der Bund ist aus verfassungsrechtlichen Gründen … verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist.“ Wenn der Bund das nicht tue, handle er rechtswidrig durch Unterlassung. Di Fabio explizit: „Das Grundgesetz setzt die Beherrschbarkeit der Staatsgrenzen und die Kontrolle über die auf dem Staatsgebiet befindlichen Personen voraus.“

Grundsätzliche Handlungspflicht des Bundes

Das Gutachten bestätige voll die wesentlichen Positionen der Bayerischen Staatsregierung, betonte in der Pressekonferenz nach der Sitzung des Kabinetts Staatsminister Marcel Huber: „Es bestätigt unsere Haltung, dass die Bundespolitik offener Grenzen und somit grenzenloser Zuwanderung verfassungsrechtlich auch durch die Länder angreifbar ist.“

Die Tatsachen belegen, dass die gesetzlich vorausgesetzte wirksame Grenzkontrolle anhaltend zusammengebrochen ist.

Udo di Fabio

Denn wenn die Funktionsfähigkeit der Länder davon abhängt, dann ist der Bund dazu verpflichtet seine Kompetenzen – hier der Grenzsicherung – wahrzunehmen, erläutert di Fabio und spricht von einer „grundsätzlichen Handlungspflicht“. Der Krisenfall ist eingetreten: Durch die Tatsachen sei belegt, dass die europäische Grenzsicherung „anhaltend zusammengebrochen ist“. Die Länder sähen sich „dadurch mit einer beträchtlichen Krisensituation bis hin zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit konfrontiert“. Der Bund muss handeln.

Das Grundgesetz garantiert nicht den Schutz aller Menschen weltweit durch faktische oder rechtliche Einreiseerlaubnis.

Udo di Fabio

Bundeskanzlerin Angela Merkels Politik der unbegrenzten Einreise für ganze Nationalitätengruppen ist di Fabio zufolge regelrecht rechtswidrig. Di Fabio: „Das Grundgesetz garantiert nicht den Schutz aller Menschen weltweit durch faktische oder rechtliche Einreiseerlaubnis.“ Eine solche unbegrenzte Rechtspflicht bestehe weder europarechtlich noch völkerrechtlich. Im Gegenteil, der Bund dürfe gar keine derartigen unbegrenzten Verpflichtungen eingehen. Di Fabio: „Eine universell verbürgte und unbegrenzte Schutzpflicht würde die Institution demokratischer Selbstbestimmung und letztlich auch das völkerrechtliche System sprengen …“ Der Bund, erläuterte dazu in München Innenminister Joachim Herrmann, dürfe nicht pauschal Personen Rechtsansprüche zubilligen, die diese möglicherweise gar nicht hätten.

Ich kann den Grundsatz ‚Wir schaffen das‘ nicht durch eklatanten Rechtsbruch erreichen.

Innenminister Joachim Herrmann

Individuelles Grundrecht auf Asyl oder Obergrenze für Flüchtlinge

Das gilt nach di Fabio so auch für Opfer eines Bürgerkrieges: „Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur unbegrenzten Aufnahme von Opfern eines Bürgerkrieges oder bei Staatenzerfall besteht nicht und wäre im Fall ihres Bestehens ein Verstoß gegen die unverfügbare Identität der Verfassungsordnung.“ Auch die europäische Menschenrechtskonvention begründet für di Fabio „kein Menschenrecht auf ungehinderte Einreise in einen Konventionsstaat und sieht keine unbegrenzte Pflicht zur Aufnahme von Vertriebenen oder heimatlos gewordenen Menschen vor“.

Artikel 16a des Grundgesetzes gewährt Asyl bei politischer Verfolgung, soweit nicht die Einreise über einen sicheren Drittstaat erfolgt.

Udo di Fabio

Di Fabio erinnert außerdem daran, dass Artikel 16a des Grundgesetzes Asyl bei politischer Verfolgung gewährt, vorausgesetzt, die Einreise erfolgt nicht über einen sicheren Drittstaat. Der Bund und seine Organe können also entweder individuelles Recht auf Asyl gewähren, bei individueller Prüfung und gegebenenfalls Ablehnung bei Einreise über einen sicheren Drittstaat. Oder es käme „der weite Flüchtlingsbegriff“ zum Tragen, „der aber dann klare Kontingentierung, wirksame Verteilungsmechanismen und die Formulierung sowie Durchsetzung von Kapazitätsgrenzen erfordert“. Soll heißen: Entweder individuelles Recht auf Asyl oder eben jene Obergrenze für Flüchtlinge, wie sie die Bayerische Staatsregierung seit Monaten fordert.

Krisensituation für Deutschland

Aus Münchner Sicht ist die durch die Pflichtverletzung des Bundes hervorgerufene Lage überaus ernst. Innenminister Joachim Herrmann verweist auf den Fall des mit sieben Identitäten nach Deutschland eingereisten und von dort nach Frankreich weiter gereisten IS-Terroristen, der kürzlich in Paris von der Polizei erschossen wurde. Herrmann: „Der jetzige Zustand an unseren Grenzen ist offensichtlich mit erheblichen Sicherheitsproblemen verbunden.“ Justizminister Winfried Bausback erinnerte an das in Köln und Nordrhein-Westfalen sichtbar gewordene Staatsversagen und sprach von Signalen, dass in der anhaltenden Migrantenkrise „immer mehr Länder an die Grenzen stoßen“.

Der jetzige Zustand an unseren Grenzen ist offensichtlich mit erheblichen Sicherheitsproblemen verbunden.

Joachim Herrmann

Die derzeitige unkontrollierte massenhafte Einreise sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und verletze geltendes Recht, betonte Bausback. Innenminister Herrmann weist auf eine auffällige Merkwürdigkeit hin: Für die derzeitige geltendes Recht verletzende Einreisepraxis, die eben die Bundesländer massiv betreffe und belaste, gebe es weder einen Beschluss des Bundestags, noch des Bundesrats oder der Bundesregierung. Herrmann: „Ich kann den Grundsatz ‚Wir schaffen das‘ nicht durch eklatanten Rechtsbruch erreichen.“

Bayern behält sich Verfassungklage vor

Mit di Fabios Rechtsgutachten geht der bislang noch verbal ausgetragene Rechtsstreit zwischen dem Freistaat und der Bundesregierung – genauer: Bundeskanzlerin Angela Merkel – in eine neue Phase. Dass die von der Kanzlerin erhoffte europäische Lösung demnächst zustande kommt, glaubt die Staatsregierung nicht: „Die Erwartung, dass das im Ausland gelöst wird, wird täglich unwahrscheinlicher“, sagte Huber. Wie geht es nun weiter? Die Staatsregierung wird zunächst ein Schreiben an die Bundesregierung verfassen und darin die Erfüllung der dem Bund obliegenden Pflichten anmahnen. Bausback: „Der Bund ist in der Pflicht, das Recht wieder herzustellen und die Einreise nachhaltig zu begrenzen.“ Berlin müsse entweder „die wirksame Sicherung der EU-Außengrenzen sowie die effektive und faire Verteilung von Flüchtlingen durchsetzen“ oder eben „effektive eigene Grenzkontrollen durchführen“, fordert die Bayerische Staatsregierung. Innenminister Herrmann: „Wir fordern die Registrierung der einreisenden Flüchtlinge an allen Grenzübergängen.“ Berlin soll schließlich entweder eine klare Kontingentierung auf EU-Ebene durchsetzen oder die im Grundgesetz verankerte Drittstaatenreglung zur Anwendung bringen und alle aus sicheren Drittstaaten illegal Einreisenden noch an der Grenze zurückweisen.

Der Bund ist in der Pflicht, das Recht wieder herzustellen und die Einreise nachhaltig zu begrenzen.

Justizminister Winfried Bausback

Wenn der Bund auf die Mahnung aus München nicht reagiert und keine grundlegende Verbesserung der Situation herbeiführt, werden Bayerns Verfassungsrechte verletzt. Dann, so Staatsminister Huber, sei eine Verfassungsklage „eine Option“. Problem: Bayern und Deutschland läuft die Zeit davon. Staatsminister Huber zufolge reisen derzeit täglich 3000 bis 4000 Migranten über Bayerns Grenzen nach Deutschland ein. Wenn ab März und dem Frühjahrsbeginn in der Ägäis und im Mittelmeer zwischen Libyen und Sizilien das Wetter wieder besser wird, ist mit sehr viel größeren Zahlen zu rechnen. Unter Umständen könnte dann schon im Juni die nächste Millionenzahl erreicht sein. Ist da überhaupt noch Zeit für einen Gang zum Verfassungsgericht? Ein Verfassungsgerichtsentscheid muss nicht zwangsläufig lange dauern, erinnerte Justizminister Bausback. Wenn zwingende politische Notwendigkeit besteht, könne Karlsruhe „sehr schnell Klärung herbeiführen“. Und dann muss Berlin sofort handeln.

Weitere sichere Herkunftsstaaten

Nach dem Willen der Bayerischen Staatsregierung soll der Bund weitere Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Der Ministerrat hat beschlossen, den von Innenminister Joachim Herrmann vorgelegten Entwurf für eine entsprechende Entschließung in den Bundesrat einzubringen. Herrmann: „Wir halten das im Grundgesetz verankerte Konzept des sicheren Herkunftsstaates für besonders geeignet, aussichtslose Asylverfahren schnell abzuschließen und so Asylmissbrauch wirksam zu bekämpfen.“

Asylanträge von Bewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten

haben in der Regel keinen Erfolg. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass in diesen Ländern niemand politisch verfolgt wird. Die Asylverfahren können deshalb auch binnen kurzer Zeit abgewickelt werden. Darüber hinaus verkürzt sich die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist auf eine Woche. Eine eventuelle Klage gegen den ablehnenden Asylbescheid ist innerhalb einer Woche zu erheben und hat keine aufschiebende Wirkung. Außerdem besteht für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich ein Beschäftigungsverbot.

Die Staatsregierung fordert, die Prüfung vor allem auf solche Staaten zu konzentrieren, aus denen eine hohe Zahl von Asylbewerbern nach Deutschland kommt, die Schutzquote im Asylverfahren aber gering ist. „Damit würde Menschen aus diesen Ländern ein wesentlicher Anreiz für einen Zuzug nach Deutschland genommen werden. Ein Beschäftigungsverbot verhindert von vornherein, dass Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten in Deutschland wirtschaftlich Fuß fassen, obwohl sie in nahezu 100 Prozent der Fälle hier nicht dauerhaft bleiben werden“, erklärte Innenminister Herrmann. „Mit in den Blick zu nehmen ist der Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den dort festgelegten sicheren Herkunftsstaaten. In den Kreis der zu überprüfenden Herkunftsstaaten gehören deshalb Algerien, Armenien, Bangladesch, Benin, Gambia, Georgien, Indien, Mali, Mongolei, Nigeria, die Republik Moldau und die Ukraine.“ Darüber hinaus erscheint der Staatsregierung auch die Einstufung der nordafrikanischen Staaten Marokko und Tunesien erwägenswert. Herrmann: „Auch aus diesen Ländern ist die Zahl der Asylanträge mit 1747 Antragstellern 2015 beziehungsweise 923 Antragstellern 2015 vergleichsweise hoch, die Schutzquoten mit 3,7 Prozent und 0,2 Prozent aber sehr gering oder sogar nahe Null.“

Die Quoten im Einzelnen:

  • Armenien: Anträge 2015: 2160, Schutzquote: 8,5 Prozent;
  • Algerien: 2.240, 1,6 Prozent;
  • Bangladesch: 839, 7,4 Prozent;
  • Benin: 368, 1,0 Prozent;
  • Gambia: 3.110, 2,7 Prozent;
  • Georgien: 3.196, 0,3 Prozent;
  • Indien: 1.889, 1,8 Prozent;
  • Mali: 562, 4,2 Prozent;
  • Mongolei: 381, 0,0 Prozent;
  • Nigeria: 5.302, 6,6 Prozent;
  • Republik Moldau: 1.567, 6,8 Prozent;
  • Ukraine: 4.658, 5,4 Prozent.

Hinzu kommt: Einige der Länder sind in anderen EU-Staaten bereits seit Jahren als sichere Herkunftsländer eingestuft (der Bayernkurier berichtete).