Schieflage bei den Grünen: Fakten finden selten Eingang in deren politische Ziele. (Bild: Imago/Zuma Press/Sachelle Babbar)
Landtag

Chancengleichheit statt Gleichmacherei

Nach dem Willen von Grünen und SPD soll das bayerische Wahlrecht nach dem Brandenburger Vorbild geändert werden. Das Ziel: mehr Frauen im Landtag. Das Problem: Die meisten Juristen stufen diese Ideen als verfassungswidrig ein.

Nach den umstrittenen Wahlrechtsänderungen in Brandenburg wollen Grüne und SPD auch in Bayern ihre von den meisten Juristen als verfassungswidrig eingestuften Ideen umsetzen. Ziel von SPD und Grünen ist es, den Frauenanteil im Parlament zu erhöhen.

Die Pläne

Die SPD will erreichen, dass Frauen und Männer auf den Wahlkreislisten der Parteien abwechselnd gereiht werden – mittels eines Reißverschlussverfahrens bei der Zweitstimmen-Liste. Das würde bedeuten, dass alle Parteien ihre Listen immer abwechselnd mit Frauen und Männern besetzen müssten. Der Wähler könnte theoretisch natürlich trotzdem die Männer oder die Frauen nach vorne wählen, weshalb dadurch nicht zwangsläufig Parität entstehen würde.

Wir brauchen Chancengleichheit, nicht Gleichmacherei.

Petra Guttenberger

Die Grünen fordern darüber hinaus eine verpflichtende Frauenquote für Landtag und Staatsregierung von mindestens 50 Prozent und wollen auch bei den Direktkandidaten Änderungen. Sie wollen bei den Direktmandaten in jedem Wahlkreis gemischte Duos wählen lassen, wofür die Anzahl der 91 Stimmkreise halbiert werden soll. Jeder Stimmberechtigte würde danach grundsätzlich zwei Direktkandidaten wählen – eine Frau und einen Mann. Die könnten dann auch unterschiedlichen Parteien angehören, je nachdem, wer bei den Männern und den Frauen die meisten Stimmen auf sich vereint. Die Quote für die Staatsregierung soll in der Bayerischen Verfassung verankert werden.

Die Realität

Verbindliche Vorgaben, die die Zusammensetzung der Wahlvorschläge nach geschlechts- oder anderen gruppenbezogenen Merkmalen materiell steuern, verletzen die passive Wahlrechtsgleichheit.

Prof. Dr. Klaus F. Gärditz

Denn gegen beide Vorschläge, aber besonders gegen die grünen Ideen, gibt es starke verfassungsrechtliche Bedenken, weil sie unzulässig in die Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie in die Organisationsfreiheit der Parteien eingreifen könnten. Zur Wahlfreiheit des Artikel 38 Grundgesetz gehört nämlich grundsätzlich auch ein freies Wahlvorschlagsrecht.

Die Sicht der Juristen

Wie fast immer in solchen Fällen, ist die Rechtmäßigkeit des Gesetzes unter Juristen umstritten, die Mehrheit lehnt Quoten jedoch ab. „Verbindliche Vorgaben, die die Zusammensetzung der Wahlvorschläge nach geschlechts- oder anderen gruppenbezogenen Merkmalen materiell steuern, verletzen die passive Wahlrechtsgleichheit nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG“, schreibt etwa der Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn, Dr. Klaus F. Gärditz, in der Legal Tribune Online. „Das Gleichstellungsgebot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung fördert und bestehende Nachteile beseitigt, ist auf eine Steuerung demokratischer Wahlergebnisse nicht anwendbar.“ In einem System freier Wahlen könne es „per se keine materielle Gerechtigkeit oder Erfolgsgarantien“ geben. Die Wahl der politischen Repräsentation sei immer Willkür der Wählenden.

Befürworter einer Paritätsregelung, die unter Juristen die Minderheit stellen, sehen aber gerade in Artikel 3 des Grundgesetzes die Berechtigung für das Gesetz. Da aber das Bundesverfassungsgerichtes erst kürzlich für Reisepässe ein drittes Geschlecht zugelassen hat, stellt sich die Frage, ob dann nicht auch für diese Gruppe beziehungsweise für andere Minderheiten Plätze frei gemacht werden müssten.

Weiteres Problem: Die Bayerische Verfassung

In Bayern setzt auch die Bayerische Verfassung Hürden: Erst im März vergangenen Jahres hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof eine Popularklage des „Aktionsbündnisses für Parité“ in den Parlamenten abgelehnt. In der Begründung der Richter hieß es klar und deutlich, die Quotenregeln verstießen gegen das im Grundgesetz verankerte Gleichheitsgesetz und mische sich zu sehr in die Aufstellungsrechte der Parteien ein. „Der Verfassungsgerichtshof steht auf dem Standpunkt, dass die Parteien nicht verpflichtet werden können, Quotierungen einzuführen“, erklärte dazu Josef Franz Lindner, Verfassungsrechtler an der Universität Augsburg, dem BR.

Es muss unbestritten unser Ziel sein, mehr Frauen in die Parlamente zu bekommen.

Petra Guttenberger

Zu den von SPD und Grünen gewünschten Veränderungen des Wahlrechts erklärte darum auch Petra Guttenberger (CSU), die Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung und Recht im Bayerischen Landtag: „Es muss unbestritten unser Ziel sein, mehr Frauen in die Parlamente zu bekommen. Deshalb müssen sich alle Parteien Gedanken machen, wie politisches Engagement für Frauen erleichtert wird.“ Klar ist für Guttenberger aber auch: „Der absolut falsche Weg ist der Eingriff in unser Wahlgesetz und die Einschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts. Die Vorschläge von Grünen und SPD halte ich für verfassungswidrig. Wir brauchen Chancengleichheit, nicht Gleichmacherei. Ich halte es für falsch, gesellschaftliche Bereiche und soziale Gruppen über Quoten in die Parlamente zu bringen. Das ist für mich ein Angriff auf die Wahlfreiheit jedes Einzelnen. Unser bestehendes Landeswahlsystem mit Direktkandidaten und veränderbaren Listen ist ein breit gefächertes Angebot an unsere Bürgerinnen und Bürger.“ Die Kommentatorin des Münchner Merkur, Katrin Woitsch, schreibt: „Eine Sonderstellung für Frauen per Gesetz ist das Gegenteil von Gleichberechtigung. Wohl kaum eine Frau möchte ein Amt, nur weil sie eine Frau ist.“ Vielmehr brauche es mehr Unterstützung für Frauen in Politik und Arbeitswelt, um sich überhaupt politisch engagieren zu können – etwa durch flexiblere Kinder-Betreuungszeiten.

Die CSU hat bereits auf einem Parteitag 2010 eine Frauenquote beschlossen: Auf Landes- und Bezirksebene sollen 40 Prozent der Ämter weiblich besetzt werden. Bei der Aufstellung der Liste für die 2019 anstehende Europawahl bemühte sich CSU um eine paritätische Besetzung. Zum ersten Mal sei „eine Art Reißverschluss angewendet worden“, sagte Parteichef Markus Söder. Die Partei wolle signalisieren, „dass wir als CSU eine bessere Präsenz der Frauen wollen“. Auch in der Staatsregierung werden 40 Prozent der CSU-geführten Ministerien von Frauen geführt.