Horst Seehofer im Gespräch mit dem BAYERNKURIER. (Bild: BK)
Bundesverfassungsgericht

Nach Urteil: Bayern will Betreuungsgeld fortführen

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Betreuungsgeld verfassungswidrig ist. Nach ihrem Urteil war nicht der Bund dafür zuständig, das Gesetz zu erlassen, sondern die Länder. In Bayern wird es weiter ein Betreuungsgeld geben, versprach Ministerpräsident Horst Seehofer.

„Es wird in Bayern auf jeden Fall auch in der Zukunft ein Betreuungsgeld geben“, sagte der CSU-Chef nach der Klausurtagung der bayerischen Staatsregierung am Tegernsee. „Wir in Bayern werden in jedem Fall ein ‚Bayerisches Betreuungsgeld‘ auf den Weg bringen. Der Zuspruch der bayerischen Familien bestärkt uns darin. Über 73 Prozent der bayerischen Eltern mit ein- und zweijährigen Kindern nehmen es in Anspruch. Das zeigt, dass das Betreuungsgeld eine wichtige Leistung für Familien ist.“ Seehofer sagte, es wäre ein großer Schaden, wenn die CSU diesen Markenkern bayerischer Familienpolitik aufgebe. „Wir erwarten, dass der Bund das Geld dafür zur Verfügung stellt“, betonte Seehofer „mit allem Nachdruck“. Der Bund sei nun in der Pflicht: „Der Bund wird mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht aus seiner Verantwortung für Familien entlassen. Deshalb muss der Bund dafür sorgen, dass die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel den Ländern zur Verfügung gestellt werden.“

Familien und Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft, sie müssen wir nach Kräften unterstützen!

Horst Seehofer

Das Kabinett habe Sozialministerin Emilia Müller deshalb den Auftrag dazu gegeben, die Eckpunkte für ein entsprechendes Landesgesetz zu entwickeln. Die konkrete Ausgestaltung werde umgehend vorbereitet, so Seehofer. Er nahm das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsgeld mit Bedauern zur Kenntnis: „Es ist bedauerlich, dass das Bundesverfassungsgericht allein aus formalen Gründen das Betreuungsgeld als verfassungswidrig erklärt hat. Die Zuständigkeit für das Betreuungsgeld liegt jetzt bei den Ländern. Das heißt: Die Zuständigkeit wechselt, das Anliegen bleibt. Die Wahlfreiheit der Eltern ist Markenkern bayerischer Familienpolitik, daran halten wir fest.“

Die Urteilsbegründung

Die Regelung sei nichtig, so das einstimmig ergangene Urteil. Die Klage Hamburgs gegen die am 1. August 2013 eingeführte Familienleistung, die von Gegnern als „Herdprämie” verunglimpft wurde, war damit erfolgreich. Laut dem Karlsruher Urteil hat der Bund im Bereich der „öffentlichen Fürsorge“ gegenüber den Ländern zwar eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit und darf daher Regelungen für Hilfen in individuellen oder existenziellen Notlagen erlassen. Doch dies gelte nur, wenn damit bundesweit gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen werden.

Das Betreuungsgeld gleiche aber keine Missstände bei Kita-Angeboten aus, weil die Zahlung nicht davon abhänge, ob ein Betreuungsplatz vorhanden sei, sondern nur davon, dass Eltern ihn nicht in Anspruch nehmen. Auch aus dem vom Grundgesetz geschützten Elternrecht lasse sich kein Anspruch auf Betreuungsgeld ableiten: „Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung steht allen Eltern offen. Nehmen es Eltern nicht in Anspruch, verzichten sie freiwillig“. Es gebe daher auch keine Pflicht, diesen Verzicht zu kompensieren. Allein der gesellschaftliche Wunsch nach einer „Wahlfreiheit“ würde ein Bundesgesetz noch nicht „erforderlich“ machen. Die Richter äußerten sich nicht zu der zweiten von Hamburg aufgeworfenen Frage, ob das Betreuungsgeld falsche Anreize in der Familienpolitik setzt.

Durch eine Gesetzesinitiative der CSU bekamen Eltern seit zwei Jahren zunächst 100 Euro, ab August 2014 dann 150 Euro pro Monat, wenn sie ihr Kleinkind nicht in eine Krippe schicken, sondern zu Hause betreuen. Das Geld wurde maximal vom 15. Lebensmonat bis zum dritten Geburtstag ausgezahlt.

455.000 Eltern sagten ja

Über 455.000 Eltern erhalten in Deutschland derzeit Betreuungsgeld. „Das Betreuungsgeld ist das Gegenstück zum Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige und eine Frage der Gerechtigkeit. Der Staat darf nicht ein Erziehungsmodell – die Betreuung unter Dreijähriger in der Kita – bevorzugen”, sagte die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt 2013 in der Debatte im Bundestag.

Offizielle Zahlen zu den Auswirkungen des Betreuungsgelds gibt es zwar noch nicht. Ein Renner wurde das Betreuungsgeld aber vor allem in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz. „Es gibt eben doch einen großen Bedarf nach Unterstützung, unabhängig davon, ob Eltern arbeiten oder länger zu Hause bleiben wollen – anders als von der Opposition und manchen Sozialdemokraten behauptet“, sagte Max Straubinger, familienpolitischer Sprecher der CSU im Bundestag, vor dem Urteil.

2015 waren 900 Millionen Euro dafür veranschlagt. Das Bundesverfassungsgericht setzte keine Übergangsfrist für die Fortgeltung der Regelungen fest, weil dem „Vertrauensschutz in den Bestand der Leistungsbescheide“ durch die Regelung im Sozialgesetzbuch ausreichend Rechnung getragen werde. Die Leistung wird aber auch nicht sofort wegbrechen: Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, wies bei der Urteilsverkündung darauf hin, dass die Empfänger des Betreuungsgeldes trotz der Entscheidung nicht die sofortige Einstellung der Zahlung befürchten müssen. Laut einer Härtefallregelung im zehnten Sozialgesetzbuch müssten solche Leistungen weiter gezahlt werden, wenn die Betroffenen sich darauf eingestellt haben. Bisher ausgestellte Zahlungsbescheide behalten laut Kirchhof grundsätzlich ihre Gültigkeit, obwohl die ihnen zugrunde liegende Regelung wegfällt. Die Auszahlung liegt in der Hand von Bund und Verwaltung.

Länder können Betreuungsgeld einführen

Nun sind die Länder am Zug: Sie können auf eigene Kosten ein Landesbetreuungsgeld erlassen. Die rot-grünen Schuldenregierungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen haben das natürlich schon abgelehnt. Für Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) ist das Urteil unter Umständen ein Pyrrhussieg. Denn nun steht auch die Frage im Raum, ob der Bund die Zuständigkeit hat, etwa deutschlandweit den Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz durchzusetzen. Dieses Problem hatte auch schon die CSU benannt. „Sollte das Bundesverfassungsgericht die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in diesem Falle für unzulässig erklären, müsste man Gemeinschaftsaufgaben ganz grundsätzlich anzweifeln“, sagte etwa Max Starubinger. Beim Ausbau der Kita-Plätze könnte man immerhin argumentieren, darauf angewiesene Familien dürften nicht wegen ihres Wohn- oder Arbeitsorts benachteiligt werden. Die bayerische SPD zeigt währenddessen erneut ihre Volksferne und prüft ein Volksbegehren zum Betreuungsgeld. Das kündigte Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher am Dienstag im Landtag in München an.

Bayern will Betreuungsgeld fortführen

„Der Bund muss die ursprünglich für das Betreuungsgeld eingeplanten finanziellen Mittel nun direkt an die Länder weitergeben“, forderte dagegen Thomas Kreuzer, Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag.

Bayern wird seiner Verantwortung für betreuende Mütter und Väter gerecht werden.

Thomas Kreuzer

„Bayern wird das Betreuungsgeld mit diesen Mitteln dann selbst weiterzahlen und das erwarte ich auch von den anderen Bundesländern“, machte der CSU-Politiker deutlich. „Wird das Betreuungsgeld als Ländersache angesehen, dann wird Bayern die Zahlungen gerne übernehmen“, erklärte Kreuzer.

„Wenn die finanziellen Mittel vom Bund umverteilt werden, sehen wir genau, welche rot-grün-regierten Bundesländer sich aus der Verantwortung stehlen wollen. Bayern wird seiner Verantwortung für betreuende Mütter und Väter gerecht werden.“ Das Betreuungsgeld sei „ein Erfolgsmodell“, so Kreuzer. „In den ersten fünf Monaten dieses Jahres ist es deutschlandweit über 450.000 Mal bewilligt worden. Der flächendeckende Wunsch in der Bevölkerung nach dem Betreuungsgeld darf auch nach dem heutigen Urteil nicht einfach ignoriert werden.“