2017 wurden in Deutschland Tausende Kinder schwer misshandelt, 143 Kinder wurden getötet. (Foto: imago/blickwinkel/McPhoto/Begsteiger)
Missbrauch

Kinder besser schützen

Erschreckende Zahlen: 12.850 Kinder wurden 2017 Opfer sexuellen Missbrauchs, 4247 Kinder wurden schwer misshandelt, 143 getötet. Laut BKA kann die Polizei in vielen Fällen die Täter nicht ermitteln, weil die Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt ist.

Trotz intensiver Ermittlungen der Polizei werden immer noch zehntausende Kinder in Deutschland Opfer von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr 4247 Kinder, die schwer misshandelt wurden (2016: 4237). 1830 davon waren jünger als sechs Jahre. 143 Kinder wurden getötet (2016: 133). Diese Zahlen aus der Kriminalstatistik stellten der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, und Kinderhilfe-Chef Rainer Becker jetzt vor. Basis ist eine detaillierte Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2017. Becker wies darauf hin, dass daneben weitere 50.000 angezeigte Fälle von einfacher Körperverletzung dazukämen.

Die Zahlen, die der Präsident des BKA vorgestellt hat, sind einfach nur schrecklich.

Winfried Bausback (CSU), Bayerns Justizminister

Allerdings wird nur ein Teil der Misshandlungen von Kindern überhaupt bekannt. Wie Münch betonte, geschehen die meisten Delikte gegen Kinder, Misshandlungen und sexueller Missbrauch fernab öffentlicher Wahrnehmung. Häufig schlagen Eltern oder andere Verwandte die Kinder. Auch Missbrauch geschieht in Familien. Die Täter werden oft nicht angezeigt. Münch sagte, in manchen Zuwanderergruppen gebe es eine „höhere Gewalterfahrung und andere Wertevorstellungen“. Auch das könne mit Gewalt gegen Kinder zu tun haben. „Deshalb ist jeder gefragt, wachsam zu sein, nicht wegzuschauen, Hinweise ernst zu nehmen, Anzeige zu erstatten. Wer wegschaut, trägt auch eine Mitverantwortung“, appellierte der BKA-Präsident.

Datenschutz und Täterschutz

12.850 Kinder wurden als Opfer von sexuellem Missbrauch erfasst. Die Polizei zählte zudem 16.317 Fälle des Besitzes und der Verbreitung von kinderpornographischem Material. Der BKA-Chef schilderte die Probleme der Polizei mit Speicherfristen im Internet: Knapp 35.000 Hinweise auf Kinderpornografie seien im vergangenen Jahr aus den USA gekommen. In mehr als 18.000 Fällen sei die Polizei aber aus technischen Gründen nicht weitergekommen: Entweder mussten die Ermittlungen eingestellt werden, weil die Internet-Provider die IP-Adressen nicht mehr gespeichert hatten. Oder die individuellen Adressen gehörten zu einem allgemeinen Hotspot, bei dem etwa der benutzte Laptop nicht gespeichert wurde. Das bedeute dann das Ende der Ermittlungen. Münch sagte, das Entdeckungsrisiko für Täter sei einer der wichtigen Faktoren zur Bekämpfung von Kinderpornografie, daher befürworte er entschieden die Vorratsdatenspeicherung.

Die derzeitige Regelung zur Speicherung und zur Erhebung von Verkehrsdaten greift zu kurz und muss erweitert werden.

Joachim Herrmann (CSU), Bayerns Innenminister

„Die Zahlen, die der Präsident des BKA diese Woche vorgestellt hat, sind einfach nur schrecklich“, sagt Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) auf Anfrage des BAYERNKURIERS. Bei rund 13.000 Opfern von sexuellem Missbrauch seien dies mehr als 250 Kinder in der Woche und über 35 Kinder am Tag. Dabei handle es sich nur um das „Hellfeld“, also die Fälle, die zur Anzeige gebracht werden, so der Minister. Schlimm sei auch der Anstieg der sexuellen Missbräuche um 15 Prozent von 2016 auf 2017. „Die Opfer sind immer schlimmeren Handlungen ausgesetzt. Und: Es sind immer jüngere Kinder betroffen“, sagt Bausback.

Warten auf den EuGH

Gegenüber dem BAYERNKURIER erklärte das bayerische Justizministerium, es gebe durchaus die rechtliche Grundlage für die Speicherung der Verkehrsdaten. Dabei gehe es immer nur um die reinen Verbindungsdaten, Inhalte würden ohnehin nicht gespeichert. Allerdings sei diese Speicherpflicht durch die Bundesnetzagentur in Folge eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster vom Juni letzten Jahres de facto ausgesetzt worden. Das OVG äußerte in seinem Beschluss Zweifel, ob die gesetzliche Regelung den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entspricht, die dieser in seiner Entscheidung vom Dezember 2016 aufgestellt hatte. Die Bundesnetzagentur habe daraufhin Internetprovider und Telekommunikationsunternehmen von der Speicherung der Verkehrsdaten befreit, bis das Oberverwaltungsgericht in der Hauptsache entscheide, so das Ministerium.

Wir müssen – gerade für besseren Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft – unsere Ermittlungsmöglichkeiten im Bereich der Verfolgung von Kinderpornografie noch weiter verbessern.

Winfried Bausback

Im Oktober 2015 hatte die Große Koalition die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Demnach sollten die Provider ab 1. Juli 2017 die Verkehrsdaten nach gestaffelten Zeitrahmen speichern: Standortdaten für mobile Internetnutzung und Handy für vier Wochen. Alle anderen folgenden Daten wären zehn Wochen zu speichern gewesen: Rufnummern, Zeit und Dauer aller Telefonate, ebenso die Rufnummern, Sende- und Empfangszeit aller SMS-Nachrichten, zugewiesene IP-Adressen aller Internetnutzer sowie Zeit und Dauer der Internetnutzung. Doch die Münsteraner Entscheidung stoppte die Speicherpflichten kurz vor dem Inkrafttreten.

„Keuschheits-Proben“ gegen Kinderporno-Ringe

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärt gegenüber dem BAYERNKURIER: „Der jetzige Zustand ist für unsere Ermittler ein richtiges Problem, an die Drahtzieher und Nutzer von Kinderpornografie zu kommen und sie aus dem Verkehr zu ziehen. Denn die Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten sowie der Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf diese Daten sind für eine effektive Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten absolut wichtig. Gerade im Bereich der Kinderpornographie stellen diese Daten teilweise den einzig erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz dar.“ Daher fordert Herrmann eine erneute Novelle und Verschärfung der Vorratsdatenspeicherung: „Die derzeitige Regelung zur Speicherung und zur Erhebung von Verkehrsdaten greift meines Erachtens zu kurz und muss erweitert werden, um den Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Mittel für ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen. Dies betrifft insbesondere eine Einbeziehung der Anbieter von E-Mail-Diensten und Telemedienanbietern, die Ausweitung der Speicherdauer und die Erweiterung der Katalogstraftaten.“

Ganz neue Wege will Justizminister Bausback gehen: „Für mich ist klar: Wir müssen – gerade für besseren Schutz der Schwächsten unserer Gesellschaft – unsere Ermittlungsmöglichkeiten im Bereich der Verfolgung von Kinderpornografie noch weiter verbessern.“ Man dürfe dabei nicht vergessen, dass in vielen Fällen hinter den Bild- und Videoaufnahmen „anhaltende Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs“ stehen. Bausback: „Hier müssen wir alles tun, um schnellstmöglich an die Täter zu kommen und weitere Taten zu unterbinden. Jedes missbrauchte Kind ist eines zu viel.“ Der Justizminister fordert daher, dass verdeckte Ermittler bei Ermittlungsverfahren wegen Kinderpornografie künftig „Keuschheits-Proben“ abgeben dürfen, um ihre Tarnung aufrechtzuerhalten. „So können sie künftig besser in Internet-Tauschbörsen agieren und den Tätern besser das Handwerk legen“, ist Bausback überzeugt. Dabei sollten die verdeckten Ermittler selbstverständlich kein echtes kinderpornografisches Material hochladen, sondern nur echt aussehende, „gefakte“ Bilder. „Denn es ist ganz klar: Unsere Ermittlungsbehörden dürfen keinesfalls dazu beitragen, dass Kinder tatsächlich zu Schaden kommen“, erklärt der Minister.