Gutes Koalitionsklima: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz. (Foto: Imago/Photothek)
Regierung

Positive Bilanz, aber noch viel zu tun

In einem Analysepapier zur Halbzeit der laufenden Legislaturperiode stellt sich die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein gutes Zwischenzeugnis aus. Gleichzeitig betont die Koalition darin, dass noch einiges zu tun bleibt.

Die Bundesregierung hat zur Halbzeit der Legislaturperiode den Anspruch zum Weitermachen bekräftigt. „Zusammen mit den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben wir viel erreicht und umgesetzt – aber es bleibt auch noch viel zu tun“, heißt es in der gut 80-seitigen Zwischenbilanz.

Von 300 Großmaßnahmen, die wir uns vorgenommen haben, haben wir zwei Drittel auf den Weg gebracht oder schon vollendet.

Angela Merkel

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) haben zudem den Willen der großen Koalition zur Weiterarbeit unterstrichen – ungeachtet der Spekulationen über ein vorzeitiges Ende. Merkel sagte mit Blick auf die Halbzeitbilanz der Regierung, von 300 geplanten großen Maßnahmen seien zwei Drittel vollendet oder auf den Weg gebracht worden. „Das zeigt, dass wir arbeitsfähig und arbeitswillig sind“, betonte Merkel.

Punkt für Punkt

Die Bestandsaufnahme orientiert sich an den 13 Kapiteln des Koalitionsvertrages und listet alle Vorhaben auf, die bis Anfang November 2019 vom Bundeskabinett beschlossen, bereits in Kraft getreten sind, sich im parlamentarischen Verfahren oder anderweitig in der Umsetzung befinden. In jedem Kapitel gibt es zudem einen Absatz unter der Überschrift „Was wir noch vorhaben“ – in Bildung, Forschung und Digitalisierung etwa, bei der Integration, bei bezahlbarem Wohnen oder zum Zusammenhalt der Gesellschaft.

Su hat die Koalition etwa in der Familien- und auch Bildungspolitik in den ersten zwei Jahren viel durchgesetzt: Mehr Kindergeld, höhere Kinderfreibeträge, höhere Sozialleistungen für Kinder aus ärmeren Familien, Milliarden für die Kitas, Milliarden für die Schulen, damit sie sich moderne Technik zulegen, Fördergelder für Hochschulen und Forschung, die Bafög-Erhöhung und die Einführung eines Mindestlohn für Azubis.

Fliehkräfte

„Wir leben in einer Zeit, in der die politischen und gesellschaftlichen Fliehkräfte zunehmen. Der Ausgleich unterschiedlicher Interessen und die in einer Demokratie unabdingbare Bereitschaft zum Kompromiss verlieren an Akzeptanz“, heißt es in der Bilanz. Kompromissfähigkeit brauchen die Partner beim aktuell strittigen Thema Grundrente. Wegen offener Fragen war das für Montag geplante Spitzentreffen der Koalition auf kommenden Sonntag verschoben worden.

Unser Anspruch ist es, für die großen Fragen unserer Zeit, die politisches Handeln erfordern, zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.

GroKo-Zwischenbilanz

Weder Scholz noch Merkel gingen in ihrem Statement darauf ein. In der Halbzeitbilanz steht die Grundrente unter „Was wir noch vorhaben“. Zum Streit, ob die Bedürftigkeit der Bezieher geprüft werden soll (was so im Koalitionsvertrag steht), heißt es nun: „Die Grundrente soll zielgenau sein und denen zugutekommen, die sie brauchen.“

Es gibt noch viel zu tun

Scholz hob „große Fortschritte“ bei der sozialen Sicherung, der Familienpolitik sowie beim Thema Wohnen und Mieten hervor. Es sei aber „noch was zu tun“. Es gehe darum, den Strukturwandel zu meistern. Der Finanzminister nannte ähnlich wie die Kanzlerin den Ausbau der Elektromobilität und erneuerbarer Energien sowie die Digitalisierung als Zukunftsaufgaben.

Eine positive Zwischenbilanz galt als eine wesentliche Grundlage für den Fortbestand der großen Koalition von Union und SPD. Sie wurde auf Betreiben der SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen.

Die Sozialdemokraten wollen auf ihrem Parteitag im Dezember eine neue Spitze wählen. In der Stichwahl bewerben sich derzeit zwei Duos um den Parteivorsitz. Finanzminister Olaf Scholz und Klara Geywitz gelten als Bewerberpaar, das die große Koalition fortführen will. Die Gegenkandidaten, der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken, stehen der großen Koalition eher skeptisch gegenüber. Esken sagte am Dienstagabend im ZDF-„heute journal“ mit Blick auf die Halbzeitbilanz, die wirklich wichtige Frage sei, ob die Koalition noch Antworten für die Zukunft habe. Da könne man Fragezeichen setzen.

Hilfe für Kommunen

Den Funke-Zeitungen zufolge bietet der Bund in der Halbzeitbilanz mehr Unterstützung für überschuldete Kommunen an. „Der Bund ist bereit, zur Unterstützung hoch verschuldeter Kommunen, bei deren Zins- und Tilgungslasten dann einen Beitrag zu leisten, wenn andere Hilfe alleine nicht ausreichend ist und es einen nationalen politischen Konsens gibt, den betroffenen Kommunen einmalig gezielt zu helfen“, schreibt demnach die Regierung. Ein solcher Konsens setze voraus, dass in Zukunft eine neue Verschuldung über Kassenkredite nicht mehr stattfinde.

Aus bayerischen Kommunalverbänden gab es aber bereits Widerstand gegen solche Hilfen, weil damit das schlechte Wirtschaften einzelner Kommunen (oft rot regiert) belohnt würde, während die gut aufgestellten Gemeinden, Städte und Kreise im Süden der Republik leer ausgingen.

Reaktionen von den Verbänden

Zur Beruhigung in der großen Koalition dürfte beitragen, dass das Jahresgutachten der „Wirtschaftsweisen“ derzeit keine Gefahr einer Wirtschaftskrise sieht. Sie mahnen aber die Bundesregierung, die „Wachstumskräfte“ zu stärken. Das meint: Unternehmen entlasten und mehr in Bildung und Forschung sowie in den Ausbau des schnellen Internets zu investieren – und sich notfalls höher verschulden. Eine Neuverschuldung lehnt die Union aber ab.

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, kommt zu seinem eigenen Urteil über die GroKo: „Die Zwischenbilanz der Industrie für die Arbeit der Bundesregierung fällt nicht so erfreulich aus, wie es sich die Koalitionäre selbst bescheinigen. Die Wirtschaft stagniert, und die Bundesregierung bleibt beim Reformtempo hinter den Erwartungen zurück.“ Mittelstandspräsident Mario Ohoven ergänzte: „Die erste Halbzeit der Großen Koalition fällt aus Sicht des unternehmerischen Mittelstandes enttäuschend aus. Die Bilanz zeugt von Maßlosigkeit und Mutlosigkeit zugleich. Der Sozialstaat wurde u.a. durch milliardenschwere Rentengeschenke maßlos aufgebläht.“

Es ist tragisch, dass die große Koalition ihre große Mehrheit nicht für große Taten nutzt.

Steffen Kampeter, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

Auch vbw-Chef Bertram Brossardt findet: „Die Rahmenbedingungen in Deutschland passen an manchen Stellen nicht. Anstatt Anreize für Wachstum und Innovation zu setzen, mehr Investitionen in Infrastruktur, Innovationen und Bildung zu tätigen, setzt die Große Koalition auf immer weiter wachsende Sozialausgaben.“ Kam also die SPD mit ihrer Politik mehr zum Zuge als die Union? Lieblingsprojekte von Teilen der Union finden sich nicht in der Bilanz – wie eine Senkung von Unternehmenssteuern oder die völlige Abschaffung des Soli.

Unterschiedliche Ansichten

Der Arbeitgeberverband BDA und zum Teil die Gewerkschaften kommen zu einem ähnlichen Fazit der Koalitionsarbeit wie Brossardt. „Es ist tragisch, dass die große Koalition ihre große Mehrheit nicht für große Taten nutzt“, kritisierte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter in den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Einem Unternehmen mit einer solchen Bilanz würde vermutlich jede Hausbank berechtigterweise schwerlich einen Kredit gewähren“, sagte der frühere CDU-Politiker.

DGB-Chef Reiner Hoffmann befand: „Obwohl die GroKo keine Liebesheirat war, können SPD und CDU eine ganz ordentliche Bilanz vorlegen, vor allem im Bereich Arbeit und Soziales.“ In den Funke-Zeitungen nannte Hoffmann unter anderem bessere Möglichkeiten für Langzeitarbeitslose, für pflegende Angehörige sowie das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Er forderte aber auch, die „Hängepartie“ bei der Grundrente zu beenden. Zudem müssten dem Versprechen der Kanzlerin, die Tarifbindung zu stärken, konkrete Taten folgen.

(dpa/BK)