Erster Schritt in einer historischen Bewährungsprobe
Der Bundestag hat mit überwältigender Mehrheit der Neuregelung des Asylrechts zugestimmt. Nach heftiger Debatte stimmten 475 von 600 Abgeordneten zu. Wenn der Bundesrat morgen zustimmt, gilt der gesamte Balkan als sicheres Herkunftsgebiet, Asylanträge von dort können schneller bearbeitet werden. Weiterhin gibt es Streit um Transitzonen an den Grenzen und eine generelle Begrenzung der Zuwanderung.
Asylrecht im Bundestag

Erster Schritt in einer historischen Bewährungsprobe

Der Bundestag hat mit überwältigender Mehrheit der Neuregelung des Asylrechts zugestimmt. Nach heftiger Debatte stimmten 475 von 600 Abgeordneten zu. Wenn der Bundesrat morgen zustimmt, gilt der gesamte Balkan als sicheres Herkunftsgebiet, Asylanträge von dort können schneller bearbeitet werden. Weiterhin gibt es Streit um Transitzonen an den Grenzen und eine generelle Begrenzung der Zuwanderung.

Der Bundestag hat die Asylrechtsreform beschlossen. Für das Gesetzespaket stimmten nach heftiger Debatte 475 Abgeordnete. 600 Stimmen wurden abgegeben. 68 Abgeordnete stimmten dagegen, 57 Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Das Ergebnis ist insofern bemerkenswert, da die SPD einige der jetzt beschlossenen Maßnahmen noch 2014 entschieden abgelehnt hatte.

Die Grünen hatten erklärt, sie wollten sich im Bundestag der Stimme enthalten. Bereits am morgigen Freitag aber wollen zumindest die beiden grün mitregierten Länder Baden-Württemberg und Hessen im Bundesrat dem Paket zustimmen und ihm damit eine Mehrheit verschaffen – auch das ein bemerkenswerter politischer Spagat der Grünen, meinen Beobachter.

Das Gesetzespaket umfasst unter anderem folgende Punkte:

  • Albanien, Kosovo und Montenegro werden als letzte Balkan-Staaten als Sichere Herkunftsländer eingestuft, wo keine politische Verfolgung herrscht. Sozialmigranten von dort schneller können damit schneller zurückgeschickt werden.
  • Sozialmigranten aus sicheren Herkunftsländern sollen bis zum Abschluss des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben.
  • Asylbewerber sollen insgesamt länger (bis zu sechs statt bis zu drei Monate) in den Erstaufnahmestellen wohnen und dort möglichst nur Sachleistungen bekommen.
  • Geldleistungen soll künftig nur noch höchstens einen Monat im Voraus ausgezahlt werden.
  • Abgelehnte Asylbewerber, die ausreisen müssen, dieser Pflicht aber nicht fristgerecht nachkommen, bekommen nur noch sehr eingeschränkte Leistungen.
  • Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin einer Abschiebung nicht mehr angekündigt werden. Ziel ist, ein mögliches Untertauchen zu verhindern.
  • Asylbewerber mit guten Aussichten auf ein Bleiberecht erhalten Zugang zu Integrationskursen.
  • Der Abbau bürokratischer Hürden soll die Einrichtung neuer Asylunterkünfte erleichtern.
  • Der Bund schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Länder auf freiwilliger Basis eine Gesundheitskarte einführen können, mit der Asylbewerber direkt zum Arzt gehen können. Bayern wird keine Gesundheitskarte einführen.

Friedrich: Nationale Grenzen schützen, wenn EU die Außengrenzen nicht schützt

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Hans-Peter Friedrich (CSU), sieht im anhaltenden Flüchtlingszustrom eine Bedrohung für Deutschland und Europa. Im Bundestag forderte Friedrich, jedes EU-Mitglied müsse selbstständig entscheiden, wie viele Menschen es aufnehmen könne und wolle. „Und wie viele das sind, das entscheidet jedes Land in seiner eigenen Souveränität.“ Die Grenze in Deutschland liege da, wo „unsere eigene Lebensgrundlage, unsere eigene Stabilität“ gefährdet seien. „Die Bewältigung dieser Flüchtlingskrise und die Reduzierung auf das verkraftbare Maß, ist eine Herausforderung für die gesamte Europäische Union“, sagte Friedrich.

Wir können nicht mehr aufnehmen, als unsere Integrationsfähigkeit zulässt.

Hans-Peter Friedrich

Der Unions-Fraktionsvize betonte: „Wir müssen wirksam die territoriale Integrität Deutschlands und Europas wiederherstellen.“ Jeder Staat müsse das Recht haben, sein Staatsgebiet, seine Staatlichkeit und Grenzen zu schützen. Die Europäische Union müsse ihre Außengrenzen wirksam und lückenlos sichern. „Wenn es uns nicht gelingt, diese Sicherheit der Integrität Europas herzustellen, dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, um wieder unsere nationalen deutschen Grenzen zu schützen.“ An die Krisenländer müsse das klare Signal gesendet werden: „Wir können nicht mehr aufnehmen, als unsere Integrationsfähigkeit zulässt. Unsere Kapazitäten sind weitgehend erschöpft.“ Zudem seien Transitzonen an den deutschen Grenzen nötig, um ein Stopp-Signal zu setzen, dass es Grenzen der Aufnahmefähigkeit gebe.

Straubinger: SPD spielt Opposition in der Regierung

Nicht enthalten ist in der verabschiedeten Asylrechtsnovelle die Einführung von Transitzonen, also praktisch die Übertragung des Flughafenverfahrens auf die Landesgrenzen. Dort sollten Wirtschaftsmigranten aus sicheren Herkunftsländern abwarten, bis binnen einiger Tage über ihren Antrag entscheiden wird. Die SPD, namentlich Vizekanzler Sigmar Gabriel, lehnt diese bislang ab. „Deutschland steckt in der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung und die SPD hat nur Bedenken“, kritisiert der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger.

Immer nur zu sagen, was auf gar keinen Fall geht, wird der Verantwortung einer Regierungspartei nicht gerecht.

Max Straubinger

„Es wäre hilfreich, wenn die SPD endlich mal sagen würde, wie sie das Problem lösen will. Immer nur zu sagen, was auf gar keinen Fall geht, wird der Verantwortung einer Regierungspartei nicht gerecht.“ Straubinger wörtlich: „Opposition in der Regierung lohnt sich nicht. Die Menschen erwarten Lösungen. Wir müssen schnellstmöglich den Zustrom reduzieren und illegale Einreisen direkt an der Grenze verhindern.“ Die Transitzonen seien dafür „ein wichtiges Instrument“.

De Maizière: Ich teile die Sorgen der Bevölkerung

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bezeichnete das Paket im Bundestag als größte und umfassendste Änderung des Asylrechts seit den 90er Jahren. Zuvor hatte er im ZDF-„Morgenmagazin“ erklärt, er teile die Sorgen der Menschen in Deutschland angesichts der Flüchtlingskrise. „Es sind auch unsere Sorgen, es sind auch meine Sorgen“, sagte de Maizière. Die Regierung sei aber nicht dazu da, Ängste zu bestärken, sondern zu handeln. „Das tun wir mit diesem Gesetzespaket“, erklärte der Minister.

Die Regierung arbeite daran, die Zahl der Flüchtlinge zu verringern, sagte de Maizière. Das gehe nicht allein national, sondern nur mit Maßnahmen auf europäischer und internationaler Ebene. „Eine Obergrenze ist nicht abstrakt zu definieren, aber eine Begrenzung ist richtig», sagte der Innenminister mit Blick auf die unter anderem von CSU-Chef Horst Seehofer geforderte Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland.

Merkel: Weitere Gesetzesänderungen werden folgen

Im Bundestag warb Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nachdrücklich um breite Zustimmung zur Asylrechtsreform. Menschen ohne Asylanspruch müssten das Land schneller verlassen, Schutzbedürftige bekämen durch die Gesetzespläne dagegen effizientere Hilfe, sagte sie in einer Regierungserklärung. Die Kanzlerin mahnte in der Flüchtlingskrise ein „gemeinsames Handeln aller Ebenen“ in Deutschland an.

Es ist nicht übertrieben, diese Aufgabe als historische Bewährungsprobe Europas zu begreifen.

Angela Merkel

„Abschottung im 21. Jahrhundert des Internets ist auch eine Illusion“, sagte sie – auch in Richtung parteiinterner Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik, die Grenzschließungen fordern. Kriege und Krisen gelangten „immer häufiger direkt vor unsere Haustür“. Wichtig sei weiterhin ein gesamteuropäisches Vorgehen. „Es ist nicht übertrieben, diese Aufgabe als historische Bewährungsprobe Europas zu begreifen.“ Merkel betonte, so wichtig die geplanten Änderungen auch seien, zur Lösung der Flüchtlingskrise reichten die Schritte nicht aus. „Dafür braucht es mehr.“ Weitere Gesetzesänderungen müssten folgen.

Türkei muss Schleusen schließen

Die Kanzlerin kündigte an, am Sonntag bei ihrer Reise in die Türkei mit Präsident Recep Tayyip Erdogan auch strittige Punkte ansprechen zu wollen. Sie verstehe, dass manche besorgt seien, ob es Europa gelinge, mit der Türkei nicht nur aktuelle Interessen in der Flüchtlingskrise zu thematisieren, sondern „immer auch unsere Werte zu behaupten“. Für die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU gelte, dass die Gespräche ergebnisoffen geführt würden.

In diesem Geiste würden der Syrien-Konflikt, die Visa-Fragen, die Türkei als sicherer Drittstaat, der Anti-Terror-Kampf sowie die Menschenrechtslage auf den Tisch kommen. Ohne die Türkei könnten die hohen Flüchtlingszahlen nicht eingedämmt werden.

dpa/PM/wog