Bauer Andreas Mehringer melkt im Stall der Königsalm bei Kreuth. (Foto: Peter von Felbert)
Alpen

Zwischen Ferienidyll und Funkloch

Interview Zwei Jahre lang ist der Fotograf Peter von Felbert auf oberbayerische Almen gestiegen und hat seine Eindrücke in einem faszinierenden Buch festgehalten. Ein Gespräch über eine Bergwelt, die immer mehr gestresste Stadtbewohner anlockt.

Um die bayerischen Almen ranken sich eine Menge Klischées, zum Beispiel dass es dort keine Sünd‘ gäbe. Wieviel davon stimmt?

Felbert: Wirklich Sündiges habe ich dort oben nicht gefunden. Höchstens ein paar Bausünden. Weil manche Bauern schon sehr grobe Zweckbauten hingestellt haben. Aber es gibt auch noch diese idyllischen Traumorte in der Einsamkeit der Bergwiesen, wo das Haus aus knarzendem Holz gebaut ist. Diese Bandbreite wollten wir zeigen. Auch die Brüche, die es gibt in dieser Welt. Dafür haben wir 25 Almen zwischen Garmisch, dem Tegernseer Land und der Berchtesgadener Gegend besucht. Wenn die Leser ein wenig klarer sehen, dann ist was gewonnen. Zum Beispiel den Unterschied zwischen einer Alm und einer Hütte, der war mir selbst nicht so klar.

Worin besteht der?

Auf einer Hütte gibt’s was zu Essen und Betten. Eine Alm ist dazu da, Kühe zu hüten und Käse herzustellen.

Selbst mit dem Gedanken gespielt, einfach dort zu bleiben?

Mir ist in den zwei Jahren klar geworden, dass dieses Leben eher nix für mich ist. Manche Almen haben nicht mal eine geschotterte Forststraßen, die hinauf führt. Manche werden per Helikopter mit versorgt. Anfangs wollten wir dieses Buchprojekt ganz ursprünglich anpacken, nur zu Fuß hinwandern. Aber da läuft man fünf Stunden rauf, kann nur eine Stunde fotografieren und läuft auch fünf Stunden wieder runter. Bis wir gespannt haben, dass der Hofbauer mit dem Geländewagen rauffährt. Da haben wir uns lieber mitnehmen lassen.

Also eher ein Sehnsuchtsort als ein realistischer Lebensfleck?

Der bärtige Senn, der mit der Heidi dort lebt, den gibt es eher nicht mehr. Handyempfang in der Regel auch nicht. Manche Almer müssen einen Kilometer wandern zur Anhöhe, wo sie ein Strichlein Empfang haben, damit sie eine SMS abschicken können. Schwierig. Deshalb bewirtschaften meistens auch nicht die Verwandten vom Bauern die Alm. Weil deren Kinder halt auch gerne abends online spielen und nicht einsehen, was sie dort oben sollen.

Wie hat sich die traditionelle Almwirtschaft verändert?

Früher haben die Landwirte ihr Vieh im Sommer auf den Berg getrieben, weil sie das Weidegras im Tal mähen und für den Winter einlagern konnten. Aber dieser ursprüngliche Zweck gerät in den Hintergrund. Wegen dem bissl Milch und Käse, das sie dort oben erzielen, brauchen sie das heute nicht mehr. Die Haupteinnahme kommt inzwischen aus den EU-Fördergeldern, die sie für die Landschaftspflege erhalten. Denn würden die Milchkühe, Schafe und Ziegen nicht grasen, würde die Berge schnell verwalden und verwildern. So rechnet sich das für die Betreiber, aber auch ihre Heimatregion.

Ohne die schöne Landschaft gäbe es keinen Tourismus?

Der kommt inzwischen hinzu, und viele Almen verköstigen als Zusatzgeschäft die Wanderer und Bergsteiger. In den 1970er-Jahren drohte ein Almsterben, weil das Ganze nicht mehr wirtschaftlich war. Die Bauernfamilien fanden kaum Leute, die im Sommer hinauf zum Arbeiten wollten. Heute gibt es in Holzkirchen eine Stelle des Landwirtschaftsministeriums, die wirbt um Personal. Mittlerweile hat sich das komplett gedreht: Krankenschwestern, Erzieherinnen nehmen sich eine Auszeit zur Selbstfindung, zur Entschleunigung. Leute, die ein Sabbatical brauchen, bewirtschaften die bayerischen Almen. Und finden genau diese wunderschöne Welt vor, die wir auch zeigen.

Das Interview führte Gregor Dolak.