Kinderehe: Mit der Heirat ins Gefängnis. (Bild: Imago/imagebroker)
Justiz

Keine Kompromisse bei Kinderehen

Kommentar Sind alle im Ausland geschlossenen Kinderehen in Deutschland unwirksam oder nicht? Diese Frage hat der Bundesgerichtshof nun dem Bundesverfassungsgericht zur Klärung vorgelegt. Dabei sollte das doch eigentlich völlig klar sein.

Seit 2017 sind alle im Ausland geschlossenen Kinderehen in Deutschland unwirksam. Diese Gesetzesänderung wurde wesentlich von Bayerns damaligem Justizminister Winfried Bausback (CSU) initiiert – immerhin von Berufs wegen Professor für öffentliches Recht. Doch diese Änderung, die auch von den Bürgern mit klarer Mehrheit begrüßt wurde, verstößt laut Bundesgerichtshof (BGH) möglicherweise gegen das Grundgesetz.

Der Fall dahinter

Konkret geht es um ein „Paar“ aus Syrien, das 2015 nach Deutschland geflohen war. Die „Ehepartner“, Cousin und Cousine, wurden nach syrischem Scharia-Recht verheiratet. In Deutschland wurde das Paar getrennt. Die junge Frau wurde in eine Jugendhilfeeinrichtung gebracht und das Jugendamt zum Vormund bestellt. Der „Ehemann“ wusste deshalb nicht, wo sich seine „Ehefrau“ aufhielt und beantragte beim Amtsgericht Aschaffenburg, dass er wieder mit ihr zusammengebracht wird.

Verständnis für Juristen?

Das Amtsgericht gewährte dem Mann nur ein begleitetes Umgangsrecht am Wochenende, das war der damals geltenden Rechtslage geschuldet. Zudem erklärte das Gericht, die Ehe sei  ohne Anhaltspunkte für Zwang geschlossen worden. Schon hier wird es schwierig: Wer will beurteilen, ob das Mädchen wirklich nicht aus Angst oder Rücksicht vor ihren Eltern der Heirat zustimmte? Niemand hat sicheren Einblick in diese Arrangements und kann zweifelsfrei solche Fälle beurteilen! Hier muss darum gelten: Im Zweifel für das Kind. Also immer.

In zweiter Instanz stellte das Oberlandesgericht Bamberg dann im Mai 2016 ebenfalls nach alter Rechtslage fest, dass die Ehe auch in Deutschland gültig sei. Deshalb dürfe das Jugendamt nicht bestimmen, wo sich die Minderjährige aufzuhalten habe. Das OLG hielt damals fest: „Die Anwendung des syrischen Rechts im konkreten Fall führt daher auch nicht zu einem Ergebnis, das aus der Sicht grundlegender deutscher Rechtsvorstellungen nicht mehr hinnehmbar ist.“ Nicht mal der §182 StGB, der sexuellen Missbrauch von Kindern bestraft, reiche dafür aus, weil es bei über 14-Jährigen eine Einzelfallbetrachtung gebe, die im vorliegenden Fall nicht für eine Strafbarkeit reiche.

Das verstehen normale Bürger nicht, nur Juristen, die sich, wie der BGH in seinem Urteil ausführt, vor der Gesetzesänderung bisher nie auf „ein noch akzeptabel erscheinendes Mindestalter“ einigen konnten. Deshalb die Einzelfallbetrachtung, die „zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts bei der Eheschließung Minderjähriger“ gehöre.

Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

Art. 6 Satz 1 EGBGB

Gegen die OLG-Entscheidung hatte das Jugendamt Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt, der die dafür entscheidende neue Vorschrift jetzt dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegte. Denn 2017 hatte der Gesetzgeber die Rechtslage geändert, auch weil durch den Flüchtlingsstrom ab 2015 die Kinderehe wieder vermehrt Einzug in Deutschland hielt. 1475 Kinderehen waren es Mitte 2016 offiziell. Seit Juli 2017 steht deshalb im §1303 BGB klipp und klar: Ehen sind in Deutschland unwirksam, wenn einer der Ehepartner unter 16 Jahre alt ist. Das bedeutet: Auch wenn sie im Ausland legal geschlossen wurden. Ausnahmen gibt es seitdem unter 16 nicht mehr.

Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit

Der BGH bezweifelt die Vereinbarkeit dieser Gesetzesänderung mit dem Grundgesetz – weil es Kinderehen automatisch für unwirksam erklärt, ohne Prüfung im Einzelfall. Dieser mangelnde Entscheidungs-„Spielraum“ sei das, was verfassungswidrig sei. Die Frage muss erlaubt sein: Welchen Spielraum gibt es, wenn eine 14-Jährige verheiratet wird? Selbst im „günstigsten“ Fall, wenn sie in ihren Partner verliebt ist und kein Druck ausgeübt wird, kann es wegen der Unreife des Kindes keinen Spielraum geben. Im strittigen Fall war der „Ehemann“ bei der Hochzeit 21, das Mädchen erst 14 Jahre alt! Auch Winfried Bausback sagt jetzt, „wegen unserer Verfassung und zum Wohle des Kindes“ dürfe es in dem vorliegenden Fall nur eine Antwort geben: „Diese Ehe muss von Anfang an null und nichtig sein.“

Überzeugen kann auch das Argument nicht, dass die betroffenen Mädchen keinerlei Ansprüche etwa auf Unterhalt und Vermögensausgleich hätten, wenn die Ehe unwirksam sei. In Deutschland sichert der Staat solche Fälle zum einen durch seine sozialen Sicherungssysteme ab. Zum anderen darf doch das Kindeswohl nicht durch finanzielle Bedenken ausgehebelt werden.

Das Kindeswohl verträgt in diesem Fall keine Kompromisse.

Winfried Bausback

Welcher Schutz gilt?

Nur eine Einzelfallbetrachtung gewährleistet laut BGH das Kindeswohl, das ergebe sich aus dem Schutz der Menschenwürde, dem Recht auf freie Entfaltung und dem Schutz der Ehe. „Deutschland kann sich nicht einerseits international für ein Verbot von Kinderehen einsetzen, im eigenen Land aber solchen Ehen Rechtswirkungen verleihen“, sagt dagegen Winfried Bausback. „Das Kindeswohl verträgt in diesem Fall keine Kompromisse. (…) Hier geht es um den verfassungsrechtlich fest verankerten Schutz von Kindern und Minderjährigen!“

Und wo bleibt bei einer Kinderehe die freie Entfaltung der Persönlichkeit? Eine frühe Verheiratung hat zahlreiche „Negativauswirkungen auf Mädchen in den Bereichen Bildung, persönlicher Schutz und Gesundheit“, erklärte die Kinderrechtsorganisation „Save the Children“ 2016 in ihrem Bericht „Jedes Mädchen zählt“. Darin heißt es: „Kinderehen sind der Anfang eines Teufelskreises aus Benachteiligungen.“ Aber jedes Kind sollte (nicht nur) in Deutschland das Recht auf eine geschützte Kindheit und gleiche Startchancen haben! Kinder sollten spielen, lernen, einen Abschluss oder eine Ausbildung machen, selbstständig werden. Erst wenn sie alt genug sind, sollten sie entscheiden, ob, wann und wen sie heiraten wollen. Denn eigentlich sollte doch klar sein: Jede Kinderehe ist in Wahrheit Kindesmissbrauch.

Eine Grundsatzfrage

Am Ende ist es aber auch eine Grundsatzfrage, inwieweit wir ausländisches Recht in Deutschland akzeptieren wollen, das unserem Recht in wichtigen Fragen völlig konträr gegenübersteht. Jahrhunderte hat es gedauert, das Mittelalter aus unserem Recht zu entfernen, nun dürfen wir es nicht über vermeintliche Toleranz oder „Einzelfallbetrachtung“ wieder zurückholen. Vielmehr müssen wir sagen: In Deutschland gilt für alle deutsches Recht, insbesondere bei wichtigen Rechtsgütern wie Leben, Gesundheit – oder eben dem Kindeswohl, mit unverrückbarer Altersgrenze bei Minderjährigen-Ehen.

Noch eines sollten wir bedenken: Urteile ergehen „im Namen des Volkes“. Dieses Volk hat durch seine Vertreter im Bundestag klar zum Ausdruck gebracht, dass es Kinderehen nicht länger anerkennen will.

Kinderehen

Weltweit haben 2016 rund 700 Millionen Frauen bereits vor ihrem 18. Geburtstag geheiratet – diese Zahl nennt die Kinderrechtsorganisation „Save the Children“. Oft unter Zwang. In Ländern wie Afghanistan, dem Jemen und Somalia würden Mädchen sogar im Alter von zehn Jahren verheiratet. Je ärmer, desto öfter: So seien in Nigeria 40 Prozent der armen Mädchen bereits mit 15 verheiratet, unter den reichsten Mädchen nur drei Prozent.