Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgericht im NPD-Verbotsverfahren. (Bild: Imago/Gutschalk)
Urteil

NPD-Verbot gescheitert

Die NPD wird nicht verboten - so lautet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Damit müssen die Bundesländer eine Niederlage vor Gericht hinnehmen. Aus der CSU kommt Kritik an der Entscheidung - Parteichef Horst Seehofer nennt das Urteil "bedauerlich".

Niederlage für die Bundesländer: Ihr Versuch, die rechtsextreme NPD aus der Parteienlandschaft zu verbannen und verbieten zu lassen, ist gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht wies den Verbotsantrag des Bundesrates ab – wegen der geringen Durchsetzungskraft der Partei. Die rechtsextreme Partei sei zwar verfassungsfeindlich, aber zu schwach, um sie zu verbieten.

Nicht relevant genug für ein Verbot?

In ihrem knapp 300 Seiten langen Urteil stellen die Karlsruher Richter zwar fest, dass die NPD verfassungsfeindlich sei und wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus. „Es fehlt aber derzeit an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Die 1964 gegründete NPD hat bundesweit etwa 5200 Mitglieder. Im September 2016 verloren die Rechtsextremen bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern ihre letzten Landtagsmandate.

Es fehlt derzeit an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt.

Aus der Urteilsbegründung

Die Richter halten es derzeit für ausgeschlossen, dass die NPD durch Wahlen, ihre „Kümmerer-Strategie“ vor Ort oder durch Druck und ein Klima der Angst ihre Ziele erreicht. Eine Grundtendenz, dafür mit Gewalt oder Straftaten zu kämpfen, stellten die Richter ebenfalls nicht fest.

Der Senat stellte den Rechtsextremen aber keinen Persilschein aus. „Das politische Konzept der NPD ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet“, heißt es in dem Urteil. Die Idee der deutschen „Volksgemeinschaft“, die Menschen anderer Religion oder mit ausländischen Wurzeln ausgrenze, verletze die Menschenwürde. Dies und die antisemitische Grundhaltung lasse „deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen“.

„Parteiverbot ist kein Gesinnungsverbot“

„Das Ergebnis des Verfahrens mag der eine oder andere als irritierend empfinden“, sagte der Vorsitzende des zuständigen Zweiten Senats weiter.

Ein Parteiverbot sei jedoch „kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsgebot“. Voßkuhle wies ausdrücklich auf „andere Reaktionsmöglichkeiten“ hin – etwa den Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung. Dies habe aber nicht das Verfassungsgericht zu entscheiden, sondern der verfassungsändernde Gesetzgeber. Sollte die NPD in der Zukunft erstarken, bleibe es der Politik außerdem unbenommen, erneut ein Parteiverbot zu beantragen. Für solche Verfahren entwickelten die Richter in ihrem umfangreichen Urteil zeitgemäße Maßstäbe. Sie hatten erstmals seit mehr als sechs Jahrzehnten wieder über ein Parteiverbot zu entscheiden. Passiert ist das überhaupt erst zweimal. 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten, 1956 traf es die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

Heute ist ein tragischer Tag für die wehrhafte Demokratie. (…) Eine empörende und erschreckend realitätsferne Entscheidung.

Das internationale Auschwitz-Komitee

Es ist das zweite Mal, dass ein NPD-Verbotsantrag vor Gericht scheitert. 2003 war der Verbotsantrag unter anderem an der Präsenz von V-Leuten des Verfassungsschutzes in den Reihen der Rechtsextremen gescheitert.

Seehofer spricht von „bedauerlichem“ Urteil

Während viele Politiker wie üblich ihren Respekt vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts bekunden, kommen gerade aus den Reihen der CSU deutliche Töne der Kritik. Parteichef Horst Seehofer etwa sprach von einem „bedauerlichen Urteil“. Ungeachtet der Tatsache, dass die NPD in keinem Landtag mehr vertreten sei, stelle sie als Partei mit ihren verfassungsfeindlichen und rechtsradikalen Bestrebungen eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung dar.

„Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass das politische Konzept der NPD auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet ist. Das ist erfreulich“, stellte Bayerns Ministerpräsident klar. Die Staatsregierung werde nicht nachlassen, „diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterhalb eines Parteiverbots mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen“.

Ausschluss aus Parteienfinanzierung?

Gleichwohl wertete Seehofer das Verbotsverfahren an sich als Erfolg, weil dadurch die verfassungsfeindlichen und rechtsradikalen Bestrebungen der NPD deutlich der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden konnten. Auch das habe dazu beigetragen, die NPD wirksam zu bekämpfen, betonte der CSU-Vorsitzende.

Nach dem gescheiterten Verbotsverfahren forderte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) den schnellen Ausschluss der Partei aus dem Parteienfinanzierungssystem. „Deshalb muss im Bundestag jetzt schnell eine Prüfung stattfinden, wie gegebenenfalls auch mit einer Änderung des Grundgesetzes und des Parteienfinanzierungsgesetzes die Möglichkeiten dazu geschaffen werden können“, sagte er am Dienstag im Anschluss an die Verkündung des Urteils in Karlsruhe der Deutschen Presse-Agentur. Es könne nicht sein, dass eine ganz eindeutig verfassungsfeindliche Partei, weiterhin Steuergelder kassieren dürfe.

Eine gefestigte Demokratie lebt von der freien Auseinandersetzung unterschiedlicher Positionen.

Hans-Peter Uhl, MdB

Der Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), erinnerte daran: „Es galt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit wesentlich strengeren Voraussetzungen für Parteiverbotes zu berücksichtigen. Eine Partei muss demnach eine echte Chance auf politische Macht haben und ein Parteiverbot zum Schutz der demokratischen Ordnung zwingend erforderlich sein.“ Eine gefestigte Demokratie lebe von der „freien Auseinandersetzung“ unterschiedlicher Positionen. „Sie muss sich auch einen gewissen Bodensatz extremistischer und nationalistischer Gedanken leisten können. Parteienverbote haben da keinen Platz, denn sie haben den Beigeschmack einer Bevormundung des Wählers“, so Uhl. „Fehlende Wahlerfolge belegen, dass die NPD dauerhaft keinen Einfluss auf die politische Willensbildung hat. Ich habe genug Vertrauen in unsere wehrhafte Demokratie, dass sie es mit einer Partei wie der NPD problemlos aufnehmen kann“, so der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Michael Frieser.

Kreuzer: Karlsruher Argumentation ist „gefährlich“

Der Fraktionschef der CSU im Bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, fand deutliche Worte für das Urteil. „Ich halte es für einen vollkommenen Trugschluss, zu sagen, wir lassen Radikale so lang gewähren und in Parteien arbeiten, bis sie eine gewisse Relevanz haben und es im Bereich des Möglichen liegt, dass sie ihre Ziele erreichen“, sagte Kreuzer am Rande der CSU-Fraktionsklausur im oberfränkischen Kloster Banz. „Dies ist ein Spiel mit dem Feuer.“ Und das stehe so auch nicht im Grundgesetz, betonte der Jurist. Dort werde nur auf die Verfassungswidrigkeit einer Partei abgestellt.

Kreuzer nannte die Karlsruher Argumentation „gefährlich“. „Weil es ist dann leicht möglich, dass Sie den entscheidenden Zeitpunkt, so etwas zu verbieten, verpassen, und dass radikale Kräfte dann am Ende, dann vielleicht für manchen in Karlsruhe überraschenderweise, die demokratische Grundordnung beseitigen.“

Mann muss gegen Radikale vorbeugend vorgehen, wenn sie den Staat beseitigen wollen.

Thomas Kreuzer, CSU-Landtagsfraktionschef

Wenn eine solche Partei erst einmal ihre Ziele erreicht habe, „dann gibt es sowieso kein Parteienverbot mehr“. Deshalb sollte dies im Vorfeld möglich sein. „Man muss gegen Radikale vorbeugend vorgehen, wenn sie den Staat beseitigen wollen“, sagte Kreuzer. Man dürfe bei Radikalen nicht warten, „bis sie politische Relevanz erlangen“, sondern man müsse verfassungsfeindliche Kräfte von vorneherein daran hindern, Versuche zu unternehmen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen, stellte der Fraktionschef klar.

Alles fängt klein an

Der Blick in die Historie gibt Kreuzer recht: Auch die 1920 aus der DAP hervorgegangene NSDAP fing einmal klein an. Sie tauchte erst im Mai 1924 erstmals mit 6,6 Prozent bei Reichstagswahlen auf, es folgten im Dezember 1924 nur noch 3,0 Prozent, Im Mai 1928 gar nur 2,6 Prozent. Doch im Spetember 1930 erstarkte sie auf 18,6 Prozent, danach folgten nur noch Ergebnisse über der 30 Prozent-Marke. Trotz ihrer geringen Bedeutung in den 1920er Jahren erließen einige Länder des Deutschen Reiches NSDAP-Verbote bereits 1922: Baden am 4. Juli, Thüringen am 15. Juli, Braunschweig am 13. September, Hamburg am 18. Oktober, Preußen am 11. November und Mecklenburg-Schwerin am 30. November 1922. Am 9. November 1923 putschte unerwartet Hitlers Partei in München, auch wenn sie kläglich dabei scheiterte. Keine zehn Jahre später war sie jedoch an der Macht, am 30. Januar 1933.

Auch Markus Ulbig (CDU), Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Länder und Innenminister in Sachsen, kritisierte: „Das ist nicht das von den Ländern erhoffte Ergebnis. Der Antrag auf ein Parteiverbot war mit der ganz ausdrücklichen Hoffnung verbunden, ein deutliches Zeichen zu setzen und der Atmosphäre der Angst, die von der NPD in einigen Regionen Deutschlands verbreitet wird, den Nährboden zu entziehen.“

Das internationale Auschwitz-Komitee ließ verlautbaren: „Heute ist ein tragischer Tag für die wehrhafte Demokratie. (…) Eine empörende und erschreckend realitätsferne Entscheidung.“

Bestürzung bei der jüdischen Gemeinde

Bei den Vertretern der jüdischen Gemeinden in Deutschland löste das Urteil Bestürzung aus. Die Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sagte, sie bedauere die Entscheidung. „Obwohl ich die juristische Argumentation, es liege keine konkrete Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor, nachvollziehen kann, wäre das Verbot einer offensichtlich rechtsextremen Partei wichtig für die politische Hygiene in unserem Land gewesen“, sagte Knobloch. Die NPD sei eine Kernorganisation des Rechtsextremismus in Deutschland, unterstütze rechte Gewalt und basiere auf der Verherrlichung des Nationalsozialismus.

Nun habe das höchste deutsche Gericht entschieden, „dass der Schutz einer Partei nicht dort endet, wo der Schutz für die Menschen anfängt, gegen die diese Partei agitiert“, sagte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Deutschland und vor dem Hintergrund des erstarkenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sei sie sehr besorgt, betonte Knobloch.