Koalition beweist Handlungsfähigkeit: CSU-Parteivorsitzender Horst Seehofer, Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Gabriel (v.r.) haben sich in den Streitpunkten Leiharbeit, Werkverträgen und Flexi-Rente geeinigt. (Foto: Reiner Zensen/imago)
Handlungsfähige Koalition

Einigung bei Leiharbeit, Flexi-Rente, WLAN und Lkw-Maut

Die große Koalition im Bund beweist ihre Handlungsfähigkeit: Sie hat sich in den Streitpunkten Leiharbeit und Werkverträgen sowie bei der Flexi-Rente geeinigt. Die Störerhaftung bei privaten WLAN-Hotspots wird abgeschafft, was öffentlichen Internetzugängen einen großen Schub verleihen dürfte. Außerdem hat die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen das Kabinett passiert.

Union und SPD haben nach monatelanger Debatte ihren Dissens um mehr Schutz von Arbeitnehmern (Leiharbeit und Werkverträge) beigelegt. Die Einigung wurde bei einem Spitzentreffen bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel nach knapp zweistündigen Beratungen erzielt.

In Teilnehmerkreisen wurde die gute, konstruktive Stimmung bei den Beratungen gelobt. Alle Beteiligten hätten sich um eine Lösung bemüht, sonst hätte man am Abend nicht so schnell eine Einigung erreichen können.

Vor allem die CSU hatte Änderungswünsche angemeldet, nachdem die SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles – einmal mehr – im November einen ersten Gesetzentwurf vorgelegt hatte, der weit über die Einigung im Koalitionsvertrag hinausging und in dieser Weise nicht abgesprochen war.

Der Kompromiss im Einzelnen:

  • ZEIT- UND LEIHARBEIT: Betroffene sollen grundsätzlich höchstens 18 Monate lang einem anderen Betrieb überlassen werden können. Das soll gesetzlich festgelegt werden.
  • AUSNAHMEN: In Tarifverträgen sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer darüber hinausgehen dürfen. Auch nicht tarifgebundene Unternehmen sollen – das ist neu – ohne Deckelung von tariflichen Öffnungsklauseln Gebrauch machen können: Von einer Obergrenze von 24 Monaten soll dann abgewichen werden können, wenn der Tarifvertrag für Betriebsvereinbarungen eine abweichende Obergrenze ausdrücklich festlegt.
  • EQUAL PAY – GLEICHE BEZAHLUNG: Zeitarbeiter sollen nach 9 Monaten gleichen Lohn wie die Stammbelegschaften bekommen.
  • STREIKBRECHER: „Der Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher ist ausgeschlossen“, sagte Nahles. Leiharbeiter sollen aber dann weiter eingesetzt werden dürfen, wenn sichergestellt ist, dass sie nicht Aufgaben wahrnehmen, die bisher von Streikenden übernommen wurden.
  • WERKVERTRÄGE: Bei Werkverträgen soll festgelegt werden, wann tatsächlich solch ein Vertrag und wann ein normales Arbeitsverhältnis vorliegt. Mit Werkverträgen vergeben Unternehmen etwa IT-Dienstleistungen oder Catering- und Reinigungsdienste an andere Firmen. Laut Gewerkschaften nutzen viele Unternehmen solche Verträge sowie Zeitarbeitnehmer, um Löhne zu drücken und soziale Standards zu senken. Die Arbeitgeber hatten hingegen vor harten Einschränkungen unternehmerischer Flexibilität gewarnt.

SPD-Überrumpelungstaktik ist gescheitert

Der sozialpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Stephan Stracke, lobt die Einigung und kritisiert die versuchte Überrumpelungs-Taktik der SPD: „Die Einigung bei der Zeitarbeit und den Werkverträgen trägt eindeutig die Handschrift der CSU-Landesgruppe. Nachdem der erste Gesetzentwurf von Frau Nahles durchgefallen war, muss sie auch ihre überarbeitete Vorlage substanziell nachbessern.“ Dies beweist für Stracke Folgendes: „Unsere Bedenken waren von Anfang an berechtigt, die ständigen Blockadevorwürfe an unsere Adresse allein ideologischer Popanz. Die CSU-Landesgruppe ist der Wächter des Koalitionsvertrages. Auf politische Spielchen der Sozialdemokraten, die Zugeständnisse von Andrea Nahles über den Bundestag und Bundesrat wieder einzukassieren, werden wir uns nicht einlassen.“

In der Sache betont der CSU-Sozialpolitiker Stracke: „Zeitarbeit darf nicht zu Lohndumping führen. Wir stehen zum Grundsatz ,Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘. Allerdings lehnen wir Eingriffe in die Tarifautonomie ab.“ Die CSU wolle vielmehr Folgendes, so Stracke: „Wir sind für tarifliche Öffnungsklauseln zur Höchstüberlassungsdauer, von der auch nicht unmittelbar tarifgebundene Unternehmen Gebrauch machen können. Wir sprechen uns für Karenzzeiten und Übergangsregelungen aus, damit die Änderungen bei der Zeitarbeit auch sinnvoll umgesetzt werden können.“ Stracke warnt auch jetzt vor einer überzogenen Auslegung des Gesetzes durch Ministerin Nahles: „Das Streikbrecherverbot muss auf echte Streikbrecher begrenzt sein. Und neue Bürokratie durch neue Zuständigkeiten beim Zoll sind überflüssig.“

Wichtiges Unions-Anliegen: Flexi-Rente kommt endlich

Die Spitzen der großen Koalition haben sich auf ein Modell zum flexiblen Einstieg in die Rente geeinigt. Die Flexi-Rente war besonders ein Anliegen der CDU/CSU als Gegengewicht zur SPD-Rente mit 63, die die Beschäftigungsquote von Älteren empfindlich geschädigt hat und damit das glatte Gegenteil von zukunfts- und demographiefest ist.

Nach Medien-Informationen vereinbarte die Koalitionsrunde am Dienstagabend in Berlin, bessere Verrechnungsmöglichkeiten für jene zu schaffen, die auch nach dem Erreichen der Regel-Altersgrenze weiter arbeiten wollen. Es soll höhere Freibeträge geben, bis zu denen ein Verdienst auf die Rente angerechnet wird.

Rentner können mit Beiträgen die eigene Rente deutlich erhöhen

Wer zudem als Rentner aus seinen Einkünften eigene Beiträge in die Rentenkasse einzahlt, soll nach diesen Informationen künftig eine höhere Rente erhalten. Pro Monat soll dies 0,5 Prozentpunkte ausmachen – wer also ein Jahr länger arbeitet, soll demnach 6 Prozent mehr Rente erhalten. Auch mögliche Abschläge bei einer vorgezogenen Rente sollen so reduziert werden können.

Schon im November hatte sich die Koalition grundsätzlich auf eine Flexi-Rente geeinigt. Die SPD hatte danach aber im Sinne politischen Kuhhandels wieder einmal Bedenken angemeldet, um Druck vor allem in der Frage von Leiharbeit und Werkverträgen ausüben zu können.

Stracke: SPD-Vorgehen ist „dreist und scheinheilig“

Diese Verzögerungstaktik der SPD kritisiert der sozialpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Stephan Stracke, mit deutlichen Worten: „Endlich ist es soweit. Nach über sechs Monaten hat das Haus von Andrea Nahles die Ergebnisse der Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen vom 10. November 2015 umgesetzt und das unwürdige politische Spielchen der vergangenen Monate beendet.“

Besonders erbost ist Stracke von den rhetorischen Verschleierungstricks der SPD: „Uns ständig Blockade vorwerfen, aber selbst eigenmächtig ein Junktim zwischen der Flexi-Rente und der Regulierung der Zeitarbeit und Werkverträge herstellen, das zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der damaligen Verhandlungen in der Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen war. Dieses Vorgehen der Sozialdemokraten war dreist und scheinheilig. Wir werden uns nun sehr genau über den Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beugen und prüfen, ob das Haus von Frau Nahles diesmal vertragstreu ist.“

Weg frei für viele private WLAN-Hotpots

Im zähen Streit um ein neues Telemediengesetz haben Union und SPD den Weg für offene private WLAN-Hotspots in Deutschland freigemacht. Die Koalitionsparteien einigten sich am Morgen auf die Abschaffung der Störerhaftung.

„Ich freue mich sehr darüber, dass wir heute einen Durchbruch beim Thema WLAN erzielen konnten“, sagte der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil. „Damit setzen wir eines der zentralen Ziele der Digitalen Agenda um. Der Weg für mehr freies WLAN in Deutschland ist damit endgültig frei.“

Grotesker deutscher Sonderweg hat ein Ende

Bislang mussten die privaten Betreiber von Hotspots für das Fehlverhalten von Nutzern haften, etwa beim illegalen Download von Songs oder Filmen. Dies war ein europaweit einzigartiger und grotesker juristischer Sonderweg, der die Ausbreitung von freien WLAN-Hotspots in Deutschland im Vergleich zu allen Nachbarländern empfindlich hemmte.

Künftig genießen auch private oder nebengewerbliche Anbieter wie Kneipen- und Restaurant-Besitzer das Haftungsprivileg von gewerblichen Internet-Providern. Die Koalitionsparteien einigten sich auch darauf, den offenen WLAN-Zugriff ohne eine technische Hürde wie eine Zugangsverschlüsselung oder eine Vorschaltseite zu ermöglichen.

Digitale Infrastruktur wird an Fahrt gewinnen

Der CSU-Rechtspolitiker Volker Ullrich begrüßt diesen Kompromiss: „Die Einigung ist ein wichtiger Schritt, um die digitale Infrastruktur im 21. Jahrhundert auf Vordermann zu bringen. Im internationalen Vergleich kann Deutschland beim Betreiben freier WLAN-Netze an Fahrt gewinnen.“

Volker Ullrich verweist auch darauf, dass erst der EuGH die bisherige verfehlte deutsche Rechtslage kippte: „Ein Gutachten des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofes hatte offenbart, dass es juristisch nicht möglich ist, WLAN-Betreiber für das Surfverhalten ihrer Nutzer haften zu lassen. Es entspricht meiner Rechtsauffassung, dass nicht der Betreiber, sondern der Kunde zur Rechenschaft gezogen werden muss, wenn er unerlaubterweise Dateien herunterlädt. In dem Gesetzentwurf zur Haftung für WLAN-Betreiber erreichen wir nun eine wichtige Klarstellung der Haftungsregelungen und schaffen Rechtssicherheit bei Rechtsverstößen.“

Lkw-Maut bald auf allen Bundesstraßen

Die Lkw-Maut wird Mitte 2018 auf alle Bundesstraßen ausgeweitet. Mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurf sollen Verkehrsströme besser gelenkt und die Staatskassen mit zusätzlichen Einnahmen von bis zu zwei Milliarden Euro im Jahr aufgefüllt werden. Nach dem Regierungsentwurf sollen ab 1. Juli 2018 für Lkws alle Bundesstraßen mautpflichtig werden. Das sind rund 40 000 zusätzliche Kilometer. Die Zahl der mautpflichtigen Fahrzeuge von zuletzt 1,6 Millionen dürfte damit um etwa 130 000 zunehmen.

„Mit der Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen vollziehen wir den Systemwechsel von einer Steuer- hin zu einer Nutzerfinanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur“, sagte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). „Die Mauteinnahmen fließen direkt und dauerhaft in deren Erhalt und Ausbau.“ Bisher wird die Nutzungsgebühr für Lastwagen ab 7,5 Tonnen auf den auf rund 13 000 Kilometern Autobahnen und auf 2300 Kilometern autobahnähnlichen Bundesstraßen kassiert.

Länder erhalten Anteil an Einnahmen

Die Mautpflicht für Lkw zwischen 7,5 und 12 Tonnen gilt bereits seit Oktober 2015. Spätestens bis Ende 2017 soll geprüft werden, ob die Maut auch auf kleinere Lkw ab 3,5 Tonnen sowie auf Fernbusse ausgedehnt werden sollte. Die „Handwerkermaut“ für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen ist allerdings schon jetzt umstritten.

Die Einnahmen von zuletzt rund 4,5 Milliarden Euro fließen bisher allein an den Bund. Profitieren sollen nun aber auch die Länder: Da etwa acht Prozent des Netzes nicht in Bundeszuständigkeit liegen – vor allem Ortsdurchfahrten – sollen dortige Einnahmen nach Abzug von Systemkosten den jeweiligen Ländern ausgezahlt werden. Die Ausdehnung der Lkw-Maut war lange umstritten. Die SPD war dafür, um mehr Geld in den Straßenbau stecken zu können. Teile der Union warnten vor zusätzlichen Belastungen von Unternehmen.

dpa/wog