Könnte mit seiner radikalen Verweigerungshaltung bald allein dastehen: Noch-SPD-Chef Martin Schulz. (Foto: Imago/Seeliger)
Große Koalition

Stimmungswandel in der SPD?

In der SPD zeichnet sich ein Stimmungswandel hin zu einer Großen Koalition ab. Den unwilligen SPD-Chef Schulz versuchte sogar Bundespräsident Steinmeier zu überreden. Eventuell gibt es eine schwarz-rote Bundesregierung nur ohne Schulz.

Mehrere führende SPD-Politiker haben sich für Gespräche mit der Union zur Bildung einer Großen Koalition ausgesprochen, um Deutschland aus der Regierungskrise zu führen. Die Verantwortung für Deutschland zwinge zu diesem Schritt, so deren Tenor. Gleichzeitig nimmt die Kritik an Parteichef Schulz zu, der weiterhin einen Gang in die Opposition und damit vorgezogene Neuwahlen anstrebt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, früherer SPD-Parteichef und Außenminister in zwei Großen Koalitionen unter Merkel, nahm Schulz am Nachmittag eindringlich ins Gebet und betonte nochmals, er lehne vorzeitige Neuwahlen ab. Ob dies allerdings nachhaltigen Eindruck machte, blieb zunächst offen.

Persönliche Differenzen

Doch auch für den Fall eines Meinungsumschwunges: Ein Regierungsbündnis aus Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Schulz scheint schwierig. So müsste Schulz sich erst einmal bei Merkel für seine Sprüche im Wahlkampf entschuldigen, meint die Bild-Zeitung: So nannte er Merkel „arrogant“, „abgehoben“, und „schwammig“. Merkels Politik- und Wahlkampfstil bezeichnete Schulz als „skandalös“, als „Schlafmützenpolitik“, gar als „einen Anschlag auf die Demokratie“, da Merkel „die Debatte um die Zukunft des Landes“ verweigere. „Du kriegst eher einen Pudding an die Wand genagelt, als eine klare Position von ihr“, attackierte Schulz die Kanzlerin. Angesichts dessen erscheint es nicht verwunderlich, dass Schulz unmittelbar nach Schließung der Wahllokale eine neue Große Koalition kategorisch ausschloss.

Die SPD trägt eine Mitverantwortung für den Staat, die Ausschließeritis hilft nicht weiter.

Johannes Kahrs, Sprecher des „Seeheimer Kreises“ in der SPD

Doch in die SPD kommt Bewegung. So meinte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im ZDF: „Wir werden, wenn überhaupt nichts anderes geht, auch noch mal über eine Große Koalition nachdenken müssen.“ Ein Widerspruch zu Parteichef Schulz und dessen Verweigerungshaltung. Inhaltlich werde es aber schwierig – auch angesichts der „ausgelaugten“ Großen Koalition der vergangenen Periode. „Ich bin da sehr skeptisch, weil wir da keine Gemeinsamkeiten bei der CDU mehr hatten“, so Lauterbach.

Zahlreiche SPD-Stimmen für neue große Koalition

Ziemlich deutlich gegen Schulz stellte sich Johannes Kahrs. „Die SPD muss ihren bisherigen Kurs überdenken“, forderte der Sprecher des oft als „konservativ“ apostrophierten „Seeheimer Kreises“ der SPD. Zwar sei die Entscheidung kurz nach der Wahl, sich allen Gesprächen zu verweigern, richtig gewesen. „Aber jetzt haben wir eine neue Lage“, so Kahrs in der Rheinischen Post. „Die SPD trägt eine Mitverantwortung für den Staat, die Ausschließeritis hilft sicher nicht weiter.“ Eine vorzeitige Auflösung des Bundestags und Neuwahlen nannte Kahrs „eine Bankrotterklärung aller demokratischen Parteien“.

Wenn man Projekte umsetzen will, muss man regieren.

Stefan Zierke, Sprecher der ostdeutschen SPD-Abgeordneten

Ähnlich argumentierte der Sprecher der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, Stefan Zierke. „Wenn man Projekte umsetzen will, wenn man Sozialdemokratie in Deutschland wirklich voranbringen möchte, muss man regieren“, sagte er im RBB. Seit dem Aus für Jamaika am Sonntagabend sei „die Uhr zurückgestellt“, die SPD müsse neu nachdenken. Letztlich müsse die Parteibasis entscheiden – doch diese sei eher gegen Neuwahlen, so Zierke. Auch der Schatzmeister der Brandenburger SPD, Harald Sempf, forderte von der Bundes-SPD Sondierungsgespräche mit der CDU. „Ich bin schon der Meinung, dass man sich vor der Verantwortung nicht drücken darf“, sagte Sempf. „Es geht schlicht nicht anders.“

SPD hat alle Pläne durchgesetzt

In der vergangenen Legislaturperiode konnte die SPD – aufgrund des Koalitionsvertrages von 2013 – nach Einschätzung von Beobachtern bereits die allermeisten ihrer alten Forderungen durchsetzen: die Frührente mit 63, die letztlich den Fachkräftemangel verschärfte, den Mindestlohn, laut Wirtschaft ein „Bürokratiemonster“ mit viel zu umfassenden Dokumentationspflichten, die Frauenquote in Aufsichtsräten. Vom damaligen SPD-Wunschzettel blieb nichts mehr übrig, alles wurde umgesetzt.

Unser Ziel ist, dass die Wähler das Wort haben.

Martin Schulz, SPD-Chef, am Montag

Dennoch goutierten die Wähler dies bei der Bundestagswahl nicht, sondern schickten die SPD mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1949 nach Hause. Jetzt erwarten Beobachter, dass die SPD im Fall von Gesprächen mit der Union erneut viele linke Umverteilungspläne vorlegen könnte: Von einer Euro-Schuldenunion über staatliche Mindestrenten bis zur Zentralisierung der Bildungspolitik, die die Autonomie der Länder weiter schwächen und die Bildungsstandards wie in SPD-Ländern senken könnte.

Schulz steht mit Neuwahl-Plänen allein da

Selbst diejenigen in der SPD-Führung, die Schulz‘ Verweigerungskurs decken, widersprechen ihm in der Konsequenz: So sprachen sich Fraktionschefin Andrea Nahles, Hessens Landesvorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel und Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein zwar weiter gegen eine Große Koalition aus, lehnten aber Neuwahlen ab – wohl auch aus Angst, die SPD könnte vom Wähler für ihre Verweigerung bestraft werden und nochmals mehr verlieren. Stattdessen befürworten sie eine Minderheitsregierung der Union, die die SPD dann tolerieren oder punktuell unterstützen könnte.

Dagegen hatte Schulz eine Minderheitsregierung als „nicht praktikabel“ bezeichnet. „Unser Ziel ist, dass die Wähler das Wort haben“, erklärte er nach einer Vorstandssitzung am Montag, bei der die Führung sich noch einmütig gegen alle Gespräche mit der Union ausgesprochen hatte. Eventuell, so meinen Beobachter, ist eine große Koalition aber nur ohne Schulz an der Spitze der SPD zu haben. Der muss sich Mitte Dezember einem Parteitag stellen. Dort könnte es spannend werden.