Herrmann bekräftigt Obergrenze: Ein Flüchtling blickt auf sein Mobiltelefon am Grenzübergang Salzburg - Freilassing. (Bild: Imago/Eibner Europa)
Verfassungsschutz

Abschiebung auch in Krisengebiete

Gewalt und Konfrontation nimmt in allen extremistischen Bereichen zu. Deshalb soll der Verfassungsschutz in Bayern gestärkt werden. Mit mehr Personal und schärferen Gesetzen. Zudem will Innenminister Joachim Herrmann ausländische Straftäter auch in Krisengebiete schneller abschieben.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann setzt auf einen starken Verfassungsschutz: „Für eine effektive Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus ist der Verfassungsschutz unverzichtbar“, betonte er bei der Vorstellung der Halbjahresinformationen des Verfassungsschutzes 2016. Das erste islamistische Selbstmordattentat in Ansbach und die grausame Axttat in Würzburg vom 18. Juli 2016 zeigten die reale Bedrohung Deutschlands durch den internationalen islamistischen Terrorismus. „Wir müssen mit Anschlägen durch sogenannte einsame Wölfe, die sich durch das Internet selbst radikalisieren, wie auch gesteuerte und planmäßig agierende Terrorzellen rechnen“, so der Innenminister.

Die Anschläge in Paris und Brüssel zeigen, dass der IS auch die Flüchtlingsroute nutzt, um Anschläge durchzuführen. Und radikale Islamisten kennen bei der Wahl ihrer Opfer keine Tabus mehr. Sie versuchen unsere Freiheit zu zerstören.

Joachim Herrmann, bayerischer Innenminister

Gefahr: Radikalisierung von Kindern

Aktuell sind aus Bayern über 90 Personen in Richtung Syrien und Irak ausgereist (August 2015: 65) oder beabsichtigen dies, bundesweit mehr als 840 Islamisten (August 2015: 720) nehmen dort an Kampfhandlungen teil oder unterstützen diese. Bislang starben vermutlich etwa 140 Islamisten im Jihadgebiet, acht davon aus Bayern. Als beunruhigend bezeichnete Herrmann die gezielte Instrumentalisierung und Radikalisierung Minderjähriger. Sie seien wegen ihrer noch ungefestigten Persönlichkeitsstruktur bevorzugtes Ziel von radikalen Salafisten. Immer mehr von ihnen begehen auch gewalttätige Aktionen. Beispiele sind den Vorfall in Hannover, wo eine 15-Jährige mit einem Messerangriff im Februar 2016 einen Bundespolizisten schwer verletzte oder der Axttäter von Würzburg.

Die Ausreisedynamik in die Kriegs- und Krisengebiete in Nahost hat sich nach den Angaben des Bayerischen Innenministers zwar etwas verlangsamt, jedoch sei die Lage weiterhin sehr ernst.

Ein unkalkulierbares Risiko und besondere Gefahr für die Innere Sicherheit stellen vor allem die Rückkehrer aus Syrien und Irak dar.

Joachim Herrmann, bayerischer Innenminister

Telefonate im Fokus

Deshalb will Bayern die Gesetze verschärfen. So ist für die Entschlüsselung einer chiffrierten Kommunikation über das Internet eine neue Rechtsgrundlage nötig, die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Das neue Bayerische Verfassungsschutzgesetz, das am 1. August 2016 in Kraft tritt, stelle einen wichtigen Schritt dar. Nach Einbindung der G10-Kommission des Bayerischen Landtags kann der Verfassungsschutz Telefonate vor ihrer Verschlüsselung abhören. Erstmals darf der Verfassungsschutz in Deutschland auch auf sogenannte Telekommunikationsverbindungsdaten zugreifen.

Aber auch die Sympathiewerbung für terroristische und kriminelle Vereinigungen müsse wieder unter Strafe gestellt und Vermögenseinziehungen erleichtert werden. Bei der Präventionsarbeit, beispielsweise gegen Salafismus, müsse auch das direkte Umfeld von Gefährdern sensibilisiert werden. Außerdem soll es in kommunale Präventionsnetzwerke eingebunden werden.

Kontrollen in Asylbewerberunterkünften

Zudem seien Überwachungsmaßnahmen in Asylbewerberunterkünften unerlässlich, etwa durch unangemeldete Polizeikontrollen. Binnengrenzkontrollen fordert Herrmann weiter aufrecht zu erhalten und bietet auch beim Bund Unterstützung durch die Bayerische Landespolizei an. Die Schleierfahndung werde in Bayern verstärkt – andere Bundesländer sollen nachziehen. Flüchtlinge ohne Papiere werden zunächst an den deutschen Grenzen festgehalten und deren Identität geklärt. Herrmann zögert nicht davor, ausländische Straftäter auch in Krisengebiete abzuschieben.

Ausländische Straftäter müssen schneller ihr Aufenthaltsrecht verlieren und schneller – auch in Krisengebiete – abgeschoben werden.

Joachim Herrmann, bayerischer Innenminister

Auch ein Bundeswehreinsatz im Innern könne zur Abwehr terroristischer Gefahren und zur Grenzsicherung über die bereits bestehenden Einsatzmöglichkeiten beitragen. Um Polizei und Sicherheitsbehörden zu unterstützen werden knapp 100 zusätzliche Mitarbeiter für den Verfassungsschutz eingestellt.

Immer mehr Online-Hetze

Denn vor allem die rechtsextremistische Hetze im Internet gegen Flüchtlinge, Politiker und engagierte Bürger nehme zu. Aufgrund von Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz hat die Staatsanwaltschaft Kempten zum Beispiel ein Verfahren gegen die Hintermänner und identifizierte Mitglieder einer Facebookgruppe eingeleitet. Darin wurde über Monate hinweg der Nationalsozialismus verherrlicht und durch Hass-Postings Straftaten wie Volksverhetzung begangen. Am 13. Juli 2016 durchsuchten Polizisten in zwölf Bundesländern die Wohnräume von insgesamt 37 Beschuldigten, davon sechs aus Bayern.

Hemmschwelle sinkt

Sorge bereite laut Herrmann auch das zunehmende linksextremistische Gewaltpotenzial, das immer mehr der Einschüchterung des politischen Gegners diene. Gegenüber Polizisten sinke obendrein die Hemmschwelle zur Gewalt seit Jahren. Im ersten Halbjahr 2016 sind bislang 30 Gewalttaten zu verzeichnen (2015 gesamt: 122), 19 davon gegen Polizeibeamte.

Gerade auch die jüngsten Entwicklungen nach dem Putschversuch in der Türkei am 14. und 15. Juli 2016 zeige, dass sich der Konflikt zwischen Erdogan-Sympathisanten und Regimekritikern auf Deutschland ausweite. Zudem verschärfen sich die Konflikte zwischen der kurdischen PKK und den sogenannten Grauen Wölfen. Die kurdische PKK verfüge in Bayern über ein Personenpotenzial von 1800 Anhängern, bundesweit rund 14.000. Die sogenannten Grauen Wölfe, die türkisch-rechtsextremistische Ülkücü-Bewegung, habe in Bayern 1250, in Deutschland rund 10.000 Anhänger. Seit Herbst 2015 komme es anlässlich verschiedener Kundgebungen in Bayern immer wieder zu gegenseitigen Provokationen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen diesen Gruppen, so der Innenminister.