Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz, ÖVP. (Bild: Anja Schuchardt)
Flüchtlinge

Kein Ticket nach Europa

Die Flüchtlings-Krise ist noch lange nicht vorbei. Seit Jahresbeginn kamen wieder Zehntausende, nach "Bild"-Informationen 50.000 allein über den Seeweg nach Italien. Zudem blieb deutschen Behörden nicht verborgen, dass immer mehr irakische "Touristen" in die Türkei kommen. Manchmal lohnt auch ein Blick zum Nachbarn: Österreich macht neue interessante Vorschläge zur Flüchtlingspolitik.

Der Zustrom von Migranten nach Europa hält weiter an. Seit Jahresbeginn sind dem Bild-Bericht zufolge bereits rund 50.000 Flüchtlinge über den Seeweg nach Italien gekommen. Die meisten von ihnen stammten aus Afrika, vor allem aus Nigeria, Eritrea, Gambia, von der Elfenbeinküste und aus Somalia. Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak nutzen laut der Zeitung die Route von Libyen und Ägypten über das Mittelmeer bisher kaum.

„Touristen“ aus dem Irak

Die deutschen Sicherheitsbehörden zeigen sich offenbar auch zunehmend besorgt, dass die Türkei inzwischen E-Visa an „Touristen“ aus dem Irak verteile. Das berichtet die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf Papiere der Behörden. Bis zu 4000 Iraker sollen das Angebot des 180 Tage gültigen Visums derzeit täglich nutzen. Die deutschen Sicherheitsbehörden warnten in diesem Zusammenhang davor, dass Iraker die Touristen-Visa anschließend zu „Fluchtzwecken“ nach Europa missbrauchen könnten. Da sich der mit der Türkei geschlossene Flüchtlingspakt ausschließlich auf Syrer bezieht, könnte hier ein neues Problem auftauchen.

Die Herrschaft der Schlepper

Unterdessen sorgt der aktive Außenminister von Österreich, Sebastian Kurz (ÖVP), weiter für frischen Wind in der von der zerstrittenen EU zunehmend hilflos geführten Flüchtlingsdebatte. Laut der „Kronen-Zeitung“ hat Kurz am Montag bei einem Treffen mit seinen EU- Amtskollegen in Luxemburg eingeräumt, dass das derzeitige System einer europaweiten Migrationspolitik nicht funktioniert. „Wir haben die Kontrolle verloren. Im Moment entscheiden nicht wir als EU, wer zu uns kommt, sondern die Schlepper entscheiden“, sagte Kurz. Ohne europäische Lösung müsse Österreich aber weiter auf nationale Maßnahmen setzen, so Kurz.

Schlepper dürfen nicht entscheiden, wer nach Europa durchkommt. Die Rettung aus dem Mittelmeer darf kein Ticket nach Mitteleuropa bedeuten.

Sebastian Kurz, am Montagabend in der Sendung ZiB 2

Ziel müsse daher eine effektive Kontrolle der EU-Außengrenzen sein: „Australien zeigt: Seegrenzen sind kontrollierbar.“

Österreich macht interessante Vorschläge

Er stellte den EU- Außenministern den mit Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) abgesprochenen Regierungsplan gegen illegale Migration vor. Der Plan der drei Minister sieht vor, dass Migranten, die illegal auf Inseln oder dem europäischen Festland landen, ab sofort nicht mehr weiterreisen dürfen. Jeder, der illegal aufgegriffen werde, komme in einen Hotspot auf einer Insel, etwa Lesbos (Kommunalpolitiker dort protestierten bereits gegen die Idee) oder Lampedusa. Dann müsse er so lange dort bleiben, bis er mit einer finanziellen Unterstützung freiwillig zurückkehre oder durch Abkommen mit Drittstaaten zurückgeschickt werden kann also werde er nicht auf das europäische Festland weitertransportiert. „Damit endet der Nachkommeffekt“, so die richtige Überlegung Österreichs. Die Idee: Dann sinkt auch der Zustrom, was nach gewisser Zeit auch die Hotspot-Inseln wieder entlastet.

Länder, die kooperativ sind, sollen belohnt werden, den anderen hingegen sollen Strafen drohen.

Flüchtlinge sollen in „Asyl- und Migrationszentren“ in Drittstaaten zurückgeschickt werden, wie etwa Niger. Dafür brauche es neben der Türkei weitere „Kooperationspartner“. „Man muss eine Verwaltung aufbauen, die das in diesen Ländern ordentlich und korrekt abwickeln kann“, so Kurz in der „Kronen-Zeitung„. Diese Zentren sollten nach dem Willen der Österreicher von der EU und dem Flüchtlingshochkommissariat UNHCR gemeinsam nach EU-Recht und europäischen Standards betrieben werden. „Da hätten auch die Schwächsten eine faire Chance und nicht nur die jungen Männer, die fit genug sind, die Strapazen der Reise zu überstehen.“ Und Kurz spricht sich ganz klar für das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche aus: Länder, die kooperativ sind, sollen belohnt werden, den anderen hingegen sollen Strafen drohen. Gleichzeitig solle aber die Hilfe vor Ort ausgebaut und legale Wege nach Europa geschaffen werden, um die Zuwanderung wieder in kontrollierte Bahnen zu lenken. Ähnliche Vorschläge gab es auch von der CSU Ende 2015 (hier).

Der Plan stößt auf Interesse

Der österreichische Vorschlag findet laut Kurz mittlerweile auch in anderen EU-Ländern Gehör. Ob Deutschland und Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu gehören, sagte er nicht. Denn die Rückführung vieler Flüchtlinge durch den Türkei-Deal habe „bewirkt, dass sich wesentlich weniger Menschen aus der Türkei nach Griechenland auf den Weg gemacht haben und es sterben dort auch weniger“, so der Außenminister. Der Österreich-Plan solle darüber hinaus sowohl die zuletzt massiv gestiegene Migrationswelle durch die Sahara als auch die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer unterbinden. Derzeit hat die EU kaum Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsländern der Migranten, weshalb es in den meisten Fällen de facto unmöglich ist, Flüchtlinge zurückzuschicken, zumal wenn sie wie so oft ihre Pässe „verlieren“. Zwar hat die EU bereits Verhandlungen aufgenommen, bis diese tatsächlich zu einer Einigung führen, kann es jedoch noch Jahre dauern.

Das australische Modell als Vorbild

Anfang Juni sorgte Kurz schon mal für die übliche Empörung, als er das australische Modell als Vorbild nannte. Die australische Regierung verfolgt seit rund zwei Jahren eine restriktive Asylpolitik: Boote mit illegalen Migranten werden regelmäßig auf hoher See abgefangen und zur Umkehr gezwungen oder die Bootsflüchtlinge auf Inseln interniert. Auf den Vorhalt, er wolle Flüchtlinge internieren, sagte Kurz am Sonntagabend in der ORFDiskussion „Im Zentrum“, seine Aussagen seien zugespitzt worden. Er sage ja nicht, dass die Unterbringung in Australien in Ordnung sei Europa sollte diesbezüglich „wesentlich besser und menschlicher sein“.

Was im letzten Jahr stattgefunden hat, war nur ein Vorgeschmack.

Sebastian Kurz, der eine Zunahme des Flüchtlingsstroms befürchtet

Wahr sei aber auch, dass auf dem Weg nach Australien mittlerweile keine Flüchtlinge mehr ertrinken und viele legal ins Land gebracht würden. „Man sollte nicht den Fehler machen, zu glauben, dass unser System perfekt ist“, so der Seitenhieb des Außenministers auf einige vorschnelle Humanitäts-Verfechter. Der ÖVP-Politiker warnte, der Flüchtlingsstrom werde wieder zunehmen. „Was im letzten Jahr stattgefunden hat, war nur ein Vorgeschmack“, sagte der Außenminister. So würde in Afrika jetzt schon eine Milliarde Menschen leben, Ende des Jahrhunderts werde aber mit vier Milliarden gerechnet. „Daran sieht man, welches Potenzial in künftigen Flüchtlingsströmen steckt.“

Die EU-Kommission, die in der Flüchtlingsfrage so jämmerlich versagte und fast keine eigenen Ideen lieferte, hatte jedoch nichts Eiligeres zu tun, als wie die voreiligen Bessermenschen den Plan von Kurz abzuwürgen, bevor sie ihn offenbar überhaupt vollständig gelesen hatte. „Das australische Modell ist kein Beispiel, dem die EU folgen sollte“, wies eine EU-Kommissionssprecherin bereits am Montag in Brüssel die Ideen zurück. Nach europäischem und internationalem Recht gelte der Grundsatz der Nichtzurückweisung von Asylsuchenden „und das wird sich nicht ändern“. Gesetze jedoch lassen sich ändern.

Das australische Modell

Die Maßnahmen, die von Australien nach dem Ansturm von 50.000 Migranten aus Asien mit mindestens 1200 Ertrunkenen ergriffen worden sind, bündelten sich in der „Operation Sovereign Borders“. Kein Boot durfte mehr anlegen und abgefangene Boote wurden zurück geschleppt oder in von Australien finanzierte Auffangzentren in die Inselstaaten Papua-Neuguinea und Nauru gebracht. Diese wiederum erhielten dafür finanzielle und wirtschaftliche Hilfen. Wird dort in den Hotspots ein Asylwerber innerhalb von sechs Wochen als Flüchtling anerkannt, erfolgt die Umsiedelung in einen Drittstaat wie etwa Kambodscha, jedoch nicht nach Australien.

Dafür nahm man 11.000 Kriegsflüchtlinge pro Jahr direkt und legal aus den Konfliktgebieten auf. Die Geschäfte der Schlepper wurden mit diesem Plan, der nur auf den ersten Blick menschenfeindlich wirkt, zum Erliegen gebracht. Denn kaum noch jemand macht sich auf den beschwerlichen Seeweg nach Australien und fast niemand mehr ertrinkt. Zugleich bietet sich der legale Weg ins „gelobte Land“. Australien wiederum kann die Zuwanderung nun ganz gezielt steuern, die Migranten auswählen (es kommen also nicht nur die Starken) und sie aufgrund der Obergrenze auch gut versorgen. Humaner geht es nicht.

Der Integrationsplan für Österreich

Die österreichische Regierung hat zudem ein Integrationspaket beschlossen, das sie kürzlich bei Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz und Kanzleramts-Staatssekretärin Muna Duzdar in Auftrag gegeben hatte. Asylwerber, bei denen eine gute Aussicht auf den Asylstatus besteht, sollen verstärkt gemeinnützige Tätigkeiten verrichten und Deutschkurse besuchen können. Mit mehr Möglichkeiten für gemeinnützige Arbeit helfe man Asylbewerbern, „ihren Beitrag für Österreich zu leisten“, sagte Kurz. Ein Kriterienkatalog soll festlegen, in welchen Bereichen gemeinnützige Arbeitsmöglichkeiten für Asylwerber bestehen. Kurz kündigte zudem den Ausbau von Sprach- und Wertekursen an. Duzdar erhoffte sich zudem mehr Einbindung in die Gesellschaft. Gemeinnützige Tätigkeiten für Asylwerber auf Gemeindeebene würden diese auch sozial in die lokale Umgebung einbinden. Eingesetzt werden könnten Asylbewerber etwa in Stadtbibliotheken oder bei der Wartung von Wanderwegen. Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka erhofft sich außerdem, dass die neuen Maßnahmen „den Tagesablauf von Asylwerbern besser strukturieren“ und verhindern, dass diese beschäftigungslos den Tag verbringen.