Ein Schlupfloch für Flüchtlinge ist die 460 Kilometer lange deutsch-polnische Grenze. Hier: Blick an der Oderbrücke von Frankfurt (Oder) auf Slubice. (Bild: imago/JOKER)
Flüchtlingskrise

Frontex bestätigt Kurs von Horst Seehofer

Der Rückgang der Flüchtlingszahlen in Europa in diesem Jahr ist vor allem auf die Grenzschließungen auf der Balkanroute zurückzuführen – und nicht auf den Türkei-Deal. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Analyse der europäischen Grenzschutzagentur Frontex hervor, die damit auch Kanzlerin Angela Merkel widerspricht. Hunderttausende kamen illegal nach Deutschland.

Ende Februar führte Mazedonien strenge Auswahlregeln für die Einreise aus Griechenland ein und riegelte die Grenze dank österreichischer Hilfe mit einem Zaun ab. Slowenien beschloss am 8. März die Rückkehr zu den Schengen-Richtlinien an seinen Grenzen. Auch Kroatien und Serbien ließen niemanden mehr ohne gültigen Reisepass und Visa ein- oder durchreisen.

Das Schließen der Balkanroute verläuft planmäßig und diese Uhr wird nicht zurückgedreht.

Johanna Mikl-Leitner, Österreichische Innenministerin

Für die Flüchtlinge wurde damit der am stärksten frequentierte Weg nach Mitteleuropa praktisch geschlossen. Die Folge: die Flüchtlingszahlen in Europa gingen im Frühjahr „umgehend“ und deutlich zurück. Nicht wegen dem später geschlossenen Türkei-Deal, sondern vor allem wegen der Grenzschließungen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel als ungeeignet ansah. Das geht nun auch aus einer bislang unveröffentlichten Analyse der europäischen Grenzschutzagentur Frontex hervor, die angeblich der Welt am Sonntag vorliegt. Auch die Nato-Aufklärungsmission in der Ägäis sowie das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union (EU), das ab dem 20. März umgesetzt wurde, führten nach der Frontex-Analyse zu einem weiteren Rückgang der Flüchtlingszahlen, wenn auch in erheblich geringerem Umfang.

Eine ähnliche Analyse hatte auch die CSU durchgeführt und sie kam zum gleichen Schluss (siehe Grafik und hier). Vor allem der Winter und die geschlossene Balkanroute ließen danach die Flüchtlingszahlen sinken. Kurz zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ über die Entwicklung des Flüchtlingszuzugs gesagt: „Die Kurve senkt sich wieder im Winter, nach der Schließung der Balkanroute geht sie massiv nach unten und bleibt vor und nach dem Türkei-Gipfel im März auf diesem niedrigen Niveau.“

Die CSU hatte den richtigen Kurs, nicht Merkel

Die Schließung nationaler Grenzen war von der CSU als Alternative zum auf Europa fokussierten Flüchtlingskonzept von Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert worden. Auch viele EU-Staaten bezweifelten damals schon, dass die Türkei Zusagen zur Eindämmung der Flüchtlingszahlen einhalten würde. Nach jüngsten Drohungen aus Ankara bezweifeln sie es immer mehr. Dagegen gaben die neuen Zäune den Flüchtlingen ein klares und öffentlichkeitswirksames Zeichen, dass sie auf diesem Weg nicht mehr weiterkämen. Die Frontex-Studie zeigt nun erneut: diese Maßnahme wirkte.

Merkel hingegen prognostizierte noch kurz nach der Blockade der Balkanroute, dass diese keine langfristige Lösung sei. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer aber begrüßte damals die Entscheidung als positives Signal. Gegenüber dem Spiegel sagte er, dass Deutschland davon profitiere.

Es gibt eine Wende in der Flüchtlingspolitik durch die weitgehende Schließung der Balkanroute.

Horst Seehofer, Bayerische Ministerpräsident

Über die Balkanroute waren im vergangenen Jahr mehr als eine Million Menschen nach Deutschland, Österreich und andere EU-Staaten bis nach Skandinavien gelangt. Zunächst waren die Menschen auf der Balkanroute von einem an den nächsten Staat weitergereicht worden, weil sie fast alle nach Österreich, Schweden und vor allem nach Deutschland wollten.

Die illegale Zuwanderung läuft jetzt aber laut Erkenntnissen von Sicherheitsdiensten über andere Routen: Über das Mittelmeer, Italien, die Schweiz oder über die EU-Ostgrenze.

Offene Grenze nach Osten

Ein Schlupfloch für Schleuser ist die 460 Kilometer lange deutsch-polnische Grenze. Dort liegt Slubice, eine polnische Stadt am rechten Ufer der Oder. Überqueren Flüchtlinge die Brücke, laufen sie direkt nach Deutschland. Ein vertraulicher Lagebericht der Bundespolizei Frankfurt (Oder) liest sich laut Welt am Sonntag wie ein „Beschwerdekatalog deutscher Grenzschützer“. 114 unerlaubte Einreisen seien erkannt worden. Brisante Zugriffe gelängen eher per Zufall. Und obwohl vielen der illegalen Grenzübertreter Kontakte zu Schleusern nachgewiesen wurden, hatten die Polizisten keine Chance, in diesen Fällen weiter zu ermitteln – keine Ressourcen, wie die Welt am Sonntag schreibt.

Vermutlich ist die Zahl der illegalen Grenzübertritte noch deutlich höher. Denn der Regeldienst der Grenzschützer ist laut dem Bericht hoffnungslos unterbesetzt. In acht Schichten, so klagen die Beamten, sei im Mai „die Mindeststärke unterschritten“ worden. Einige Polizisten gehen inzwischen von 1000 illegalen Übertritten am Tag aus. Offiziell gibt es von der Bundespolizei keine Zahlen. Nur an der bayerisch-österreichischen Grenze werden Kontrollen durchgeführt und das auch nicht auf jeder Straße.

Hunderttausende unerlaubte Einreisen in Bayern

Ein weiteres Indiz dafür, dass viele Flüchtlinge illegal nach Deutschland kommen, ist die Zahl der Strafverfolgungen. Deutschlandweit wurden mindestens 672.561 Ermittlungen eingeleitet, laut Münchner Merkur. Bayerische Staatsanwaltschaften seien davon am stärksten belastet. So wurden von Januar 2015 bis Ende März 2016 knapp 269.000 Verfahren angelegt. Doch etwa 85 Prozent von ihnen wurden wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt. Bundesweit landen mehr als die Hälfte der Ermittlungsverfahren im Papierkorb. Den Strafbestand der Erst-Einreise zu „entkriminalisieren“ – wie es Niedersachsen und das Saarland forderten – will der Freistaat jedoch auf keinen Fall.

Eine Entkriminalisierung wäre das völlig falsche Signal.

Winfried Bausback, Bayerischer Justizminister

Schweiz statt Balkan

Weil Balkanroute und der Brenner so gut wie dicht sind, testen Schlepperbanden nun unter anderem auch die Schweizer Route. Die eidgenössischen Grenzschützer griffen an ihrer Südgrenze in der ersten Juniwoche viermal mehr Flüchtlinge auf als Ende April, schreibt die Welt am Sonntag. Meist sind es Afrikaner aus Eritrea, Somalia und Gambia, die per Bahn versuchen, über Italien in die Schweiz zu kommen, darunter zahlreiche unbegleitete Minderjährige. Doch die Schweiz ist nicht ihr Ziel. Per Bus geht es ohne jede Grenzkontrolle direkt nach Deutschland. Der Ansturm dürfte weiter zunehmen, denn gerade erst hat die Schweiz ihr Asylrecht verschärft.

Früher durften die, die sich überhaupt einen Anwalt leisten konnten oder ausdauernd genug waren, auch eher bleiben. Ab sofort bezahlt der Staat Flüchtlingen einen Rechtsvertreter, das schafft rasch endgültige Rechtssicherheit und sorgt für gute und schnelle Beratung aller Flüchtlinge. Polizei und Gerichte werden entlastet, Unterkünfte schneller frei. So sollen künftig nur tatsächlich schutzbedürftige Flüchtlinge im Land bleiben, Asylverfahren erheblich verkürzt und damit auch verbilligt werden. Seit zwei Jahren wurde das neue System in einem Asylzentrum in Zürich getestet. Dort wurde auch klar, dass weniger abgelehnte Asylbewerber Beschwerde gegen ihre Entscheidung einlegten, wenn sie frühzeitig juristischen Beistand hatten. Mit der neuen Revision könnten daher nach ersten Berechnungen jährlich rund 110 Millionen Franken eingespart werden.

Verhelfen die Grünen zum Asylmissbrauch?

Um Asylbewerber aus Deutschland schneller abzuschieben, wollen Union und SPD die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer einstufen. Das würde die Chancen von Flüchtlingen aus diesen Ländern schmälern, in Deutschland Asyl zu bekommen. Doch die Grünen können das Vorhaben zu Fall bringen. Denn im Bundesrat müssen mindestens drei der zehn Länder mit grüner Regierungsbeteiligung dafür stimmen – doch mehrere Länder haben ein Nein oder eine Enthaltung angekündigt.

Die Grünen machen sich zum Gehilfen für massenhaften Asylmissbrauch.

Andreas Scheuer

Rein rechnerisch wären weitere potenzielle „Mehrheitsbeschaffer“ die Länder Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein oder Thüringen. Aber mehrere dieser grün-mitregierten Länder haben wegen der Grünen in der jeweiligen Landesregierung schon ein Nein in Aussicht gestellt, so Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bremen. Bei anderen ist eine Enthaltung wahrscheinlich – und die wird im Bundesrat als Nein gewertet. Aber mehrere Länder mit Grünen an der Macht halten sich die Entscheidung noch offen, wie Baden-Württemberg, Hessen oder Rheinland-Pfalz. Die drei zum Beispiel würden 15 Stimmen bringen – also gerade genug für die nötige Mehrheit, zusammen mit den Stimmen von Union und SPD. Aber weil es sich bei den Grünen um ein Reizthema handelt, ist sehr fraglich, ob eine Mehrheit zustande kommt. Mit einem Nein würden sich die Grünen „zum Gehilfen für massenhaften Asylmissbrauch“ machen, warnte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im Münchner Merkur.

Für jeden Asylantrag gilt die Einzelfallprüfung. Das gilt selbstverständlich auch für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten.

Thomas de Maizière

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wies in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ darauf hin, dass tatsächlich Verfolgte aus dieser Region weiter in Deutschland Asyl erhielten. „Für jeden Asylantrag gilt die Einzelfallprüfung. Das gilt selbstverständlich auch für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten. Und selbstverständlich wird Schutz gewährt, wenn entsprechende Schutzgründe vorliegen“, erklärte er. „Aber weil die Schutzquote so niedrig ist, ist eine Zustimmung zu dem Gesetz für die Grünen wirklich zumutbar.“

Nach Angaben des Innenministeriums sind die Anerkennungsquoten von Menschen aus den drei nordafrikanischen Ländern in den ersten fünf Monaten dieses Jahres erneut zurückgegangen. Bei Marokkanern wurden nur noch 2,2 Prozent der Anträge anerkannt, nachdem es im gesamten Jahr 2015 noch 3,7 Prozent waren. Für Algerier ging die Anerkennungsquote von 1,6 auf 1,4 Prozent zurück und für Tunesier von 0,6 auf 0,5 Prozent.

(dpa/Welt/Münchner Merkur/AS)