Europa nach dem Brexit: Reformen sind notwendig. (Bild: Imago/imagebroker/Kurt Amthor)
Merkel

Europa verändern

Einen Tag vor dem EU-Sondergipfel in Brüssel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Asylsystems betont. Zudem will sie den Brexit nutzen, um die gesamte EU-Finanzplanung zu reformieren.

Einen Tag vor dem EU-Sondergipfel in Brüssel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die Forderung nach einer solidarischen Flüchtlingspolitik in Europa bekräftigt. In einer Regierungserklärung im Bundestag hob sie die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Asylsystems hervor und stellte einen Zusammenhang her zwischen der Verteilung der künftigen Haushaltsmittel und der solidarischen Aufnahme von Flüchtlingen.

Flüchtlingsverteilung ohne Chance

„Bei der Neuverteilung der Strukturfond-Mittel müssen wir darauf achten, dass die Verteilungskriterien künftig auch das Engagement vieler Regionen und Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migranten widerspiegeln“, sagte sie. Das europäische Asylsystem müsse „krisenfest und endlich auch solidarisch sein, gerade auch was die faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU angeht“. Dies sei bisher „das bei weitem unbefriedigendste Kapitel der europäischen Flüchtlingspolitik“, sagte sie. „Ich will ein handlungsfähiges, ein solidarisches, ein selbstbewusstes Europa.“

Ich will ein handlungsfähiges, ein solidarisches, ein selbstbewusstes Europa.

Angela Merkel

Große Chancen werden einer Umverteilung der Flüchtlinge allerdings nicht eingeräumt, da nicht nur die osteuropäischen Staaten sich verweigern, sondern auch Frankreich und Österreich kein Interesse daran haben. Die bisher bekannten Pläne zur Reform des EU-Asylsystems lassen eher befürchten, dass der Migrationsdruck auf Deutschland sogar noch verstärkt wird. Nicht mehr Erstaufnahmeländer sollen für Asylverfahren zuständig sein, sondern auch EU-Länder, in denen schon Verwandte von Asylbewerbern leben. Und es würde schon die Behauptung reichen, man habe Verwandte. Auch würde der Familienbegriff erweitert.

Politische Umbrüche

2019 werde ein Jahr mit vielen europapolitischen Umbrüchen, dem Brexit Ende März, den Wahlen zum Europaparlament im Mai und der Etablierung einer neuen EU-Kommission im Herbst. Dafür müssten 2018 die Weichen richtig gestellt werden, betonte sie. Merkel sagte, sie setze auf breite Zustimmung zum Vorschlag des EU-Parlaments, nach dem Brexit 27 der 73 frei werdenden Sitze neu zu verteilen. Zum Thema Spitzenkandidaten verwies sie lediglich darauf, dass die konservative Parteienfamilie EVP, der Merkel angehört, diese Forderung in ihre Statuten aufgenommen habe.

Neben der Flüchtlingspolitik nannte Merkel die wirtschaftspolitischen Herausforderungen gerade durch China und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als Schwerpunkte für die Arbeit der EU. Europa stehe politisch und wirtschaftlich weltweit unter Druck, „europäische Unternehmen sind nicht mehr in allen Bereichen an der Weltspitze“.

Reform der EU-Finanzen nach dem Brexit

Am Freitag will Merkel mit den anderen EU-Staats- und Regierungschefs mit Ausnahme von Großbritannien auch über die EU-Finanzplanung nach dem geplanten Brexit 2020 und die Vorbereitung der Europawahl sprechen. Der Austritt Großbritanniens aus der EU sei auch die Chance, die Finanzen der Union insgesamt auf den Prüfstand zu stellen, so die Kanzlerin. Weniger entwickelte Regionen bräuchten nach wie vor Unterstützung, Solidarität sei aber keine Einbahnstraße. „Es obliegt allen Mitgliedsstaaten, die Verantwortung für das Ganze nie aus dem Blick zu verlieren. Dazu gehört selbstverständlich auch die Wahrung unserer gemeinsamen europäischen Werte.“

Damit wird klar, das die vor zwei Tagen vom kommissarischen Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) gemeinsam mit seinem italienischen Amtskollegen Pier Carlo Padoan vorgestellten EU-Haushaltsplanungen ein wichtiges Ziel der Bundesregierung sind.

Deutsch-Italienische Denkanstöße

Altmaier hatte mit Padoan ein Papier erarbeitet, in dem sie „Denkanstöße für einen Umbau des EU-Haushalts innerhalb des bestehenden finanziellen Spielraums“ geben – hin zu einer stärkeren Förderung nationaler Strukturreformen und europäischer öffentlicher Güter. Die nach dem Brexit knapperen Finanzmittel müssten „mit den Zielen der Europäischen Union in einem wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeld in Einklang“ gebracht werden, heißt es dort. Dies setze den Willen und die Handlungsfähigkeit voraus, den vorrangigen Belangen und Erwartungen der EU-Bürger angemessen Rechnung zu tragen.

Übersetzt heißt das wohl, dass sich die EU finanziell und damit auch organisatorisch auf grenzüberschreitende Kernbereiche konzentrieren soll und nicht mehr um die Krümmung von Gurken oder Bananen – also das, was die CSU seit Jahren fordert. Im Detail werden von den beiden Ministern sieben Bereiche genannt:

  1. Management der EU-Grenzen, also eine funktionierende Sicherung der Außengrenzen
  2. Eine verbesserte Zusammenarbeit im Verteidigungssektor mit Unterstützung eines gemeinsamen europäischen Verteidigungsfonds
  3. Schaffung wirksamer interner und externer Sicherheitskapazitäten
  4. Gemeinsame Investitionsinitiativen
  5. Stärkung der europäischen Bürgerschaft und Identität
  6. Nachhaltiger Klima- und Umweltschutz
  7. Reform der Kohäsionspolitik mit dem Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, der Produktivität und des Wachstumspotenzials insbesondere schwächerer Regionen

Angesichts der aktuellen Herausforderungen wären Deutschland und Italien bereit, so die beiden Minister, bei der Diskussion über die Gesamthöhe der Finanzmittel eine Erhöhung in begrenztem Umfang in Betracht zu ziehen, sofern die sieben genannten Ziele verfolgt würden. Eine solche Konzentration auf wenige Ziele könnte aber sogar zu einer reduzierten Ausgabenlast führen.