Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat jetzt bei einem Besuch in der Stasiopfer-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen gemahnt, das DDR-Unrecht nicht zu vergessen. Der Bund werde sich weiter engagieren, um die Erinnerung an solche Orte wie Hohenschönhausen offen zu halten, sagte Merkel kurz vor dem 56. Jahrestag des Mauerbaus: „Wir können nur eine gute Zukunft gestalten, wenn wir uns der Vergangenheit annehmen.“
Wir können nur eine gute Zukunft gestalten, wenn wir uns der Vergangenheit annehmen.
Angela Merkel
Mit Blick auf den Mauerbau am 13. August 1961 sagte die Kanzlerin, es sei wichtig, sich kraftvoll für Demokratie und Freiheit einzusetzen sowie gegen Linksradikalismus zu arbeiten. Merkel legte zusammen mit dem früheren Häftling Arno Drefke am Gedenkstein für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft einen Kranz nieder.
In dem berüchtigten Gefängnis des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit waren von 1951 bis 1989 mehr als 11.000 Menschen eingesperrt, darunter auch Oppositionelle wie Bärbel Bohley, Jürgen Fuchs oder Freya Klier.
Die innerdeutsche Grenze
Die innerdeutsche Grenze außerhalb Berlins war 1400 Kilometer lang, knapp 400 davon durch Bayern. Auch hier starben und verletzten sich hunderte Menschen, die die DDR verlassen wollten. Die DDR-Begründung für alle Grenzsperranlagen war der Schutz vor „westlichem Imperialismus“. Niemand fragte laut, warum sich denn dann die Selbstschussanlagen und Minen gen Osten richteten.
Hier drei eher unbekannte Fakten über die innerdeutsche Grenze.
- Es gab Zeiten, an denen war die innerdeutsche Grenze durchlässiger. Bei Gewitter wurden die Selbstschussanlagen und der elektrische Zaun abgestellt, da sonst zu viele Fehlzündungen ausgelöst worden wären, berichtete die Zeitung Die Welt. Diese Lücke in der Grenzsicherung war jedoch landläufig nicht bekannt und wurde von Flüchtigen daher nie bewusst genutzt.
- Bis heute liegen womöglich noch mehr als 33.000 Landminen im früheren Todesstreifen der deutsch-deutschen Grenze – zumindest fehlen für sie die Räumprotokolle. Alle Sprengfallen zu räumen, ist oft aufgrund der Landschaftsbeschaffenheit unmöglich, insbesondere in Ober- und Unterfranken. Viele Minen wurden bei Hochwassern unauffindbar weggeschwemmt. Seit 27 Jahren wurde dennoch niemand mehr durch Minen verletzt.
- Das jüngste ermittelte Todesopfer ist laut MDR ein im Juli 1977 im Kofferraum eines Fluchtfahrzeugs erstickter sechs Monate alter Säugling. Das älteste Todesopfer an der innerdeutschen Grenze war ein 81-jähriger Bauer aus dem niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg. Landminen rissen ihm beide Beine ab, als er im Juni 1967 irrtümlich in ein Minenfeld geriet, vermutlich auf der Suche nach Kühen. Mehr als drei Stunden dauerte sein Todeskampf. Ein DDR-Regimentsarzt musste zusehen, wie der Mann verblutete, weil er sich nicht in den verminten Grenzstreifen wagte.
Vom Todesstreifen zum Grünen Band
Das Grüne Band ist heute Mahnmal und Naturerbe zugleich und der größte Biotopverbund Deutschlands. Die unmenschliche Grenze gab der Natur Zeit, sich zu regenerieren. Es geht rund 12.500 Kilometer quer durch ganz Europa vom Eismeer in Norwegen bis zum Schwarzen Meer bei Bulgarien, ist allerdings nicht überall so geschützt wie in Deutschland.
Die Zahl der DDR-Opfer
Die Zahl der Opfer der DDR ist bis heute nicht vollständig klar. Ansgar Borbe kam 2010 in seinem Buch „Die Zahl der Opfer des SED-Regimes“ (Landeszentrale für politische Bildung Thüringen) in 40 Jahren Diktatur auf mindestens 3,5 bis maximal 5,8 Millionen Opfer mit mindestens 1722 bis maximal 54.523 Toten sowie mindestens 42.700 bis maximal 343.000 körperlich-psychisch Versehrten – je nach Opfereinteilung. Er rechnet dabei nicht nur die „Republikflucht“-Fälle an der Grenze sowie die hunderttausenden Inhaftierten (inklusive Folter, Gewalt, Drohungen und sonstigen Erlebnissen im Gefängnis) ein, sondern auch die Opfer politischer Morde, die Umgesiedelten, die Ausgewiesenen, die Entführten und Verschleppten, die „unsozialistischen“ Müttern gestohlenen und zwangsadoptierten Kinder, die zur Scheidung gedrängten Häftlingsehefrauen, die in die Psychiatrie Zwangseingewiesenen, die zwangsweise in einem Kinder- oder Jugendheim Untergebrachten, die Zwangsarbeiter (lesen Sie hier: Bei-minus-60-Grad-in-der-Hölle), die Dopingopfer, die Enteigneten, die materiell und immateriell Geschädigten, die Drangsalierten („Zersetzungsmaßnahmen“), die vorsätzlich in Beruf und Bildung Benachteiligten, die Bespitzelten und die legal Ausgereisten dazu.
Die unbefriedigende Strafverfolgung
Schwer zu ertragen sind die Zahlen der Strafverfolger: Gegen mehr als 100.000 Personen wurden wegen DDR-Unrechts Ermittlungen angestrengt, etwa 70 Prozent wegen Rechtsbeugung. Nur gegen rund 1700 Personen wurde Anklage erhoben oder ein Strafbefehl gestellt. 24 Prozent davon wurden freigesprochen. Von den Abgeurteilten wurden 24 Prozent wegen Rechtsbeugung und 37 Prozent wegen Gewalttaten an der Grenze verurteilt. Gegen Grenzsoldaten wurden wegen vorsätzlichen Tötungen fast nur Bewährungsstrafen verhängt. Für 40 Jahre kommunistischer Diktatur wurden am Ende gerade einmal 46 Haftstrafen ohne Bewährung verhängt, keine davon länger als 10 Jahre. Vom obersten SED-Zirkel wurden nur wenige verurteilt, darunter Stasi-Chef Erich Mielke – der aber nur wegen eines in der Weimarer Republik verübten Polizistenmordes. Der Prozess gegen Staatschef Erich Honecker ab 1992 wurde wegen dessen zu erwartender Verhandlungsunfähigkeit aufgrund seines Leberkrebses Anfang 1993 eingestellt. Ihm wurde die Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit gewährt, die er Millionen DDR-Bürgern versagt hatte. Eine Strafe jedoch erhielt er: Den Untergang der DDR. Honecker starb im Mai 1994. Das letzte Verfahren wegen DDR-Unrecht wurde 2005 beendet. (Heha/avd)