Streicheln verboten: Kühe sind bis zu 400 Kilogramm schwer und gefährlich, wenn sie ihre Kälber schützen wollen. (Bild: Imago/Westend 61)
Kuh-Urteil

Berge ohne Zäune

Zorn unter Bergbauern: Ein Innsbrucker Gericht hat einen Alm-Bauern zu Schadensersatz und Zaunbau verurteilt. Weil seine Kühe eine Urlauberin totgetrampelt haben. Müssen Almen jetzt eingezäunt werden? Ein Fall, der auch Bayern betreffen könnte.

210 Jahre nach dem Tiroler Freiheitskampf von 1809 unter Andreas Hofer haben sich nun wieder wütende Bergbauern versammelt – und wieder droht ein Aufstand. Doch dieses Mal ist der Anlass ein tragischer Unfall: Im Tiroler Stubaital wurde am 28. Juli 2014 eine 45-jährige Urlauberin aus der Pfalz von einer Kuhherde erst umzingelt und dann regelrecht totgetrampelt. Auf öffentlicher Straße, in unmittelbarer Nähe zu einer stets gutbesuchten Almwirtschaft, vor 32 Zeugen, darunter wohl ihr Mann und ihr Sohn. Die vermutete Ursache für den Angriff: Ihr Hund, den sie mit der Leine an ihrer Hüfte fixiert hatte, reizte die Kühe, die ihre Kälber schützen wollten.

Aufregung über das Urteil

Im Schadenersatzverfahren hat das Landesgericht Innsbruck am 22. Februar ein Urteil (AZ: 1 Jv 924-24/19x) gesprochen: Der Bauer, dem die Herde gehört, hätte abzäunen müssen. Er muss den Hinterbliebenen der getöteten Touristin 180.000 Euro Schadenersatz und monatliche Renten zahlen in Höhe von 1200 (Ehemann) und 350 Euro (Sohn).

Jetzt sind in der Alm-Bauernschaft Aufregung und Empörung groß. Nicht nur in Tirol, auch etwa im bayerischen Allgäu. Das Urteil sei „praxisfremd“ und gefährde das Miteinander von Tourismus und Almwirtschaft, schimpft die Landwirtschaftskammer Tirol.

Die Bauern fragen mich, ob sie die Kühe noch auf die Alp treiben sollen, oder ob sie die Almen komplett sperren sollen.

Josef Hechenberger, Präsident der Tiroler Landwirtschaftskammer

Müssen die Bauern jetzt ihre Almen komplett einzäunen und von Wanderwegen trennen? Das wäre kaum machbar bei 15.000 Kilometer markierten Berg- und Wanderwegen allein in Tirol. Die verpflichtende Einzäunung wäre finanziell unzumutbar und vielerorts das Ende der Weidewirtschaft, warnt auch die Landwirtschaftskammer Österreich. „2000 Almen haben wir in Tirol, 180.000 Tiere werden jährlich aufgetrieben“, berichtete LK-Präsident Josef Hechenberger. Oder braucht es dann ein generelles Hundeverbot auf Almen, da Hunde in bisher jeden Vorfall dieser Art verwickelt waren? Der Tageszeitung Salzburger Nachrichten zufolge prüft genau das der Landwirtschaftsminister des Bundeslandes Oberösterreich.

Almen einzäunen, Hunde verbieten?

„Das Urteil ruft unter den Landwirten extreme Ängste und Verunsicherung hervor“, zitiert das Berner Landwirtschaftsblatt Schweizer Bauer den Präsidenten der Tiroler Landwirtschaftskammer. „Die Bauern fragen mich, ob sie die Kühe noch auf die Alp treiben sollen, oder ob sie die Almen komplett sperren sollen.“ Auch eine vom Land Tirol geförderte Haftpflichtversicherung lehnen die Bauern ab, weil sie auch davon Kostenteile zu tragen hätten und meistens sowieso schon entsprechend versichert sind. In einer öffentlichen Versammlung sagten viele Landwirte, sie würden jetzt eben ihre Almen komplett für Wanderer sperren.

Der Anwalt des betroffenen Landwirtes warnte nun vor einer „Lawine von Folgen für Viehhalter im alpinen Bereich“ und vor dem „Ende der freien Weide“. Er wird in die Revision gehen, zunächst vor dem Oberlandesgericht Innsbruck. Zulässig ist womöglich auch eine Revision am Obersten Gerichtshof in Wien.

Spezieller Fall

Ein Blick in den Wortlaut des Urteils schützt aber vor Missverständnissen. Zunächst: Die Betriebshaftpflichtversicherung jenes Bauern aus dem Stubaital hat offenbar schon signalisiert, dass sie die Schadenssumme übernehmen wird. Das berichtet jedenfalls die Wiener Tageszeitung Österreich. Auch der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) hat finanzielle Unterstützung nicht ausgeschlossen.

Des Weiteren: Das Gericht hat ganz bewusst kein allgemeingültiges Urteil fällen wollen. Sondern Recht gesprochen in einem Einzelfall, der sich an einem ganz spezifischen Ort zugetragen hat. „Der Unfall mit der Mutterkuhherde“, heißt es in dem Urteil, „ereignete sich auf einer öffentlichen Straße an einer Stelle im Weidegebiet mit hoher Frequenz an Wanderern, Kindern, Radfahrern und Fahrzeugen.“

Es führten dort gleich mehrere Wanderwege zusammen. Hinzu kam: „In unmittelbarer Nähe befindet sich eine Gastwirtschaft mit mehr als 220 Sitzplätzen.“ Damit nicht genug: Auch die Mutterkuhherde hielt sich überwiegend in diesem Bereich auf, „weil neben der Gastwirtschaft der Viehstall steht“. Durch das durch diese speziellen Umstände zwangsläufig häufige Aufeinandertreffen der Kühe mit Wanderern mit und ohne Hund, so das Urteil, „ist die Wahrscheinlichkeit von Reizungen der Herde hoch“.

An derart stark frequentiertem Ort …

Entscheidend mitgewirkt hat zudem der an der Hüfte fixierte Hund der Urlauberin – Presseberichten zufolge eine Bulldogge oder ein Terrier. Sie hätte ihn wohl auch dann nicht mehr schnell genug lösen können, wenn sie daran gedacht hätte. Kühe können Hunde nicht ausreichend von Wölfen unterscheiden und empfinden sie daher instinktiv als Bedrohung ihrer Kälber.

Der Alm-Bauer hatte zwar Warnschilder an den Zugängen zur Weide aufgestellt: „Achtung Weidevieh! Halten Sie unbedingt Distanz – Mutterkühe schützen ihre Kälber – Betreten und Mitführen von Hunden nur auf eigene Gefahr.“ Das war in diesem Fall und an diesem Ort aber nicht genug, urteilten jetzt die Richter nach Augenschein und Sachverständigengutachten.

… sind Warnschilder nicht genug

An solch stark frequentierten Orten – wie dem Unfallort neben der Pinnisalm – reiche ein bloßer Hinweis auf eine Mutterkuhherde nicht aus, sondern sei zusätzlich eine Abzäunung notwendig, um der von der Mutterkuhherde ausgehenden Gefahr zu begegnen: „An derart neuralgischen Orten wie der Unfallstelle sind Abzäunungen zum Schutz des menschlichen Lebens notwendig und aufgrund des geringen Aufwandes auch machbar.“

Es geht hier nicht darum, sämtliche Wege in einem Weidegebiet abzuzäunen, sondern nur um den konkreten Unfallbereich.

Landgericht Innsbruck

Tatsächlich hat der Pinnisalm-Landwirt seit dem Unfall im Juli 2014 Weg und näheren Umkreis rund um seine Alm und die Gastwirtschaft abgezäunt. Die Kosten in Höhe von 200 Euro im Jahr hat ihm der örtliche Tourismusverband erstattet.

Entscheidend war für das Landesgericht Innsbruck nur diese hohe Begegnungswahrscheinlichkeit, was die Richter auch ausdrücklich festhalten: „Entgegen der – in der Öffentlichkeit – immer wieder propagierten Absicht geht es hier nicht darum, sämtliche Wege in einem Weidegebiet abzuzäunen, sondern nur um den konkreten Unfallbereich. Eine Abzäunung sämtlicher Wege durch ein Almgebiet wäre einerseits wohl nicht notwendig (wegen geringer Frequenz von Wanderern, geringer Wahrscheinlichkeit eines derartigen Angriffs, da sich die Tiere in steilerem Gelände nicht so schnell bewegen können oder das Gebiet mangels Futterverfügbarkeit überhaupt meiden), andererseits wäre ein solcher Aufwand dem Tierhalter kaum zumutbar.“ Eine offene Frage bleibt allerdings: Ab wann gilt ein Ort als „stark frequentiert“? Schließlich führen die meisten Wanderwege über Almwiesen.

Die Lage in Bayern

Auch hierzulande gibt es oft genug Unfälle mit Kühen. Allein im Jahr 2014 gab es in Deutschland 6000 Unfälle mit Rindern – acht davon endeten tödlich. Meistens jedoch im bäuerlichen Betrieb, der Angriff auf Wanderer oder Mountainbiker ist die Ausnahme und fast immer mit Muttertieren mit Kälbern verbunden.

Auch im deutschen Recht ist die Tierhalterhaftung verankert, in §833 BGB. Eine Ausnahme besteht nur hinsichtlich der Haustiere, die dem Beruf oder Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt sind (wie Kühe) und bei denen der Halter die Beaufsichtigung mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt hat. Auch das Mitverschulden des Verletzten wird geprüft. Letztlich hilft es deshalb aber auch nicht, wie Thomas Bucher, Sprecher des Deutschen Alpenvereins, darauf zu verweisen: „Der Wanderer kam später, deshalb muss er sich anpassen und sich dementsprechend verhalten.“ Ein vergleichbarer Fall in Bayern könnte also durchaus ähnliche Konsequenzen wie in Tirol haben, wenn eine Sorgfaltspflichtverletzung des Bauern festgestellt würde. In Anbetracht dessen stellen nun auch deutsche Landwirte vermehrt Warnschilder auf, in vielen Hütten liegen Hinweisbroschüren aus. Tourismus und Almwirtschaft sind allerdings aufeinander angewiesen, Zäune wären dem abträglich.

Ein weitere Hürde in Bayern: Totales Abzäunen geht hierzulande schon deshalb nicht, weil das Betretungsrecht der freien Landschaft in den Artikeln 141 der Bayerischen Verfassung und 27 des Bayerischen Naturschutzgesetzes verankert ist.

Eine Alm ist kein Streichelzoo!

15 Regeln für Begegnungen mit Weidetieren

Direkten Kontakt meiden.

Großen Bogen um Herden mit Kälbern machen: Die Kühe schützen ihre Kälber.

Kälber nicht streicheln.

Langsam durch die Weide gehen.

Keine hektischen Bewegungen, kein Lärm.

 Herden nicht durchqueren.

Einzelne Tiere nicht von der Herde trennen.

Rinder betrachten Hunde als Gefahr für ihre Kälber.

  Hunde darum angeleint lassen.

Wenn ein Rind näher kommt, den Hund von der Leine lassen: Der Hund läuft fort, der Besitzer ist außer Gefahr.

Bei den Rindern auf Warnsignale achten: Senken des Kopfes, Scharren oder Brüllen.

Die Weide ruhigen Schrittes verlassen.

Dabei den Tieren nicht den Rücken zukehren.

„Rindern nicht in die Augen schauen, denn so signalisiert man dem Tier, dass es Beute ist“ (Bayerischer Rundfunk).

Keine Selfies mit Rindern!