Die Scheinheiligen
Das Bundeskabinett hat Änderungen im bestehenden Maut-Gesetz beschlossen. Deutsche Autofahrer mit besonders abgasarmen Wagen profitieren dadurch stärker von steuerlichen Entlastungen. Das passt den Nachbarländern nicht, allen voran Österreich. Alexander Dobrindt nennt die Maut dagegen "fair, sinnvoll und gerecht".
Pkw-Maut

Die Scheinheiligen

Das Bundeskabinett hat Änderungen im bestehenden Maut-Gesetz beschlossen. Deutsche Autofahrer mit besonders abgasarmen Wagen profitieren dadurch stärker von steuerlichen Entlastungen. Das passt den Nachbarländern nicht, allen voran Österreich. Alexander Dobrindt nennt die Maut dagegen "fair, sinnvoll und gerecht".

Insgesamt zwölf Länder koordinieren derzeit ihre Reaktionen auf die Pkw-Maut, für die die EU-Kommission im vergangenen Jahr grünes Licht erteilte. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und die zuständige Kommissarin Violeta Bulc hatten sich im Dezember 2016 auf einen Kompromiss geeinigt. Er beinhaltete unter anderem eine neue Ausgestaltung der Kurzzeittarife für Fahrer aus dem Ausland und höhere Entlastungen für Fahrer umweltschonender Fahrzeuge in Deutschland. Um die Pkw-Maut voranzubringen, hat das Kabinett jetzt mehrere Änderungen im bestehenden Maut-Gesetz beschlossen.

Für inländische Autofahrer gibt es keine Mehrbelastungen. Wer ein besonders umweltfreundliches Euro-6-Fahrzeug fährt, zahlt unterm Strich sogar weniger als bisher.

Alexander Dobrindt, Bundesverkehrsminister

„Keiner zahlt doppelt“

Verkehrsminister Alexander Dobrindt sieht in der Einigung den Systemwechsel von der Steuer- zur Nutzerfinanzierung. Bislang seien die Einnahmen der Steuer in den allgemeinen Haushalt eingeflossen, nun stünden die Einnahmen der Maut direkt für Infrastrukturprojekte zur Verfügung. Das Ministerium erwartet nach Abzug der Kosten, dass 524 Millionen Euro pro Jahr zweckgebunden für Straßen-Investitionen hereinkommen.

Wir schaffen damit auch mehr Gerechtigkeit auf unseren Straßen, weil grundsätzlich gilt: Wer nutzt, der zahlt – aber keiner zahlt doppelt.

Alexander Dobrindt, Verkehrsminister

Doch vor allem aus Österreich kommt Protest. Der österreichische Verkehrsminister Jörg Leichtfried hat den zwischen Berlin und Brüssel erzielten Kompromiss bereits im Januar in einem Brief an EU-Kommissarin Violeta Bulc als „inakzeptabel“ bezeichnet, wie die Welt schreibt. Da die deutsche Pkw-Maut weiterhin nur ausländische Autofahrer treffen würde, verstoße sie nach wie vor gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zudem verletzte sie die sogenannte „Stand-still-Verpflichtung“, welche die Schlechterstellung ausländischer Verkehrsunternehmen verbietet.

Die deutsche Maut ist und bleibt rechtswidrig.

Jörg Leichtfried, österreichischer Verkehrsminister

Dass Brüssel die Vorwürfe seines Briefes zurückwies, beeindruckte ihn nicht. Im Gegenteil: er suchte sich Verbündete in Tschechien und in den Beneluxländern. „Das Modell, das die CSU möchte, ist eine Ausländermaut, wo am Ende, wenn alles abgerechnet ist, Ausländer zahlen. Und das ist diskriminierend und widerspricht dem europäischen Geist und dem europäischen Regelwerk“, sagte er am 25. Januar bei einem Treffen von Maut-Gegnern im Europaparlament in Brüssel. Gemeinsam mit Vertretern aus den Anrainerstaaten der Bundesrepublik sowie aus Slowenien, Ungarn und Großbritannien will Leichtfried ausloten, wie weit die Länder gehen wollen. Als letzter Schritt sei eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) denkbar.

Ärger mit der EU-Kommission

Dobrindt hofft, dass „auf der österreichischen Seite Vernunft einkehrt und die Maut-Maulerei ein Ende hat“. Man sei mit den österreichischen Kollegen im Gespräch, laut Tagesschau. Leichtfried besänftigte, dass das Verhältnis zu Dobrindt insgesamt „sehr gut“ sei, der Konflikt um die Maut bedeute keine Gefahr für die ausgezeichneten deutsch-österreichischen Beziehungen. Seine Kritik richte sich in erster Linie an die EU-Kommission.

Juristisch ist die Lage aber nicht so klar, wie Leichtfried sie schildert. Schließlich zahlen auch die Deutschen die Maut und das für das ganze Jahr. Eine Kurzzeitvignette können sie nicht kaufen. Dass die Kfz-Steuer gesenkt wird, spielt dabei nicht zwingend eine Rolle. Allerdings gilt die alte Regel: Zwei Juristen, zehn Meinungen. Wie es vor Gericht ausgeht, ist daher nicht letztgültig zu sagen.

Entlastungen für Euro-6-Fahrzeuge

Als Ausgleich für Maut-Zahlungen soll in Deutschland die Kfz-Steuer für umweltfreundliche Euro-6-Fahrzeuge um jährlich 100 Millionen Euro zusätzlich im Vergleich zu den bisherigen Plänen gesenkt werden. Der Entwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht dafür in den ersten beiden Jahren nach dem Start der Maut einen Aufschlag bei der generellen Kfz-Steuer-Senkung vor, die alle inländischen Autobesitzer mindestens in Höhe ihrer Maut bekommen sollen. Ab dem dritten Jahr soll dieser Aufschlag gesenkt werden.

Als zweite Änderung beschloss das Kabinett eine stärkere Spreizung der Kurzzeittarife, die nur Fahrer aus dem Ausland kaufen können. So soll eine Zehn-Tages-Maut sechs Preisstufen von 2,50 Euro bis 25 Euro bekommen, bisher sind es drei Stufen von fünf, zehn und 15 Euro. Die neuen Regelungen müssen noch durch Bundestag und Bundesrat. Den konkreten Start der Maut erwartet Dobrindt mittlerweile für 2019.

Kritik aus den Grenzregionen

Änderungswünsche an den Plänen kommen aber nicht nur aus dem Ausland. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner dringt auf Sonderregeln für Grenzregionen bei der Pkw-Maut. Die geplante Pkw-Maut sei eine Gefahr für den kleinen Grenzverkehr, gab sie zu bedenken.

Entlang der Grenzen müssen Autofahrer mautfrei unterwegs sein können.

Julia Klöckner, stellvertretende CDU-Vorsitzende

Dieser sei für beide Seiten der Grenze ein wichtiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktor. Klöckner nannte die Region Trier als Beispiel. Dort reisten Unternehmer, Arbeitnehmer und Touristen zwischen Luxemburg und Deutschland hin und her. Ähnlich hatten sich zuvor schon Vertreter Schleswig-Holsteins und des Saarlandes geäußert. Der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt die Abgabe ab. Er forderte, dass erst der neue Bundestag nach der Wahl im September darüber entscheidet. Die Bundesregierung zwinge Besucher aus dem Ausland, „vor einem Einkaufsbummel bei uns eine Eintrittskarte zu kaufen“, kritisierte Wissing. Der Einzelhandel erwirtschafte in Trier rund 10 bis 15 Prozent seines Umsatzes mit Kunden aus Luxemburg, 2011 seien das 165 Millionen Euro gewesen.

Maut in Europa

Die deutschen Maut-Pläne sorgen zwar in vielen Ländern für Widerstand. Dabei erheben auch einige der Gegner Gebühren für die Straßennutzung. In Österreich ist für Autobahnen und Schnellstraßen eine Vignette nötig. Sie kostet für zehn Tage 8,80 Euro, für ein Jahr 85,70 Euro. Leichtfried verwies jedoch darauf, dass in Österreich Inländer genauso wie Ausländer die dortige Pkw-Maut zahlten. Die Österreicher würden aber nicht über Steuersenkungen entlastet: „Das ist der Unterschied, denn in Deutschland sollen nur die Ausländer zahlen“, sagte er der Passauer Neuen Presse.

Das war nicht ganz die Wahrheit: Dass ausgerechnet Österreich sich so aufregt, ist nämlich eine ziemliche Dreistigkeit. Bei der Einführung der Vignette in Österreich 1997 gab es laut dem österreichischen Juristen Bernhard Müller ebenfalls eine Kompensation für Einheimische – im Falle Österreichs aber nicht über die Kfz-Steuer, sondern über die deutliche Anhebung der Pendlerpauschale. Außerdem stand jedem Arbeitnehmer in Österreich zusätzlich ein sogenannter „Verkehrsabsetzbetrag“ zu, und für „Sondermautstrecken“, wie etwa den Arlbergtunnel, gab (und gibt) es weitere Vergünstigungen für Österreicher.

Auch in Tschechien müssen Autofahrer auf allen Autobahnen und Schnellstraßen Maut zahlen. Zehn Tage kosten 11,5 Euro, ein Jahr etwa 55 Euro. In Ungarn liegen die Kosten für zehn Tage bei knapp zehn Euro, ein Jahr kostet knapp 140 Euro. In Polen sind die Autobahnen A1, A2 und A4 streckenweise gebührenpflichtig. Auch in Frankreich müssen Urlauber auf Autobahnen zahlen. Die Gebühr hängt von der gefahrenen Distanz ab.

Wer überquert zahlt

Keine Maut gibt es hingegen in Dänemark. Wer aber mit dem Auto die mehr als 13 Kilometer lange Storebaelt-Brücke überqueren will, zahlt 34 Euro. Die Benutzung der Öresund-Brücke zwischen Kopenhagen und Malmö (Schweden) kostet 48 Euro. So ist auch in den Niederlanden die Nutzung einzelner Brücken und Tunnel gebührenpflichtig.

Die Wahrheit für die Proteste aus diesen Ländern dürfte daher woanders liegen: Bisher haben all diese Länder das zentrale Transitland Europas – Deutschland – kostenfrei durchquert. Das wollen sie natürlich beibehalten.

Worauf müssen sich Autofahrer bei der Pkw-Maut einstellen?

Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, soll es keine finanziellen Mehrbelastungen geben. Die Fahrzeughalter bekommen zusätzlich zum Steuerbescheid einen Bescheid über die Mautgebühr, der lediglich verrechnet wird. Insgesamt bleibt der Preis aber gleich oder reduziert sich sogar für besonders saubere Autos.

Straßennetz: Inländer sollen für das knapp 13.000 Kilometer lange Autobahnnetz und das 39.000 Kilometer lange Netz der Bundesstraßen Maut zahlen. Pkw-Fahrer aus dem Ausland nur auf den Autobahnen.

Mautpreise für Inländer: Alle inländischen Autobesitzer müssen eine Jahresmaut zahlen, die vom Konto abgebucht wird. Sie richtet sich nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Autos. Im Schnitt kostet sie 67 Euro, maximal 130 Euro. Benziner sind günstiger als Diesel.

Mautpreise für Autofahrer aus dem Ausland: Für Ausländer gibt es neben der genauso berechneten Jahresmaut auch zwei mögliche Kurzzeittarife: Eine Zehn-Tages-Maut für 2,50, 4, 8, 14, 20 oder 25 Euro sowie eine Zwei-Monats-Maut für 7, 11, 18, 30, 40 oder 50 Euro.

Ausgleich für Inländer: Inländer sollen für Mautzahlungen durch eine geringere Kfz-Steuer entlastet werden – mindestens auf den Cent genau. Bei besonders sauberen Autos (Euro 6) soll die Steuer sogar stärker sinken als der Mautbetrag.

Besondere Fahrzeuge: Mautpflichtig sind auch Wohnmobile. Motorräder, Elektroautos, Wagen von Behinderten und Krankenwagen sind mautfrei.

Kontrollen: Statt an Klebe-Vignetten sollen Mautzahler über das Nummernschild ihres Autos zu erkennen sein. Kontrolliert werden soll dies in Stichproben durch einen elektronischen Kennzeichen-Abgleich. Daten sollen nur hierfür erfasst und schnell wieder gelöscht werden.

Strafen: Wer keine Maut zahlt und erwischt wird, muss eine Geldbuße zahlen. Genaue Summen sind noch nicht festgelegt. Geldbußen sollen auch im Ausland eingetrieben werden.

Rückzahlungen: Inländer, die nachweisen wollen und können, dass sie in einem Jahr nicht auf Autobahnen und Bundesstraßen gefahren sind, können die Maut zurückfordern. Nachweis könnte ein Fahrtenbuch sein.

(dpa/PNP/welt/Tagesschau/AS/avd)